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Methoden der Theaterwissenschaft


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und Proszenium für Klang und Übertragung haben. Im Gegensatz dazu erscheinen historische Theater, die eine architektonische Rekonstruktion – wie etwa das Confidencen-Theater in Ulriksdal – oder eine radikale Umstrukturierung – wie etwa das Markgrafentheater in Bayreuth – erfuhren, in ihrer instrumentellen Wirkung eingeschränkt. In letzterem hat die Modernisierung der Bühne zur radikalen Beschneidung und Rücksetzung des Proszeniums geführt. Obgleich der intakte Zuschauerraum mit seiner Holzstruktur einen exzellenten Resonanzraum darstellt, kann man sich nur in Ansätzen vorstellen, welches Potential das ursprüngliche Proszenium im Zusammenklang mit dem Auditorium entfalten konnte. Diese Aspekte historischer Theaterpraxis werden einem erst bewusst durch das praktische Experimentieren. Lässt man sich darauf ein, hat dies Konsequenzen für das Verständnis historischer Theaterpraxis in ihrer spezifischen Interaktion mit den entsprechenden Theaterräumen.

      2) Aushandlung zwischen Eigenem und Fremdem

      Dennoch erschließen sich die Bedingungen und Produktionsmittel historischer Praxis nicht unmittelbar. Im praktischen Experimentieren, in Workshops, Proben, Theateraufführungen, wird man beständig gezwungen, das ‚Eigene‘ und das ‚Fremde‘ gegeneinander/miteinander auszuhandeln und auch die Differenzerfahrung auszuhalten. Wenn man sich mit philosophischen und ästhetischen Konzepten, die im Kunstdiskurs und in der Kunstpraxis des 18. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt haben, befasst, dann fällt es im Denken erst einmal nicht schwer, die abstrakten Begriffe an eigenen Theoriekonzepten, am gängigen Diskurs der eigenen Zeit abzugleichen. Unsere akademische Ausbildung hat den Kritikmuskel trainiert und ausgedehnt, so dass wir uns leicht tun mit einer differenzierten Argumentation. Schwieriger ist es, die Aufführungserfahrung im historischen Gewand, die ‚historisierende Praxis‘, mit den inneren ästhetischen Gradmessern in Einklang zu bringen. Der ästhetische Lustgewinn stellt sich mal mehr, mal weniger ein. Auf den ersten Blick, im ersten Anhören, erschließen sich nicht alle Momente, alle Ebenen der Aufführung sofort. Manches erscheint sehr befremdend, hölzern, unpassend, eben unzugänglich und fremd.

      In der historisierenden Aufführung von Pygmalion1, die das Forschungsprojekt Performing Premodernity experimentell erarbeitet und in mehreren öffentlichen Aufführungen zur Diskussion gestellt hat, ging es darum, die Passion des Künstlers mit historischen Aufführungsmitteln auszudrücken und dabei Jean-Jacques Rousseaus kunsttheoretische Vision des Melodramas im Werk selbst und der historisierenden Praxis aufzusuchen. Für mich funktionierte das ästhetische Erleben in den Projekt-Aufführungen nur eingeschränkt. In bestimmten kurzen Momenten, wenn die historisierende Deklamation des Akteurs (des Sängers João Luís Paixão als Pygmalion) einen musikalischen Flow erreichte und fast schon in Gesang überging, gelang es, mich ästhetisch anzurühren. Wenn aber zum Beispiel in der Musik ein Klopfen zu hören war und Pygmalion gleichzeitig den Hammer nahm und im gleichen Rhythmus schlug, dann konnte ich diese inszenatorische Redundanz schwer ohne Ironie hinnehmen. Es stellte sich jedoch heraus, dass ausgerechnet diese kleine Aktion in der Original-Partitur so von Rousseau verzeichnet und auch die Musikpassage von ihm selbst komponiert ist2. Wie geht man damit um?

      Abb. 3:

      Pygmalion von Jean-Jacques Rousseau, 2015, Schlosstheater Český Krumlov. João Luís Paixão als Pygmalion. Foto: Performing Premodernity.

      Der Vorschlag wäre, diese Herausforderung anzunehmen und zu diskutieren, ob die von mir schlecht zu akzeptierende Doppelung des Hämmerns nicht doch anders wahrgenommen werden kann. Können wir vielleicht an den Punkt kommen, zu sagen: „Aha, hier ist eine Verbindung von Musik und Geste, die eigentlich genau im Zentrum von Rousseaus Denken ist.“3 Dann würde also die historische Quellenarbeit und Kritik die unmittelbare ästhetische Erfahrung anders konditionieren, die Analyseebene immer mitreflektierend.4 Wir könnten dann annehmen, dass Rousseau diesen Moment als Signifikant oder als Indizierung dieser Brücke verwenden wollte. Die Rückbesinnung auf die praxeologische Basis hilft hier zum einen, die eigene ästhetische Wahrnehmung als solche überhaupt zu markieren, und gleichzeitig zu einer Artikulation und Reflexion der fremdartigen ästhetischen Wahrnehmung zu kommen. Das Unbehagen und die Fremdartigkeit machen dann Sinn in der Abgleichung und Verhandlung mit bereits Gewusstem und Erfahrenem.

