Julia Fritz

Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht


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sowie unfaires Verhalten, z.B. Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund des Aussehens, der Nationalität, einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit oder wenn bei Fehlern gelacht wird. Aus einer solchen Außenseiterposition wieder herauszukommen empfinden die Betroffenen aufgrund fehlender Unterstützung als sehr schwer (vgl. Bocka 2003:132f.). Auch SchülerInnen, die als „zu gut“ oder „zu schlecht“ aus der Klassengemeinschaft herausstechen, erfahren häufig Stereotypisierungen und damit soziale Abwertung (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982:48f). Dies führe zu einem Dilemma zwischen der sozialen Norm der Klassengemeinschaft einerseits und der schulisch vorgegebenen, formalen Konkurrenzstruktur andererseits. Der Wunsch, besser zu sein als die anderen, kollidiert mit dem Interesse an freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen in der Klasse. Diese beiden Pole verlangen von den Lernenden ein ständiges Austarieren, um weder das Verhältnis zu MitschülerInnen zu gefährden noch im Vergleich der Leistungen zu unterliegen.

      Für Schüler können sich vielfältige Probleme aus der Konkurrenzstruktur im Klassenverband ergeben: die Angst vor dem Unterliegen in der Konkurrenz mit den anderen Schülern; die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls als Person und der eigenen beruflichen und sozialen Zukunftsperspektiven von der relativen Stellung in der Leistungshierarchie; der Verlust der sozialen Bezüge zu anderen Schülern, den Konkurrenzstrukturen mit sich bringen können etc. (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982:43).

      Besonders nachdenklich stimmen die Ergebnisse einiger Langzeitstudien, die die Entwicklung des Klassenklimas über mehrere Jahrgangsstufen hinweg untersuchen und zu dem Ergebnis kommen, dass die Lernenden mit zunehmendem Alter mehr Konkurrenz in der Klasse wahrnehmen. Da das Klima von deutschen SchülerInnen im internationalen Vergleich deutlich schlechter eingeschätzt wird, ist dies jedoch nicht ausschließlich entwicklungspsychologisch, sondern vor allem durch schulische Faktoren zu begründen (vgl. Grewe 2017:550f.).

      3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung

      In der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum finden sich Arbeiten zur Schülersicht vergleichsweise seltener als in der Pädagogik. So plädiert auch Edmondson (1996a: 81) dafür, die Erfahrungen und Einsichten der Lernenden in der Fremdsprachendidaktik und in der Fremdsprachenpolitik als Evaluationskriterien für das Produkt Fremdsprachenunterricht ernster zu nehmen. Darüber hinaus verfolgen sie andere Ansätze. Der Zugang zur Schülersicht erfolgt hier insbesondere über die Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren beim Fremdsprachenlernen (vgl. u.a. Düwell 1979; Hermann-Brennecke 1983; Meißner et al. 2008; Cronjäger 2009; Venus 2017b) sowie Studien zu subjektiven Theorien (vgl. Kallenbach 1996) bzw. beliefs (vgl. Rück 2009) oder zur Bildungsgangforschung (vgl. u.a. Trautmann 2014; Bauer 2015). Alle drei Forschungsstränge sollen nachfolgend kurz skizziert werden.

      Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren

      Den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Begriffen „affektive“ und „attitudinale“ Faktoren unternimmt Finkbeiner. Sie verweist auf eine „Tradition der Vermischung von Konstrukten“ (2001:355). Infolge der terminologischen Vagheit relativiert sie die Möglichkeit einer eindeutigen und trennscharfen Definition. Vielmehr könne es sich bei Definitionsversuchen deshalb nur um eine Annäherung an Vorstellungen über diejenigen Konstrukte handeln, die „im Moment von der scientific community am ehesten mit den Begriffen attitudinal und affektiv assoziiert werden“ (ebd.). Sie fordert insofern dazu auf, „zu explizieren, was wir untersuchen, wenn wir von affektiven und attitudinalen Faktoren sprechen“ (ebd.). Riemer (2001:379) kritisiert bei der Erforschung affektiver Faktoren, dass häufig nicht trennscharf zwischen Einstellungen, Orientierungen, Motivationen und Motiven unterschieden wird, was einen Überblick über dieses Forschungsgebiet erschwert. Auch Venus weist auf Überlappungen des Faktors Einstellungen mit anderen Konzepten hin und konstatiert, „dass der Motivationsbegriff Einstellungen zu verschiedenen Einstellungsobjekten umfasst, d.h., Einstellungen werden hier als ein der Motivation untergeordnetes Konzept begriffen“ (Venus 2017a: 123).

