wurde. Der Neue trug ein langärmliges Hemd, dessen Muster Monika an Eisblumen im Drogenrausch denken ließ, dazu eine schwarze Stoffhose und Chucks. Sie würde ihm sagen müssen, dass neutrale Hemden und Businessschuhe besser zu einem angehenden Versicherungskaufmann passten. Über der Schulter hing ein brauner Lederrucksack.
Monika stand auf, während der neue Azubi näherkam. Seine Augen wirkten aus der Nähe so blau wie die Perlhyazinthen, auf die Monika im Frühjahr immer so sehnsüchtig wartete. Auffällig waren auch die langen Wimpern, die Monika sogleich an ihre deutlich kürzeren denken ließen. Im Gegensatz zu ihrem neuen Azubi war Monika nicht mit langen dunklen Klimperwimpern gesegnet. Doch der Gedanke verflog schnell und wich der Feststellung, dass der neue Azubi, obwohl keiner dieser typischen Schönlinge, das gewisse Etwas hatte. Der junge Mann sah gut aus, das konnte Monika nicht leugnen.
»Ich bin Miro!« Wieder diese tiefe Stimme, die in Kontrast zu seinem leicht androgyn anmutenden Äußeren stand.
»Nein, bist du nicht. Ich habe deine Bewerbungsunterlagen gesehen. Guten Tag, Frank!« Sie grinste, als sie ihm die Hand reichte. Ein fester Händedruck, dachte Monika und sah bereits an seinem Lächeln, dass er äußerst überzeugt von sich selbst war.
»Und du bist?«
Sie hatte ihm noch kein Du angeboten. Dennoch entschied sich Monika, keinen Aufstand zu machen. Sie wollte weder zickig noch asbach wirken.
»Monika Habermaß. Monika ist übrigens mein richtiger Name.«
»Erwischt!« Frank alias Miro lächelte und fuhr sich durch die Haare. »Ich kann den Namen Frank nicht ausstehen. Frank Rahner… Das klingt nach einem Mittfünfziger!«
»Immerhin kein Kevin-Justin«, antwortete Monika. Sie selbst war nach ihrer Großmutter väterlicherseits benannt und hatte nach jahrelanger Abneigung im Teenageralter irgendwann Frieden mit ihrem Vornamen geschlossen. Es konnte einen immer noch schlechter treffen.
Anstatt eine fachliche Frage zu stellen, war das Erste, was Monikas neuer Auszubildender wissen wollte: »Geht es hier auch so ab wie in der Serie Stromberg?«
Monika musterte Frank, der sich selbst offenbar den Namen Miro gegeben hatte.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, antwortete sie und hätte ihn am liebsten aus ihrem Büro geschoben und einem Kollegen aufgedrückt. Sie hatte die Serie nie gesehen. Interessierte Frank sich überhaupt für die Arbeit eines Versicherungskaufmannes? Es machte auf Monika nicht gerade den Eindruck, dass sie Frank einfach so mit zu Kunden nehmen konnte, ohne dass er sich in vollkommen andere Themen als das Fachliche verstrickte. Gutes Aussehen hin oder her – sie war keine zwanzig mehr! Und zudem verheiratet. Selbst in jüngeren Jahren war Monika nicht der Typ Frau gewesen, der sich jedem beliebigen Kerl an den Hals geschmissen hatte.
»Nie gesehen?«
Monika schüttelte den Kopf.
»Da hast du was verpasst! Aber hey, wir können das nachholen! Man wird ja auch mal Leerlauf hier haben, oder?«
»Du meinst eine Mittagspause?«
Frank nickte.
»Ja, die gibt es. Offiziell von zwölf Uhr dreißig bis dreizehn Uhr. Aber da ich bloß von montags bis donnerstags je fünf Stunden arbeite, mache ich keine Mittagspause. Du wirst die Nachmittage über bei anderen Kollegen unterkommen. Ich kümmere mich darum.« Wieso war das ihre Aufgabe? Herr Deters hatte den Auszubildenden angeschleppt, also sollte er sich gefälligst selbst damit befassen! Typisch Männer…
»Setz dich neben mich, dann kann ich dir ein bisschen was erzählen, ehe wir in etwa einer Stunde zu einem Kundentermin aufbrechen. Aber das da«, Monika deutete auf Franks Hemd, »geht gar nicht! Kunden erwarten von ihrem Versicherungsberater ein dezentes und neutrales Aussehen.«
In Franks Blick spiegelte sich Amüsement. »Ich kann es ausziehen, wenn es dir dann besser geht!« Sogleich begann Frank damit, die Knöpfe aufzumachen. Monika schluckte, als sie einen Blick auf Franks Oberkörpererhaschte. Weder zu viel Fett noch zu viele Muskeln. Sondern genau richtig, sodass Monika am liebsten über Franks Haut gestrichen hätte, um zu wissen, wie sie sich anfühlte. »Du ziehst dir einfach ab morgen neutralere Hemden an. In Ordnung? Am besten ohne Muster.«
»Sterilweiß? Oder darf es auch ein bisschen rosa sein?«
Monika bemerkte die Spitze sofort. »Von mir aus auch beerdigungsschwarz. Hauptsache, es sieht seriös aus.«
»Seriös kann ich.« Ihr war alles andere als wohl bei dem Gedanken, diesen jungen Mann in ihr Auto steigen zu lassen und zu einer potenziellen Kundin mitzunehmen. Frank stellte seinen Rucksack ab und nahm sich einen der beiden Stühle, die vor Monikas Schreibtisch standen. Bevor er jedoch neben ihr Platz nahm, öffnete Frank seinen Rucksack und zog eine Plastikflasche mit einer lachsroten Flüssigkeit hervor. Melonenwelle las Monika auf dem Etikett.
