F. John-Ferrer

Wo sind sie geblieben


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redet weiter: »Ich kann mir nicht mehr vorstellen, Franz, dass wir immerzu Glück haben und nichts verpasst kriegen. Irgendwann erwischt es uns auch wie den Blenk oder wie vor vierzehn Tagen den Klotz. Ich bin nicht zimperlich, Franz, nee, bestimmt nicht, ich bilde mir ein, eine dicke Haut zu haben, aber wenn ich an einem Stahlhelm vorbeikomme, der auf einem Astknüppel hängt, stelle ich mir manchmal vor, dass ich es bin, der da im Loch liegt … mit dem Astknüppel und meinem Stahlhelm über mir.«

      »Mensch, dir ist wohl der Schnaps meiner Emmi in die Birne gestiegen?« Gimmler lacht heiser.

      »Komm«, sagt Alsdorf, »fahr Emmis Geschenk noch einmal her, nehmen wir noch einen Schluck.«

      Gimmler zieht die Flachbauchige, reicht sie Alsdorf, und der schraubt den Verschluss auf, riecht, macht »Hm …« und trinkt einen kleinen Schluck.

      Es wird langsam dunkel und schneit noch immer dünn und stetig. Alsdorf schiebt den zerfransten Mantelärmel zurück und schaut auf die Armbanduhr.

      »Sechse ist es schon«, murmelt er. Er wirft einen Blick nach draußen. »Scheint nischt los zu sein. Alles ruhig.«

      »Aber der Iwan soll durchgebrochen sein«, erinnert Gimmler. »Wenn er da ist, steckt er dort drüben im Wald und wartet ab, bis es dunkel geworden ist.«

      »Horchen wir mal«, schlägt Alsdorf vor. Und er nimmt den Stahlhelm vom Kopf, fährt sich mit der Hand durch das zottelige, langgewachsene Haar und macht den Hals lang. Auch Gimmler horcht.

      Im Norden, fern und grollend, hört man Frontdonner. Dort, wo Tscherkassy liegt, rückwärts also, paukt es in unregelmäßigen Zeitabständen.

      Plötzlich vernimmt man in nordöstlicher Richtung MG-Feuer. Kurz. Dann anhaltend. Dann verstummt es plötzlich.

      »Bei der Ersten scheint was los zu sein«, sagt Alsdorf. Und seufzt. »Mensch, wie das bloß ausgehen soll! Mir ist es manchmal, als wären wir schon in einem Sack drinnen, der nur noch nicht zugeschnürt ist.«

      »Du unkst heut ganz schön, mein Lieber!« Gimmler grinst herüber. »Ich werde froh sein, wenn uns die Kumpels ablösen. Mit dir ist heute einfach nischt los.«

      Alsdorf schaut noch einmal auf die Uhr. »Eine halbe Stunde noch«, murmelt er, »dann kommt die Ablösung. Lausig kalt ist es.« Er pocht mit den Fußspitzen auf die Erde.

      Plötzlich fährt Gimmlers linker Arm herüber. »Du – schau mal!«, ruft er erregt. »Da vorne ist doch was!«

      Alsdorf späht hinaus, hebt mit der Hand den flatternden Zeltbahnzipfel hoch und kneift die Augen zu einem Spalt.

      »Ich seh nischt«, murmelt er. »Wo soll was sein?«

      »Ganz drüben – beim Wald«, flüstert Gimmler, als wäre der Feind schon dicht herangekommen. »Ich hab ein paar dunkle Punkte gesehen!«

      »Vielleicht sind’s Rehe.«

      »Rehe! Du Spinner! Wo sollen hier Rehe sein?«

      Die beiden Landser schweigen und starren in die Dämmerung, in der das dünne Geflocke niedersinkt. Aber man kann doch ziemlich weit schauen – die Straße entlang, die ein paar sanfte Biegungen beschreibt und dann im Wald verschwindet. Die Kälte ist jetzt spürbar geworden, die beiden Landser frieren und trommeln mit den Fußspitzen auf den Boden.

      »Los«, sagt Alsdorf, »stehen wir auf, sonst werden wir Eiszapfen. Ich hab kein Gefühl mehr in den Knochen.«

      Gimmler und Alsdorf kriechen aus dem Loch und richten sich auf. Sie tragen schmutzig-weiße, schon halbzerfetzte Tarnhemden. Ihre Stahlhelme sind gekalkt.

      Plötzlich stutzen die beiden Landser und horchen. Es ist ihnen, als klirre in der Dunkelheit etwas – gedämpft nur, mit dumpfen Brummtönen vermischt.

