nach wie vor in Geltung, heißt es:
Die Bauern sind in unserem Herzogtum keine Erbzins- oder Pachtleute, sondern Leibeigene. Sie müssen daher allerhand angemessene Frondienste ohne Beschränkung und Gewißheit leisten. Auch sind sie und ihre Söhne nicht mächtig, ohne Vorwissen der Obrigkeit und der Erlassung der Leibeigenschaft von den Höfen und Hufen sich wegzubegeben. Demgemäß gehören die Hufen, Äcker, Wiesen usw. einzig und allein der Herrschaft und Obrigkeit jedes Ortes, und die Bauern haben keinerlei Nutzungsrecht auf sie, selbst wenn sie oder ihre Vorfahren die Hufe über 50, 60, auch wohl 100 Jahre bewohnt haben. Wenn eine Herrschaft einen Bauern von einem Hofe auf den anderen versetzen will, kann er sich dessen nicht weigern, sondern ist zu folgen schuldig. Wenn aber die Bauern ihrer Höfe ganz entsetzet und Vorwerke darauf angerichtet werden, muß der Bauer ohne Widerrede weichen und den Hof nebst Äckern, Wiesen und allen Zubehörungen der Herrschaft überlassen.
Uwe Johnson selbst hat, wiederum im Versuch, einen Vater zu finden, formuliert:
Mecklenburg bleibt das einzige Land im Deutschen Reich ohne allgemeine Wahlen, der letzte ständische Staat, Ritterschaft, Domanium [sic!], Landschaft, ernst angetan mit Mittelalter, die komische Figur Europas. (Versuch, einen Vater zu finden, S. 28)
Was August Nikolaus gesehen haben mag, sein Enkel hat es aufgeschrieben:
Anblicke von Katen, die abseits von Park und Herrenhaus in lahmem Fachwerk hingen, den schiefen Fenstern, über den Brettertüren die Gitter, die das brennende Stroh auffangen sollten [...] An der Wand die hölzernen Löffel, auch ein rot und blau gemaltes Gesimse für Bibel, Gesangbuch und den Grossherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen [...] Kalender. (Versuch, einen Vater zu finden, S. 8)
In einer solchen Kate wird August Nikolaus Mård ansässig geworden sein. Arbeitete wohl als Fremdarbeiter auf einem Gut, mußte »die Mütze ziehen [...] vor der gutsherrlichen Familie, vor Inspektor und Volontär und Gutsförster und Statthalter und Gouvernante.« (ebd.)
Selbst seinen Namen mußte der Schwede schließlich aufgeben. »Mård« war den Mecklenburgern zu schwierig. Der »Sohn eines John« hatte ein Schwede für sie zu sein. 1897 wurde der Name »Johnson« offiziell, amtlich eingetragen in die Register des Deutschen Kaiserreichs. Das geschah im Zusammenhang mit der Einberufung der Söhne dieses nun »Johnson« Geheißenen in die kaiserliche Armee, ein Faktum, dem sozialgeschichtlich Symbolik eignet. Denn, man erinnert sich, der Kaiser brauchte Soldaten in dieser Zeit. Des Kaiserreichs imperiale Pläne – sie führten im Vorfeld zur definitiven Eingemeindung von Uwe Johnsons schwedischem Großvater. Hanne-Lore Johnson hat das überliefert:
Es kam die Zeit, dass auch die Jungs Soldaten werden sollten. Sie gingen zur Musterung und da wurde der Name Mård aufgerufen. Sie selber wussten nicht, dass sie Mård hiessen. Und weil der Name Johnson nicht fiel, gingen sie nach hause. Da kam der Amtshauptmann zu A. N. Mård: »Wollen Sie nicht die deutsche Staatsbuergerschaft annehmen?« Nun hatte A. N. Mård sein Auskommen, sparsam war er auch und hatte sich etwas erspart. »Ja«, sagte er, »das kann ich machen.« Die Antwort des Amtshauptmanns: »So, nun muessen Ihre Söhne Soldat werden.« Seit der Zeit sind wir deutsche Staatsbürger.
Erst gegen Ende des Jahrhunderts kann Uwe Johnsons Großvater sich verheiratet haben, wahrscheinlich mit einer erheblich jüngeren Frau. Er ist bereits 59, als im Jahr 1900 Uwe Johnsons Vater Erich geboren wird. Der Großvater jenes Schriftstellers, der die Provinz Mecklenburg durch vier Jahrzehnte hindurch und noch aus weiter Ferne so tiefenscharf wie kein anderer beschreiben sollte, hatte, bildlich gesprochen, endgültig Boden unter den Füßen und gründete eine Familie mit, wie Hanne-Lore später schreiben wird, »5 Jungs«. Sein Todesdatum kennen wir nicht; auch nicht den Platz seines Grabes. Rum-Kogel kann nicht der einzige Wohnort des Schweden in Mecklenburg geblieben sein. Da der Sohn Erich in Kladow zur Welt gekommen ist, spricht vieles dafür, daß dies auch der letzte Lebensort des ausgewanderten Schweden war.
ZWEITES KAPITEL
DIE ELTERN UND DIE »DEUTSCHE HEIMSCHULE«
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GEBURTSORT CAMMIN UND DIE ANFÄNGE EINER PERSON.
