Julia Fritz

Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht


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hohen Abwahlzahlen der Jungen eine eindeutige Sprache zu sprechen scheinen, bestätigen sich die vermeintlichen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in Bezug auf die Wahrnehmung von Fremdsprachenlernen und ‑unterricht nicht zwangsläufig.1

      Beispielsweise wird in der Untersuchung von Kallenbach (1996:192) das Geschlecht als Einflussfaktor seitens der Befragten nur zweimal erwähnt, was darauf hindeutet, dass es für die Lernenden keine besondere Relevanz für das eigene Fremdsprachenlernen besitzt. Auch die Forderung nach einem geschlechterdifferenzierenden Fremdsprachenunterricht, in dem „Jungenthemen“ gleichermaßen Berücksichtigung finden wie „Mädchenthemen“ (vgl. z.B. Schoolmann-Dogan 2007; Bonin 2009), ist zu überdenken, wenn man die Ergebnisse der Studie von Apelt und Koernig betrachtet, nach denen die Interessen und Vorlieben von Jungen und Mädchen gleichermaßen vielgestaltig und geschlechtsunspezifisch sind:

      Auch wenn ein Großteil der „Mädchen-Themen“ einen allgemein sensibleren, emotionaleren Charakter zu tragen scheint, und trotz des erwartungsgemäßen ersten Ranges bei den „Jungen-Themen“ [Computer/Technik, Anm.d. Verf.], darf nicht übersehen werden, daß es im Prinzip (mit geringen Abweichungen) die gleichen Themen sind, die den Jungen und Mädchen besondere Freude bereiten. (Apelt & Koernig 1994a: 167)

      Signifikante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen stellt Düwell (1979:209) nicht über die gesamte Stichprobe hinweg fest, sondern lediglich im Bereich der instrumentellen Motivation in der achten Jahrgangsstufe der Gesamtschule, sodass diese nicht durch die Geschlechtszugehörigkeit allein erklärbar sind. Und auch wenn Mädchen sprachliche Fächer im Allgemeinen (vgl. Sambanis 2009:10) und Französisch im Besonderen eher zu bevorzugen scheinen, ihre Leistungsbereitschaft höher einschätzen (vgl. Holder 2005:299) und sie im Rahmen der MES-Studie (vgl. Meißner et al. 2008:150) in jeder der untersuchten Zonen eine positivere Einstellung zum Fremdsprachenlernen aufweisen als ihre männlichen Altersgenossen, ist zu vermuten, dass sich diese Unterschiede möglicherweise mit zunehmendem Alter der Lernenden relativieren. So zeigt die Untersuchung von Beckmann, dass das Geschlecht in der Oberstufe keinen signifikanten Einfluss auf die Einstellung zum Erlernen der Fremdsprache, die instrumentellen oder integrativen Orientierungen2 sowie die Zielsetzungskompetenz der SchülerInnen hat (vgl. Beckmann 2016:316).

      Fuchs, die die geschlechterspezifische Wahrnehmung des Faches Englisch untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass sich Unterschiede zwischen den Sichtweisen der Jungen und Mädchen nicht oder nur mit sehr geringen Effektstärken nachweisen lassen (vgl. Fuchs 2013:326). Sowohl in Bezug auf die wahrgenommene Schwierigkeit als auch Abwechslung im Englischunterricht unterscheiden sich Jungen und Mädchen nicht. Geschlechtsbezogene Unterschiede zeigten sich nur bei den bevorzugten Sozialformen. Während die Mädchen eher kooperative Arbeitsformen präferieren, mögen die Jungen vor allem wettbewerbsorientierte Lernarrangements (vgl. ebd.: 322). Die Ergebnisse von Fuchs zeigen auch, dass Jungen sich im Vergleich zu Mädchen im Englischunterricht kompetenter wahrnehmen, und bestätigen damit die Befunde von Holder (2005:298). Unterschiede zwischen den Fremdsprachen bestehen insofern, als es im Französischunterricht die Mädchen sind, die über höhere Fähigkeitsselbstkonzepte verfügen. Während Fuchs und Holder dem Englischunterricht die gleiche Attraktivität für Jungen wie Mädchen bescheinigen, widerlegt Heinzmann (2009) in ihrer Studie mit Schweizer Grundschülern diese Geschlechtsneutralität. Bereits nach acht bis neun Monaten zeigten sich die Mädchen signifikant motivierter im Fach Englisch: „In sum, the girls enjoy their English lessons more, they feel less overburdened and less anxious to make mistakes, they learn English because they enjoy hearing or speaking it more so than the boys and they expend more effort.“ (ebd.: 28)