      »Das sind Panzer«, stammelt Alsdorf. »Du meine Fresse«, entfährt es dem Gefreiten, »auch das noch!«

      Sie horchen angestrengt. Das Geräusch ist wieder verschwunden. Ruhig fällt der Schneevorhang ins dämmerige Dunkel.

      »Einer von uns beiden muss Meldung machen«, sagt Gimmler.

      »Willst du …?«, fragt Alsdorf.

      »Nee«, sagt Gimmler, »lauf du los. Ich bin schlecht zu Fuß.«

      Alsdorf fängt zu rennen an. Er rennt nicht nur wegen des verdächtigen Geräusches, sondern weil ihm endlich wieder warm werden und das gestockte Blut rascher zu kreisen beginnen soll.

      Im alten Bauernhof ist Hajek gerade dabei, sich frische Fußlappen um die Füße zu wickeln, als die

      angelehnte Tür aufgerissen wird und Alsdorf hereinstolpert.

      »Herr Feld«, keucht er, »Panzer sind im Anmarsch … auf der Straße … vom Wald her … wir haben Panzergeräusch gehört!«

      Hajek beeilt sich, die Knobelbecher an die Füße zu kriegen. »Habt ihr euch nicht getäuscht, Alsdorf?«

      »Nee. Ich kann einen Panzermotor recht gut von einem Sachsmotor unterscheiden, Herr Feld.«

      Hajek nickt nur. Höhn und Friemelt schauen verstört auf den Zugführer.

      »Sollen wir das Bataillon verständigen?«, fragt Höhn.

      »Seid ihr noch nicht dabei, ihr lahmen Hühner!«, knurrt Hajek und läuft hinaus.

      Gleich darauf trillert ein Pfiff. Längs des Bahndammes wird es lebendig. Ein paar Gestalten kommen angerannt.

      »Unteroffizier Reischach, Obergefreiter Ebner – los, Leute holen und rauf zur Straßenhöhe!«, befiehlt Hajek. »Panzer sind im Anmarsch. Beeilt euch!«

      Dann traben Hajek und Alsdorf über den hartgefrorenen Schnee, den eine dünne Schicht Neuschnee bedeckt, durch die Dämmerung zur Straßenanhöhe hinauf.

      Gimmler kommt aus dem Deckungsloch gekrochen.

      »Wo sind die Panzer?«, schnauft Hajek.

      Gimmler hat sich die ganze Zeit über die Augen ausgeschaut, hat wie ein Luchs hingehorcht, aber seit zehn Minuten ist alles still.

      »Sie sind wieder weg«, sagt Gimmler etwas verlegen. »Aber es waren bestimmt Panzer, Herr Feld.«

      »Ich hab sie auch gehört«, versetzt Alsdorf.

      Hinter ihnen poltern laufende Schritte, ertönt Gekeuche. Die erste und die zweite Gruppe kommen angerannt. »Wo brennt’s?«, schnauft Unteroffizier Reischach; er ist auch einer der wenigen, die noch zum Stamm der Zwoten gehören.

      »Gimmler und Alsdorf wollen Panzergeräusche gehört haben«, sagt Hajek, und dann schickt er die beiden Gruppen links und rechts auf die Hügelkammlinie und befiehlt ihnen, in Stellung zu gehen. Hajek will selber mal nachschauen, schauen was vorne los ist. Als er gehen will, erbietet sich Alsdorf, ihn zu begleiten. Hajek ist einverstanden. Ein paar Augenblicke später verschwinden sie im leichten Schneetreiben.

      Schweigend traben sie die Straße hinunter, verfallen aber bald in langsameren Schritt. Die Straße beschreibt eine sanfte Rechtsbiegung; man kann ihren weiteren Verlauf nicht sehen, da sie um einen verschneiten Hügel herumführt.

      Hajek biegt nach rechts ab, und dann waten die beiden Gestalten durch angewehten Neuschnee auf den Hügel zu, wühlen sich durch eine überhängende Schneewächte hinauf und bleiben, oben angekommen, keuchend im Schnee liegen.

      Von dort aus kann man wohl ein Stück der Straße sehen, aber der Rest, der bis zum Wald hinreicht, wird durch das schneetreibende Dunkel verhüllt.

      »Habt ihr euch auch nicht verhört?«, fragt Hajek. »Kam das Panzergeräusch – wenn es wirklich eins war – nicht aus dem Waldstück dort drüben?«

      »Nee, Herr Feld – wir haben uns bestimmt nicht verhört«, erwidert Alsdorf und schleckt Schnee gegen den Durst.

      Hajek späht durch das Dunkel, strengt das Gehör an, vernimmt keinen verdächtigen Laut, der auf die Nähe der Panzer schließen ließe. Es ist alles still;