Michael Bahrs

VERBRECHEN AM FUSSBALL


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      Was sich im ersten Moment nach einem Stammtischgespräch anhört, ist bei näherer Betrachtung aber durchaus brisant. Anscheinend sind diese Abläufe im Amateurbereich normal. Viele meiner Mitspieler wissen, dass ich Polizist bin. Deshalb vertiefen sie diese Gespräche eher selten mit mir. Nur wenn ich ihnen Abläufe einer Manipulation erklären soll, fragen sie mich. Viel interessanter und gesprächsbereiter sind sie, wenn es um professionelle Fußballspiele geht. Da vermischen sie dann ihr eigenes Wissen aus dem Amateurbereich mit meinen Erläuterungen und bilden sich eine Meinung. »Ist doch sowieso alles krumm – geht doch nur um Kohle«, sagen sie mir dann oft. Wenn ich sie darauf hinweise, dass sie ja schon mal im Amateurbereich damit anfangen könnten, den Sumpf trockenzulegen, höre ich oft in Ruhrpott-Deutsch: »Lass gut sein, solln se doch alle machen. Ich pöhle hier noch bis zu meiner Rente und der Rest ist mir egal.« Pöhlen ist im Ruhrgebiet ein Synonym für Fußballspielen. Entscheidend ist aber die Einstellung – die Selbstverständlichkeit, mit der Manipulationen offenbar hingenommen werden. Kaum einer regt sich darüber auf, obwohl im Grunde jeder weiß, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.

      Eine der massivsten Manipulationsmöglichkeiten, mit denen ich konfrontiert wurde, besteht darin, dass sich Investoren in einen Verein einkaufen, um im Anschluss Einfluss auf die Mannschaft und den jeweiligen Spielausgang nehmen zu können. Der gesamte Verein wird durch die Kriminellen unterwandert. Das läuft in etwa so ab: Ein finanziell nicht so gut aufgestellter Verein wird durch die Kriminellen angesprochen. Man stellt finanzielle Mittel in Aussicht und kündigt zudem an, weitere Spieler und auch Funktionäre im Verein zu installieren. Häufig drängt man auch noch auf die Auswechslung des Trainerteams. Das Argument Geld ist natürlich verlockend, und viele Vereine sehen zunächst tatsächlich die Chance, sportlich wieder einen Aufschwung zu erleben. Dem »Investor« geht es jedoch nur darum, seine Machtposition auszunutzen, um fortan Einfluss auf den Spielausgang zu nehmen und so zum Beispiel am Wettmarkt illegale Gewinne einzustreichen. Es werden Vorbereitungsspiele oder Freundschaftsspiele organisiert, mit dem Hintergrund, auch dort weisungsgemäß zu agieren – also zu manipulieren. Erst allmählich erweist sich das vermeintliche sportliche Engagement als Mittel zum Zweck, dessen Antrieb reine Geldgier ist. Hierbei möchte ich auf eine Dimension hinweisen, die oftmals völlig außer Acht gelassen wird: die Fußballspieler. Die Profis dieses Vereins, die bereit waren, an einer Manipulation mitzuwirken und vielleicht dennoch über hohe spielerische Qualitäten verfügen, sind natürlich fortan erpressbar. Sollten sie also irgendwann einmal die Chance bekommen, zu einem erfolgreichen und bekannten Team wechseln zu können, sind manipulative Handlungen dieser Spieler sehr wahrscheinlich. Denn diese Fußballspieler sind das Kapital der Verbrecher.

      Eine weitere Form der Spielmanipulation ist die Einflussnahme von Kriminellen auf die Profis selbst. In den folgenden Kapiteln werde ich solche Abläufe genau beschreiben.

      Die Hintermänner kommen größtenteils aus der illegalen Glücksspielszene und haben sich über die Jahre ein Netzwerk von Mitstreitern aufgebaut, die sich in der Wett- oder Glücksspielszene bestens auskennen. Sie verfügen über besondere Kontakte, die dazu geeignet sind, möglichst hohe Wetten in vielen unterschiedlichen Ländern zu platzieren. Der asiatische Markt ist so etwas wie das Schlaraffenland – sowohl für Kriminelle, als auch für herkömmliche Wettspieler. Denn der dortige Wettmarkt kennt keine Limits. Die niedrigsten Spielklassen – auch deutsche Amateurspiele – sind bewettbar. Und die Wetteinsätze sind fast unbegrenzt.

      Diese günstigen Rahmenbedingungen nutzen die Kriminellen aus und brauchen dafür lediglich ein Werkzeug: Fußballspieler. Es ist leider Realität, dass sich Sportler für Manipulationen gewinnen lassen. Denn es ist auch für die Sportler lukrativ. Nein, ich schere nicht alle über einen Kamm. Und ja, es gehört vermutlich nur eine geringe Anzahl von Sportlern einem solchen Netzwerk an. Aber nicht jeder Fußballspieler – auch nicht jeder professionelle Fußballspieler – ist Millionär. Und die Halbwertszeit einer Karriere ist begrenzt. Der monetäre Anreiz, mit vermeintlich wenig Aufwand ein Spiel zu manipulieren, ist daher sehr verlockend. Also haben wir hier eine Form der Manipulation, die eine Absprache zwischen kriminellen Wettsetzern und Fußballspielern voraussetzt. Beide vereinbaren ein Spielereignis, auf das Einfluss genommen wird, und platzieren hohe Wetten. Für ihr Handeln auf dem Platz bekommen die Sportler durch die Kriminellen einen gewissen Anteil ausgezahlt. Wobei die Fußballspieler natürlich durch ihr Handeln auch zu Kriminellen werden – sich also nicht von ihnen unterscheiden.