      Als wegweisend für die Erforschung der attitudinalen und affektiven Faktoren beim Fremdsprachenlernen ist die Fragebogenstudie von Düwell (1979) anzuführen, dessen Forschungsinteresse sich auf die Motivation, die Einstellungen sowie das Interesse von SchülerInnen im Französischunterricht der Sekundarstufe I ab Klasse 7 richtet. Eine spätere, jedoch in Erkenntnisinteresse und Forschungsmethodik vergleichbare Untersuchung bildet die europäische Vergleichsstudie Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES) von Meißner et al. (2008), welche die Lernerfahrungen sowie Einstellungen und Haltungen von SchülerInnen zweier Jahrgangsstufen gegenüber verschiedenen Sprachen quantitativ erforscht. Venus (2017b), die ebenfalls im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie die Einstellungen von bayerischen SchülerInnen an Gymnasien und Realschulen untersucht, geht darüber hinaus den Zusammenhängen dieser Einstellungen mit dem Lernerfolg sowie im Hinblick auf Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen (z.B. Geschlecht oder Sprachenfolge) nach.

      In einem engen Zusammenhang mit der Schülersicht steht ebenso die individuelle Lernervariable Motivation, die neben der Sprachlerneignung als einer der „big two“-Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt (vgl. Ellis 2004). Riemer nennt als die beiden Hauptstränge der Motivationsforschung Inhalts- und Prozesstheorien, wobei sich die Forschung bislang vor allem „mit den Beweggründen von Lernenden für das Fremdsprachenlernen und damit verbundenen Willensbildungsprozessen als mit motivationalen Prozessen im Verlauf des Fremdsprachenlernens befasst “ (Riemer 2016:267). Gerade Letztere, die Prozesstheorien, sind jedoch von Interesse, wenn es bspw. um Abwahlentscheidungen in Bezug auf die zweiten Fremdsprachen geht. Einem solchen Ansatz folgt in der romanistischen Fremdsprachenforschung zuletzt Hoffmann (2017), die in ihrer qualitativen Fallstudie mithilfe eines halbstrukturierten, leitfragenorientierten Interviews die Motive und Motivationsprozesse von FranzösischschülerInnen der elften Jahrgangsstufe in Berlin untersucht.

      Obwohl die Berücksichtigung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen in der Vergangenheit immer wieder als Desiderat formuliert wurde, beschränken sich bisherige Ansätze in der Emotionsforschung weitgehend auf den affektiven Faktor Angst, insbesondere im Hinblick auf die mündliche Sprachproduktion (vgl. Riemer 2016:268f.). Besonders hervorzuheben ist insofern die Arbeit von Cronjäger (2009), die mittels eines Längsschnittdesigns die Intensität, die Bedingungen und Wirkungen sowie Veränderungen von Unterrichtsemotionen (Freude, Stolz, Ärger, Angst, Langeweile) während eines Schuljahres zu vier unterschiedlichen Messzeitpunkten untersucht.

      Betrachtet man die forschungsmethodologischen Konzeptionen, die diesen Untersuchungen zugrunde liegen, fällt auf, dass die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit der Erforschung affektiver Faktoren beschäftigen, quantifizierende Ansätze verfolgen. Daneben existieren jedoch auch Studien, die im qualitativen Forschungsparadigma zu verorten sind.

      Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien

      Besonders hervorzuheben ist hier das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (vgl. Kallenbach 1996; Grotjahn 1998; Kolb 2007), das einen explorativen Zugang zu den individuellen Sichtweisen der SchülerInnen auf das Erlernen fremder Sprachen ermöglicht. Durch die Anwendung dieses aus der Sozialpsychologie stammenden Forschungsprogramms (vgl. Groeben et al. 1988) auf den Kontext des Fremdsprachenlernens gelingt es, Einsichten in die individuellen Vorstellungen und Überzeugungen von Lernenden – d.h. „ihre jeweils subjektiv erlebten, empfundenen und ‚verarbeiteten‘ Erfahrungen im Umgang mit Fremdsprachenlernen“ (Kallenbach 1996:75) – zu gewinnen. Die individuellen Sichtweisen von OberstufenschülerInnen erhebt Kallenbach mittels eines dreischrittigen Verfahrens aus Interview, Fragebogen und Struktur-Lege-Technik.1 Damit unterscheidet sich ihre Studie in Bezug auf die theoretische Konzeption, die der Schülersicht zugrunde gelegt wird. Denn anders als bei den zuvor genannten Arbeiten geht es bei diesem Ansatz nicht um die empirische Messung bzw. Erforschung affektiver Lernervariablen, sondern um „komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut“ (ebd.: 49).

      Martinez (2008:98) verweist in ihrer Studie auf das Forschungsprogramm Subjektive Theorien als den „am weitesten ausgearbeitete[n] Ansatz zur Rekonstruktion der subjektiven Sicht von Lernenden“. Aktuelle fremdsprachendidaktische Studien