Charles Dickens

David Copperfield


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fühl­te ich es nicht sehr.

      Ich sah mit ziem­li­cher Be­stimmt­heit kom­men, dass mei­ne Ja­cke dem­nächst wür­de den­sel­ben Weg ge­hen müs­sen, und dass ich wohl ge­zwun­gen sein wür­de, den größ­ten Teil mei­nes Wegs nach Do­ver in Hemd und Ho­sen zu­rück­zu­le­gen, und mich noch glück­lich schät­zen dürf­te, wenn es mir ge­län­ge, noch in sol­chem Auf­zug hin­zu­kom­men. Trotz­dem mach­te ich mir nicht all­zu viel dar­aus.

      Es war mir ein Plan ein­ge­fal­len, wie ich die Nacht ver­brin­gen konn­te, und ich mach­te mich dar­an, ihn zur Aus­füh­rung zu brin­gen. Ich woll­te mich hin­ter die Rück­mau­er mei­ner al­ten Schu­le in eine Ecke, wo frü­her ein Heu­scho­ber stand, le­gen. Ich bil­de­te mir ein, es wäre eine Art Ge­sell­schaft, wenn ich die Schü­ler und das Schlaf­zim­mer, in dem ich im­mer so viel Ge­schich­ten er­zählt, in der Nähe wüss­te, wenn auch nie­mand drin et­was von mei­ner An­we­sen­heit ahn­te.

      Ich hat­te einen lan­gen Marsch hin­ter mir und war ganz ab­ge­hetzt, als ich end­lich auf die Ebe­ne von Black­heath hin­aus­kam. Ich fand nach lan­ger Mühe Sa­lem­haus, fand auch den Heu­scho­ber in der Ecke und leg­te mich nie­der, nach­dem ich vor­her um die Mau­er her­um­ge­gan­gen, nach den Fens­tern ge­se­hen und al­les fins­ter und still ge­fun­den hat­te. Nie wer­de ich das Ge­fühl von Ver­las­sen­heit ver­ges­sen, das ich emp­fand, als ich mich das ers­te Mal ohne ein Dach über mei­nem Haupt, nur den Him­mel über mir, nie­der­leg­te.

      Aber der Schlaf kam zu mir, wie er zu den Ver­sto­ße­nen kommt, de­nen die Hau­stü­ren ver­schlos­sen sind, und die von den Hun­den an­ge­bellt wer­den. Ich träum­te, ich läge in mei­nem al­ten Schul­bett und fand mich ein­mal auf­recht sit­zend mit Steer­forths Na­men auf der Zun­ge und wild nach den Ster­nen star­rend, die über mir schim­mer­ten. Als mir dann klar­ge­wor­den, wo ich mich zu die­ser un­ge­wöhn­li­chen Stun­de be­fand, über­lief mich ein merk­wür­di­ges Ge­fühl, das mich be­wog, auf­zu­ste­hen und her­um­zu­ge­hen. Der mat­te­re Schim­mer der Ster­ne und das Däm­mern im Os­ten be­ru­hig­ten mich. Da ich noch sehr schläf­rig war, leg­te ich mich wie­der hin und schlum­mer­te ein und fühl­te im Schlaf, wie kalt es war, bis mich die war­men Strah­len der Son­ne und die Früh­glo­cke von Sa­lem­haus weck­ten. Ich wuss­te, dass Steer­forth fort sein muss­te, sonst hät­te ich viel­leicht auf ihn ge­war­tet. Mög­li­cher­wei­se war Tradd­les noch da, doch ich hat­te nicht ge­nug Ver­trau­en auf sei­ne Ver­schwie­gen­heit, um ihm mei­ne Lage an­ver­trau­en zu kön­nen, so sehr ich mich auf sein gu­tes Herz hät­te ver­las­sen dür­fen. So schlich ich mich fort von der Mau­er, als Mr. Cre­akles Jun­gen auf­stan­den, und schlug die stau­bi­ge Stra­ße nach Do­ver ein.

      Wie ver­schie­den war die­ser Sonn­tag­mor­gen von je­nem da­mals in Yar­mouth. Ich hör­te die Kir­chen­glo­cken läu­ten, als ich mich lang­sam hin­schlepp­te, be­geg­ne­te den sonn­täg­lich ge­klei­de­ten Leu­ten, kam an eine oder zwei Kir­chen vor­bei, in de­nen der Got­tes­dienst ab­ge­hal­ten wur­de, wäh­rend der Büt­tel im küh­len Schat­ten des Ein­gangs saß oder un­ter dem Ei­ben­baum stand und mir miss­trau­isch nachsah. Frie­de und Ruhe des Sonn­tag­mor­gens über­all, nur nicht in mir. Ich kam mir so ver­kom­men vor in mei­nem Schmutz, so be­staubt und mit wir­rem Haar. Ohne das stil­le Bild mei­ner Mut­ter in Ju­gend und Schön­heit, wie sie wei­nend beim Feu­er sitzt und mei­ne Tan­te weich wird ihr ge­gen­über, im Her­zen, hät­te ich kaum den Mut ge­habt, noch bis zum nächs­ten Tag aus­zu­hal­ten. Aber es schweb­te im­mer vor mir her, und ich ging hin­ter ihm drein.