      Eine weitere Form der Manipulation ist die mit Schiedsrichtern. Auch sie können zu dem zuvor erwähnten Kreis derer zählen, die mit dem kriminellen Netzwerk zusammenarbeiten und Absprachen treffen. Jedoch gibt es bei den Schiedsrichtern noch eine weitere Form der Manipulation: die falsche Identität. Es werden Schiedsrichter zu Spielen angesetzt, die in der Realität überhaupt nicht auf dem Platz stehen. Sondern es pfeifen völlig andere Personen. Häufig findet man diese Konstellation bei Vorbereitungsspielen im Trainingslager. Vor jeder Saison werden die obligatorischen Trainingscamps von Profimannschaften aufgesucht – Belek, Málaga, Mallorca, Istrien, um nur einige zu nennen. Dort tummelt sich vor jedem Freundschaftsspiel ein Pool an Schiedsrichtern. Den Vereinen ist es völlig egal, wer ein solches Vorbereitungsspiel pfeift. Den Kriminellen nicht. Denn während das Ergebnis für die Mannschaften eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist das Resultat der Goldesel für Matchfixer. Denn auch auf solche Vorbereitungsspiele lassen sich Wetten platzieren. Und zwar sehr hohe.

      Dazu fällt mir ein Sachverhalt ein, der dies treffend belegt: Ich befand mich mit meiner Familie im Urlaub, als ich ein Sportmagazin durchblätterte. In einem winzigen Absatz wurde über ein Vorbereitungsspiel in der Türkei zwischen Werder Bremen und AZ Alkmaar berichtet. Das Spiel endete 2:1 für Bremen. Auffällig war für mich die Nachspielzeit in so einem bedeutungslosen Vorbereitungsspiel. Ganze zehn Minuten ließ der bulgarische Schiedsrichter nachspielen. Da war für mich klar, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich informierte den Bochumer Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann, um Ermittlungen aufzunehmen. Es stellte sich heraus, dass sich der angesetzte Schiedsrichter zum Zeitpunkt des Spiels überhaupt nicht in der Türkei aufgehalten hatte. Unter seinem Namen hatte ein ganz anderer Schiedsrichter die Partie gepfiffen. Niemand wusste davon. Im Rahmen der Ermittlungen fuhr ich zusammen mit Andreas Bachmann nach Bremen, und wir vernahmen den damaligen Geschäftsführer von Werder, Klaus Allofs, als Zeugen. Wir wollten von ihm wissen, wie so ein Freundschaftsspiel organisiert wird. Wer ist für die Ansetzung der Schiedsrichter zuständig, was passiert in einem Trainingslager vor Ort, wie kann es passieren, dass ein Schiedsrichter eine Begegnung pfeift, obwohl er gar nicht für das Spiel vorgesehen war? Werder Bremen war nicht die einzige Mannschaft, die von so einem Vorfall betroffen war. Im Laufe der Ermittlungen wurden weitere Begegnungen von Bundesligisten bekannt, die einen ähnlichen Verlauf hatten. Und die Antworten der Verantwortlichen auf unsere Frage, wie solche Spiele organisiert werden, waren inhaltlich gleich: Es gibt spezielle Agenturen, um Trainingslager inklusive Freundschaftsspielen zu organisieren. Die Vereine kümmern sich nicht selbst um die administrativen Dinge, schon gar nicht darum, welcher Schiedsrichter angesetzt wird. Der Fokus wird auf die Trainingsbedingungen gelegt. Aus Sicht der Verantwortlichen kann ich das verstehen. Wenn ich jedoch weiß, dass ich als Verein dazu benutzt werde, Manipulationen zu ermöglichen, finde ich, sollte auch in diesem Ablauf ein Umdenken stattfinden.

      Damals konnte ich in Absprache mit dem DFB erreichen, dass Schiedsrichterbeobachter aus Deutschland zu den Freundschaftsspielen entsandt wurden. So weit ich informiert bin, liegt die Ansetzung eines Schiedsrichters für ein Vorbereitungsspiel im Aufgabenbereich des jeweiligen Fußballverbandes des Austragungsortes. In Belek wäre also der türkische Fußballverband, in Málaga der spanische Fußballverband verantwortlich. Der DFB hat somit keine Möglichkeit, eigene Schiedsrichter einzusetzen. Aber sollte nicht jeder Fußballverband Interesse daran haben, dass die Spiele manipulationsfrei ablaufen? Doch Jahr für Jahr geschieht das Gleiche: Die Verbände der Mannschaften, die ihre Trainingslager im Ausland durchführen, halten sich heraus. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

      Ein Wort noch zu den Agenturen, die solche Komplettpakete anbieten. Auch hier gibt es schwarze Schafe, die auf besondere Weise mit den Schiedsrichtern zusammenarbeiten. Oder gar ganze Mannschaften dazu benutzen, um zu manipulieren.

      Und damit wäre ich bei der nächsten Methode, mit der ich im Rahmen der Ermittlungen zu tun hatte: Eine nur zum Zweck der Manipulation