      3) Theaterhistorisches Modell vs. Diversität der Szenischen Angebote

      Wie bereits angesprochen, ist es nicht das Ziel einer praxeologischen Theaterhistoriographie Modelle von historischer Theaterpraxis zu erzeugen, vielmehr interagiert sie mit aktuell vollzogener Praxis als eine mögliche historische Deutung unter vielen. In Bezug auf heutige Kunst und Kultur erkennen wir eine große Bandbreite an szenischen Ereignissen als theatrale Praxen an. Wenn wir aber zurückschauen in die Geschichte, dann tendieren wir dazu, ein ideales Modell zu suchen. Wir stellen etwa fest, barocke Theaterpraxis hat diese und jene Aspekte und Elemente. Wenn man dann aber genauer in die Aufführungspraxis hineinschaut und auch in die überlieferten Partituren und Quellen, dann stellt man fest: Vieles passt in die geprägte historiographische Formel vom Barocktheater gar nicht hinein. Es wäre nun möglich, dies als historische Abweichung zu denunzieren, vielleicht sogar ganz aus dem Definitionsbereich von barockem Theater herauszunehmen, um das Modell zu retten. Oder man geht den umgekehrten Weg und erkennt an, dass das Modell sich notwendig bis zur Unkenntlichkeit ausdifferenzieren muss. Dies erscheint adäquat, zumal gerade das 18. Jahrhundert keineswegs mit einer fixierten literarischen Werkkategorie operierte.

      Das praktische historisierende Theaterprojekt kann hier ein Angebot sein, mit der differenzierten historischen Praxis umzugehen und das Denken in Abweichung und Norm zugunsten von Vielfalt und Ausdifferenzierung abzulegen. Dennoch muss man sich bewusstmachen, dass auch die historisierende Aufführung in der Gefahr steht, wiederum ein Modell zu generieren. Die Theater-Produktion wird schnell als Modell aufgenommen und kommodifiziert. Das oben beschriebene Pygmalion-Projekt geht gerade diesen Weg. Die Produktion wird immer wieder als Lehrmittel und als Performance im Kontext von Studienprogrammen, Konferenzen, Early Music-Festivals u.ä. angefragt. Gerne sehen wir die Strahlkraft unserer Arbeit, die geteilte Faszination am historisierenden Experiment. Und dennoch dürfen wir nicht nachlassen, die diskursive Klammer zu setzen und dieses Produkt unserer praxeologischen Theaterhistoriographie durch Reflexion weiter permanent in Frage zu stellen und quasi durchzustreichen. Nur so kann eine Modell-Bildung unterlaufen werden.

      Ausblick

      Eine praxeologische Theaterhistoriographie kann in die Befragung historiographischen Textwissens investieren und durch praktische Workshops und Projekte die Zugangs-Möglichkeiten zu historischer Praxis erweitern. Die eigene Wissens- und Wissenschaftspraxis lässt sich mit performativen Formaten befragen und produktiv weiterentwickeln. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Rekonstruktion historischer Aufführungen, sondern um die kritische Konstruktion/Produktion differenzierender historischer Narrative. Das kreative Zusammenwirken akademischer und künstlerischer Forschung ist dabei die notwendige Voraussetzung, so wie es exemplarisch im Forschungsprojekt Performing Premodernity zur historischen Theaterpraxis im späten 18. Jahrhundert durchgeführt wurde. Die performative und erfahrungsbasierte Verhandlung zwischen dem, was als Theater damals und heute praktiziert wird und wurde, ist als Initial neuer historischer Erzählungen grundsätzlich wertvoll und lässt sich denkbar auf weite Bereiche und Momente der Theatergeschichte ausdehnen.

      Transnationale Theatergeschichte(n): Der biographische Ansatz

      Berenika Szymanski-Düll

      Historisch betrachtet ist die Geschichte des professionellen Theaters auch eine Geschichte der Mobilität. Bereits seit der Antike ziehen Mimen, Gaukler, Artisten und Schauspieler1 mit ihrer Kunst von Ort zu Ort. Trotz der zunehmenden Etablierung ‚stabiler‘ bzw. ‚stehender‘ Bühnen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts blieb das Theater keineswegs ‚stehen‘; ganz im Gegenteil: Die Revolution auf dem Gebiet des Transportwesens und die Industrialisierung der Verkehrsmittel ermöglichten es Theaterschaffenden, insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihren einschränkten Radius auszuweiten: Zogen die Wandertruppen bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mit Eseln, Pferden und Karren mühsam von Dorf zu