und mir zu überlegen, was am besten zu tun sei, als eine Dame, über ihre Mütze ein Taschentuch gebunden, mit Gartenhandschuhen, einer Gartenschürze und in der Hand ein großes Messer aus dem Hause trat. Ich erkannte in ihr sofort Miss Betsey nach der Art, wie sie aus dem Hause stelzte. Genau so war sie nach der Erzählung meiner Mutter auch in unserm Garten herumstolziert.
»Fort!« sagte Miss Betsey und schüttelte den Kopf und fuhr mit dem Messer durch die Luft, als ob sie ein Kotelett herausschneiden wollte.
»Fort! Keine Jungen hier!«
Ich sah ihr zu, das Herz auf der Zunge, wie sie in eine Ecke des Gartens ging und sich bückte, um etwas auszugraben. Dann, ohne einen Funken Mut in mir, aber mit desto mehr Verzweiflung, trat ich leise ein, stellte mich neben sie und berührte sie mit dem Finger.
»Wenn Sie gestatten würden, Ma’am«, fing ich an.
Sie fuhr zusammen und blickte auf.
»Wenn Sie gestatten würden, Tante!«
»Eh«, rief Miss Betsey mit einem Ton des Erstaunens aus, wie ich nie einen ähnlichen gehört hatte.
»Wenn Sie gestatten würden, Tante, ich bin Ihr Neffe!«
»O Gott!« sagte meine Tante und setzte sich mitten im Gartenweg hin.
»Ich bin David Copperfield aus Blunderstone in Suffolk, wo Sie an dem Abend, als ich geboren wurde, meine liebe Mutter besuchten. Ich bin seit ihrem Tode sehr unglücklich gewesen. Man hat mich vernachlässigt und nichts gelehrt, ich war auf mich selbst angewiesen und wurde zu einer Arbeit verwendet, die gar nicht für mich passte. Deswegen bin ich fortgelaufen zu Ihnen. Gleich am Anfang wurde ich beraubt und musste den ganzen Weg zu Fuß gehen und habe in keinem Bett geschlafen, seit ich auf der Reise bin.«
Hier war es mit meiner Fassung zu Ende und mit einer Handbewegung, mit der ich ihre Aufmerksamkeit auf meinen zerlumpten Zustand lenken wollte, als Beweis, was ich gelitten, brach ich in ein bitterliches Weinen aus.
Meine Tante, aus deren Gesicht jeder andere Ausdruck als Verwunderung gewichen war, saß, mich groß anstarrend, auf dem Kiesweg, bis ich zu weinen anfing. Dann stand sie in großer Hast auf, packte mich beim Kragen und schleppte mich in das Wohnzimmer. Ihr erstes war hier, einen hohen Schrank aufzuschließen, verschiedene Flaschen herauszunehmen und mir aus jeder etwas in den Mund zu gießen. Sie muss blind drauflos gegriffen haben, denn ich weiß gewiss, dass ich Aniswasser, Anchovissauce und Salatessig geschmeckt habe. Als ich selbst nach dem Genuss dieser Stärkungsmittel noch immer ganz außer Fassung war und von Schluchzen geschüttelt wurde, legte sie mich auf das Sofa, steckte mir einen Schal unter den Kopf, das Taschentuch von ihrem Kopf unter meine Füße, damit ich nicht den Überzug beschmutzen konnte, und setzte sich hinter den bereits erwähnten grünen Schirm. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, ich hörte nur, wie sie von Zeit zu Zeit einige »Gott sei uns gnädig!« wie Flintenschüsse hervorstieß.
Nach einer Weile klingelte sie.
»Janet«, sagte sie, als das Mädchen hereinkam. »Geh hinauf, empfiehl mich Mr. Dick und sage ihm, ich möchte ihn gerne sprechen.«
Janet machte erstaunte Augen, als sie mich ganz steif auf dem Sofa liegen sah, denn ich getraute mich nicht, eine Bewegung zu machen, um nicht meine Tante zu erzürnen, – und ging dann hinaus, um ihren Auftrag auszuführen. Meine Tante marschierte, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab, bis der Herr, der mich aus dem oberen Fenster angezwinkert hatte, lachend hereintrat.