»Auch einen Schluck?«
Wahrscheinlich hatte sie zu sehr auf die Flasche geglotzt.
»Nein, danke!« Monika roch den viel zu süßen Geruch des Getränks. »Ich bin süchtig nach dem Zeug!«, gestand Frank ihr und Monika war wieder mal überzeugt worden, dass Werbestrategien auch bei Erwachsenen – oder solchen, die sich dafür hielten – funktionierten.
Immerhin war das Fenster auf und sorgte für etwas Luftzirkulation. Frank setzte sich neben Monika und schaute sie an. »Dann erzähl mal!«
Woher nahm er diese Lockerheit? Hatte er gar keine Angst, gleich am ersten Tag wieder rausgeschmissen zu werden? Nicht, dass sie die Kompetenzen dazu gehabt hätte, aber das konnte Frank nicht wissen.
»Wieso hast du dich für die Ausbildung zum Versicherungskaufmann entschieden?«, fragte Monika. Mal sehen, was Frank darauf antwortete.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit seiner tiefen Stimme zurückgab: »Ich kann Leuten gut Dinge andrehen. Das ist doch wichtig in dem Job, oder?«
Er schien noch schlimmer zu sein, als der erste Eindruck Monika zugeflüstert hatte. Wieso musste er so attraktiv sein?
»Wir drehen hier niemandem etwas an. Wir beraten Kunden, die an diversen Versicherungen oder einer Altersvorsorge interessiert sind. Du musst dich mit dem, was du den potenziellen Kunden erzählst, auskennen. Ansonsten trauen die Kunden dir nicht. Vertrauen ist wichtig! Wir wollen keine krummen Geschäfte machen, sondern den Leuten ein Stück Sicherheit in ihrem Leben bieten. Dafür stehen wir als Versicherung.« Sie musste ihm dieses Gehabe austreiben. So könnte sie ihn niemals auf echte Kunden loslassen! Wahrscheinlich würde sie diejenige sein, die von Herrn Deters die Quittung bekam, sollten in den kommenden Wochen die ersten Beschwerden eintrudeln!
Monika griff nach dem Formular, das sie vorhin ausgedruckt hatte, steckte es in einen unbenutzten Ordner der Lebenswert-Versicherung und legte ein paar Informationsbroschüren hinzu. Sie wollte gut vorbereitet zu dem Termin gehen. Wie immer.
»Du wirst mich schon einarbeiten!«
Täuschte sie sich oder zuckten Franks Mundwinkel, während er die Worte aussprach? Monikas Handinnenflächen begannen zu schwitzen. Da war dieser winzige Gedanke: Ob er auch so dreist beim Sex vorging?
2. Früher oder später sowieso
Als sie in ihren weißen Fiat Panda stiegen, bereute Monika zum allerersten Mal, sich nicht für einen größeren Wagen entschieden zu haben. Es fühlte sich beinahe an, als säße Frank eng an sie gedrückt. Monika schaltete die Klimaanlage ein. Trotz der milden Temperaturen war ihr heiß.
Bestimmt liegt es vor allem daran, dass ich es hasse, Zuschauer beim Fahren zu haben, redete sich Monika ein. Doch jeder noch so kurze Blick in Richtung Beifahrersitz belehrte sie eines Besseren. Frank musterte sie amüsiert – und sah dabei viel zu gut aus. Zu allem Überfluss ertönte beim Einschalten der Zündung das Lied, das Monika auf der Hinfahrt zur Arbeit rauf und runter gehört hatte: Nicht verdient von Michelle und Matthias Reim.
»Was ist das? Hausfrauen-Herzschmerz-Musik?«
»Das ist Michelle! Schlager!«, antwortete