DIE ELTERN, ABER KEIN LOB DES HERKOMMENS
Die Anfänge der Person Uwe Johnsons liegen mehr im dunkeln als die Anfänge seines Geschlechts. Das hat er selbst so gewollt. Distanzierung erscheint als Programm. Es gibt bei ihm kein Gottfried Kellersches Lob des Herkommens, auch keinen Fontanisch ausgeglichenen Rückblick auf die Kinderjahre. Undenkbar im Fall des Uwe Johnson ist die freundlich-ironische Beschreibung der astrologischen Konstellation zur Stunde der eigenen Geburt – wie immer Goethe es in Dichtung und Wahrheit gehalten und noch Günter Grass am Beginn der Blechtrommel darauf angespielt hat. »Die Konjunktur war glücklich« – diesen Satz hat der nicht schreiben können, der im Zeichen des radikalen Bruchs mit der Elterngeneration erwachsen werden und schreiben lernen würde.
Im Gegenteil: Seine Sache mußte die Distanzierung vom Vorausgegangenen sein. Vom »Dritten Reich« des »Führers« Adolf Hitler zumal, in das er hineingeboren wurde, das er in besonderer, intensiver Weise erlebte, da die Eltern ihn auf eine Eliteschule der Nazis gegeben hatten. Johnsons Blick auf die eigene Biographie war daher auch notwendigerweise bestimmt vom Registrieren der Brüche. Das ist bereits an den Lebensläufen ablesbar, erst recht an der Literatur, die er verfassen wird.
Es gibt Lebensläufe Uwe Johnsons, die beginnen überhaupt erst mit dem Jahr 1945. Zu diesem Zeitpunkt kam er aus Hitlers »Deutscher Heimschule« frei, die siegreiche Rote Armee stand vor den Schultoren. Uwe Johnson mußte seine Anstalt nicht mit der Panzerfaust in der Hand verteidigen, war dafür noch um ein weniges zu jung. Noch die Reflexionen der Begleitumstände, verfaßt 1979, fünf Jahre vor seinem Tod, setzen erst mit dem Jahr 1945 ein. Wiederum einen anderen Lebenslauf beginnt der bereits Erwachsene im März 1958 wie folgt:
Mein Name ist Uwe (Klaus Dietrich) Johnson. Ich wurde geboren am 20. Juli 1934 in Kammin.
Die Klammer, die die beiden zusätzlichen Vornamen einschließt, kann man sie verstehen als die ironische Distanzierung eines, der kein »Dietrich von Bern« zu sein wünschte, als die zeichenhafte Abgrenzung des Sohnes gegen eine elterliche Namensgebung, die er als Teil des Programms auch verstehen mußte, das ihn auf die »Heimschule« brachte? Anderes tritt eindeutiger in Erscheinung in zwei Lebensläufen, die im Leipziger Universitätsarchiv lagen. Im jüngeren der beiden parodiert der Sohn die Titelsucht seiner Mutter, der folgend er im ersten den Vater als »Oberkontrollassistent« und »Obertierzuchtwart« zu apostrophieren wohl angehalten war. – Mit brillantem Spott wird er später, im Abschlußband der Jahrestage, solch autobiographische Herkunftsbeschönigung noch einmal vorführen:
Soziale Herkunft, Beruf des Vaters: Landwirt. Im Fragebogen von 1949: Diplomwirt. 1950: Direktor der städtischen Gärten, Parks und Friedhofsbepflanzung von (sei unbesorgt. Ich verschweige den Namen der Stadt. Überdies hast du ihn ja regelmäßig ausgesprochen, wie er nun auf polnisch lautet. Besten Falls Anita hat ihn verstanden) eines größeren Gemeinwesens im heutigen Volkspolen. Bürgerlich. (Jahrestage, S. 1722)
Der »Obertierzuchtwart« Erich Johnson schwingt sich in der Literatur des Sohnes zum »Direktor der städtischen Gärten« auf.
In seinen Lebensläufen hat Uwe Johnson also schon früh Distanz zwischen sich und seine Herkunft gelegt. Er hat andererseits Erich Wünderich, als dieser an seiner Johnson-Monographie arbeitete, den Namen der oben ausgesparten Stadt durchaus wissen lassen. Das geschah am 20. September 1972, mit einer für den in persönlichen Angelegenheiten recht Verschlossenen beispiellosen Offenheit:
Geboren am 20. Juli 1934 in dem heutigen Kamien Pomorski (mit Akzentzeichen auf dem n), daher später als Pommer reklamiert. Tatsächlich war die Mutter eine Bauerntochter aus dem Dorf Darsewitz auf dem Westufer der Dievenow, sie ging zur Geburt des ersten Kindes aus Anklam zurück auf den Hof der Eltern, also in das Krankenhaus Kammin auf dem Ostufer, und ist da wohl zehn Tage geblieben. Der Vater jedoch war aus Kladow in Mecklenburg, Absolvent des landwirtschaftlichen Seminars Neukloster, Gutsverwalter und Inspektor auf meist mecklenburgischen Gütern, seit ungefähr 1930 Angestellter des