      Ich leg­te an die­sem Sonn­tag drei­und­zwan­zig eng­li­sche Mei­len auf der Land­stra­ße zu­rück und es fiel mir nicht leicht, denn ich war das Wan­dern nicht ge­wöhnt. Ich sehe mich bei her­ein­bre­chen­dem Abend über die Brücke von Ro­che­s­ter ge­hen, müde, mit wun­den Fü­ßen und das Brot ver­zeh­rend, das ich mir zum Abendes­sen ge­kauft. Ein oder zwei klei­ne Häu­ser mit der Auf­schrift »Nacht­quar­tier für Rei­sen­de« hat­ten mich wohl ge­lockt, doch ich fürch­te­te, die paar Pence, die ich noch be­saß, aus­zu­ge­ben, und emp­fand noch mehr Angst vor den ver­däch­ti­gen Bli­cken der Strol­che, de­nen ich un­ter­wegs be­geg­net. Ich such­te mir da­her kein an­de­res Dach als den Him­mel, und als ich Chat­ham er­reich­te, das bei Nacht aus­sieht wie ein Traum voll Mau­ern, Zug­brücken und mast­lo­sen Schif­fen mit Ver­de­cken, wie Ar­chen, kroch ich auf eine alte gras­be­wach­se­ne Schan­ze, vor der eine Schild­wa­che auf und ab ging. Hier leg­te ich mich ne­ben eine Ka­no­ne und schlief ge­sund bis zum Mor­gen, glück­lich, von wei­tem die Schrit­te der Schild­wa­chen zu hö­ren.

      Am nächs­ten Mor­gen war ich ganz steif, und das Trom­mel­wir­beln und der Schritt der mar­schie­ren­den Trup­pen, die mich rings­um ein­zu­schlie­ßen schie­nen, als ich nach der lan­gen schma­len Stra­ße hin­ab­ging, be­täub­ten mich förm­lich. Ich fühl­te, dass ich die­sen Tag nur eine kur­ze Stre­cke wür­de zu­rück­le­gen kön­nen, wenn ich mir noch et­was Kraft für den letz­ten Teil mei­ner Rei­se auf­spa­ren woll­te. Ich be­schloss da­her vor al­lem den Ver­kauf mei­ner Ja­cke ins Auge zu fas­sen. Ich zog also mei­ne Ja­cke aus, um mich dar­an zu ge­wöh­nen, ohne sie aus­zu­kom­men, nahm sie un­ter den Arm und sah mich nach Tröd­ler­lä­den um.

      Es war ein sehr ge­eig­ne­ter Ort für den Ver­kauf ei­ner Ja­cke, denn die »Händ­ler in al­ten Klei­dern« wa­ren sehr zahl­reich und schau­ten in ih­ren La­den­tü­ren nach Kun­den aus. Aber da bei den meis­ten ein oder zwei Of­fi­zier­s­uni­for­men mit Epau­let­ten im La­den­fens­ter hin­gen, schreck­te mich der vor­neh­me Cha­rak­ter die­ser Ge­schäf­te ab, und ich lief lan­ge Zeit her­um, ohne je­mand mei­ne Ware an­zu­bie­ten.

      Mei­ne Auf­merk­sam­keit lenk­te sich vor­nehm­lich auf die See­manns­lä­den und sol­che wie Mr. Dol­lo­bys, und end­lich fand ich einen, der mir viel­ver­spre­chend aus­sah, an der Ecke ei­nes schmut­zi­gen Gäss­chens, das an einen ein­ge­zäun­ten grü­nen Fleck vol­ler Bren­nes­seln stieß. An dem Zau­ne hin­gen ein paar alte Ma­tro­sen­an­zü­ge, ei­ni­ge Hän­ge­mat­ten, ros­ti­ge Flin­ten und Süd­wes­ter, und vor dem La­den stan­den meh­re­re Mul­den mit so viel ver­ros­te­ten Schlüs­seln in al­len Grö­ßen, dass man sämt­li­che Tü­ren der Welt hät­te da­mit auf­sper­ren kön­nen.

      In die­sen La­den, der nied­rig und klein und eher ver­dun­kelt als er­hellt durch ein mit Klei­dern ver­han­ge­nes Fens­ter­chen war, stieg ich mit klop­fen­dem Her­zen ei­ni­ge Stu­fen hin­ab. Mei­ne Ban­gig­keit wuchs noch, als ein grau­en­haf­ter al­ter Mann, des­sen un­te­re Ge­sichts­hälf­te ganz von ei­nem strup­pi­gen grau­en Bart be­deckt war, aus ei­ner schmut­zi­gen Höh­le im Hin­ter­grund her­vor­stürz­te und mich bei den Haa­ren pack­te. Es war ein schreck­lich an­zu­se­hen­der Mann in ei­ner schmut­zi­gen Fla­nell­wes­te. Er roch ent­setz­lich nach Rum. Sei­ne Bett­stel­le, mit ei­ner zer­knüll­ten und zer­lump­ten Fli­cken­de­cke zu­ge­deckt, stand in der Höh­le, aus der er her­aus­ge­kom­men war. Durch ein zwei­tes klei­nes Fens­ter konn­te man noch ein Bren­nes­sel­feld und einen lah­men Esel se­hen.

      »O was brauchst du?« grein­te der alte Mann mit ei­nem wil­den ein­tö­ni­gen Ge­win­sel, »Gott über mei­ne Au­gen und Glie­der, was brauchst du? O über mei­ne Lun­ge und Le­ber, was brauchst du? O goru, o goru!«

      So sehr brach­ten mich die­se Wor­te und be­son­ders die Wie­der­ho­lung des letz­ten mir ganz un­be­kann­ten Lau­tes, der wie ein tie­fes Rö­cheln in sei­ner Keh­le klang, aus der Fas­sung, dass ich gar nicht ant­wor­ten konn­te. Im­mer noch hielt