      Dass vor allem die Wahrnehmung des Sprachenfaches Französisch von Geschlechterstereotypen geprägt ist, zeigen die Untersuchungen von Christ (1996) sowie auf internationaler Ebene3 Williams et al. (2002). Denn was, so Fuchs (2013:319f.), durch die Präsenz der englischen Sprache im Alltag für den aktuellen Englischunterricht überwunden scheint – dass sprachliche Fächer eher als weiblich attribuiert werden –, haftet dem Französischunterricht nach wie vor noch stärker an. Schüler, die sich bei der Kurswahl in der Sekundarstufe II für vermeintlich geschlechtsuntypische Fächer wie Französisch entscheiden, haben das Gefühl, unter Rechtfertigungsdruck zu geraten und mit geschlechtsstereotypen Hänseleien rechnen zu müssen (vgl. Christ 1996:23). Und auch in der Studie von Williams et al. tendierten die befragten britischen Jungen dazu, Deutsch zu lernen, weil die Sprache im Gegensatz zu Französisch eher männlich konnotiert sei (vgl. Williams et al. 2002:520). Schmenk (2002) beobachtet im Rahmen ihrer Metastudie Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtstypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung darüber hinaus auch seitens der Forschenden eine stark stereotypisierende Tendenz. Selbst wenn deren Untersuchungsergebnisse einen weiblichen Fremdsprachenvorteil nicht bestätigen, werden – ungeachtet aller Inkonsistenzen und mangelnder Nachweise – Erklärungen angeführt, die die These des erfolgreicheren weiblichen Geschlechts beim Fremdsprachenlernen reproduzieren (vgl. ebd.: 94ff.) und einen Zusammenhang zwischen dem weiblichen Image der französischen Sprache und den hohen Zahlen von Frauen in Französischkursen und/oder (besseren) Leistungen von Fremdsprachenlernerinnen herstellen (vgl. ebd.: 55f.). Die Forscherin dekonstruiert die These einer weiblichen Superiorität beim Fremdsprachenlernen (ebd.: 118ff.) und kommt zu dem Schluss,

      daß die dargestellten Forschungsarbeiten zur Rolle des Geschlechts beim Fremdsprachenlernen weder den Prozeß des Fremdsprachenlernens noch Eigenschaften oder (Lern‑) Verhaltensweisen von erfolgreichen bzw. weniger erfolgreichen Fremdsprachenlernern oder gar mögliche Zusammenhänge zwischen beidem erhellen können. (Schmenk 2002:96, Hervorh. im Orig.)

      Dass geschlechtsstereotype Vorstellungen keinen Einfluss auf das Fremdsprachenlernen haben, zeigt auch Heinzmann (2009). Die Annahme, die vermeintliche weibliche Überlegenheit schwäche die Motivation der Jungen, Englisch zu lernen, und stärke gleichzeitig die der Mädchen, konnte nicht bestätigt werden. 50 % der befragten Jungen geben an, der Aussage, Mädchen seien bessere Fremdsprachenlernende als sie selbst, überhaupt nicht zuzustimmen; 12,5 % bejahen diese Aussage. Und obwohl die Mädchen mit 34 % häufiger ihre Zustimmung ausdrücken, bleibt dies ohne Auswirkung auf ihre Motivation:

      A belief that girls are better at language learning than boys is neither significantly correlated with girls’ motivation to learn English (rs=-.06) nor does it significantly contribute to their language learning motivation (separate regression analysis conducted with girls), but the weak relationship that exists is still a negative one. Consequently, a belief in their superior language learning capabilities does not positively affect girls’ motivation to learn English. (Heinzmann 2009:30)

      3.3.7 Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts im Vergleich der Jahrgangsstufen

      Empirische Untersuchungen bestätigen den Eindruck zahlreicher Fremdsprachenlehrkräfte, dass „die Anfangsmotivation relativ schnell nachlasse bis zu dem absoluten Tiefpunkt in Klasse 11, in der sich die Schülerinnen und Schüler zu fast gar nichts mehr bewegen ließen“ (Caspari 2008:23). Jüngere SchülerInnen scheinen demnach noch deutlich motivierter zu sein.

      Die Akzeptanz des Fremdsprachenunterrichts war in der fünften Klasse am größten. Fast 40 % der Schüler/innen bezeichneten die Fremdsprache als ihr Lieblingsfach. In Klasse 7 waren es nur noch 10 %, in den achten Klassen mit 20 % im Gesamtdurchschnitt wieder etwas mehr. (Sambanis 2009:10)

      Für das Fach Französisch belegen bereits die Ergebnisse von Düwell, dass die Zahl der SchülerInnen, deren Motivation, Französisch zu lernen, abgenommen hat, im Vergleich der Jahrgangsstufen zunimmt. Zieht man die Ergebnisse aktuellerer Studien hinzu, wird deutlich, dass sich an diesen Tendenzen wenig geändert hat. Die MES-Studie wie auch die Untersuchungsergebnisse von Beckmann zeigen, dass die Anzahl an SchülerInnen, die keine weitere Fremdsprache lernen wollen, von der Jahrgangsstufe 5 über die Klasse 9 bis hin zur Oberstufe signifikant steigt (vgl. Beckmann 2016:345). Ein Drittel der Befragten gibt in der Untersuchung von Küster (2007:220) an, Französisch „abgeschrieben“ zu haben.

      Zwar lässt sich anhand des Schemas (vgl. Abb. 5) ablesen, dass die Motivation von knapp drei Viertel aller Lernenden nach dem ersten Lernjahr konstant bleibt oder sogar zunimmt – in der zehnten Klasse gilt dies jedoch