»Mr. Dick«, sagte meine Tante, »seien Sie jetzt kein Narr. Niemand kann gescheiter sein als Sie, wenn Sie wollen. Also bitte, nur so vernünftig wie möglich!«
Der Gentleman machte sogleich ein ernstes Gesicht und sah mich an, als wollte er mich bitten, nur ja nichts von der Szene vorhin am Fenster zu verraten.
»Mr. Dick«, fuhr meine Tante fort, »Sie haben mich einmal David Copperfield erwähnen hören. Tun Sie jetzt nicht, als ob Sie kein Gedächtnis hätten, denn Sie und ich wissen das besser.«
»David Copperfield«, sagte Mr. Dick, der sich meiner trotzdem nicht zu erinnern schien, »David Copperfield? Ach ja, richtig. David. Stimmt.«
»Also«, sagte meine Tante, »dies ist sein Sohn. Er wäre seinem Vater so ähnlich wie möglich, wenn er nicht seiner Mutter so gliche.«
»Sein Sohn«, sagte Mr. Dick, »Davids Sohn? Wirklich?«
»Ja«, fuhr meine Tante fort, »er hat hübsche Sachen angestellt. Er ist davongelaufen. Ach, seine Schwester, Betsey Trotwood, wäre nie davongelaufen.«
Meine Tante schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf voll Vertrauen auf den Charakter und das Betragen des Mädchens, das nie geboren worden war.
»O Sie glauben, sie wäre nie davongelaufen?« sagte Mr. Dick.
»Ach Gott, der Mann!« rief meine Tante ärgerlich. »Was er wieder redet. Ich weiß doch, dass sie es nie getan haben würde, sie würde mit ihrer Patin beisammen gewesen sein, und wir hätten einander sehr lieb gehabt. Von wo, zum Kuckuck, hätte seine Schwester, Betsey Trotwood, fortlaufen sollen und wohin denn?«
»Nirgends«, sagte Mr. Dick.
»No also«, erwiderte meine Tante, durch die Antwort besänftigt.
»Wie können Sie so zerstreut sein, Dick, wo Ihr Verstand so scharf ist wie die Lanzette eines Chirurgen. Jetzt sehen Sie hier den jungen David Copperfield, und die Frage, die ich Ihnen vorlege, ist, was soll ich mit ihm anfangen?«
»Was Sie mit ihm anfangen sollen«, fragte Mr. Dick verlegen und kratzte sich hinter den Ohren. »Anfangen sollen?«
»Ja«, sagte meine Tante mit einem ernsten Blick und den Zeigefinger in die Höhe haltend. »Ich brauche einen vernünftigen Rat.«
»Hm, wie wäre es«, sagte Mr. Dick nachdenklich und mich mit leerem Blick ansehend, »ich würde –« mein Anblick schien ihm plötzlich einen Gedanken einzuflößen – und er ergänzte rasch: »ich würde ihn waschen.«
»Janet«, sagte meine Tante und drehte sich mit einem stillen Triumph, den ich damals noch nicht verstand, um: »Mr. Dick hat immer recht. Heize das Bad.«
Obgleich ich das größte Interesse an dem Gespräch hatte, konnte ich mich doch nicht enthalten, während desselben meine Tante, Mr. Dick und Janet genau zu beobachten und mich im Zimmer umzusehen.
Meine Tante war eine große Dame mit strengen Zügen, aber durchaus nicht bös aussehend. Es lag eine Unbeugsamkeit in ihrem Gesicht, in ihrer Stimme, ihrem Anzug und in ihrer Haltung, dass ich mir den Eindruck erklären konnte, den sie auf ein