Patricia Vandenberg

Sophienlust Box 15 – Familienroman


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      »Oh, ich bin Ihnen ja so dankbar. Ich habe sonst niemanden, bei dem ich Bärbel unterbringen könnte.«

      »Ich kann Ihre Situation verstehen«, meinte Denise verhalten, wobei ihre Gedanken zurück zu der Zeit wanderten, da auch sie einmal ganz allein mit ihrem Sohn Dominik gewesen war. »Bringen Sie die kleine Bärbel ruhig zu uns. Sie wird bei den anderen Kindern schnell Anschluss finden und sich wohlfühlen.« Zugleich fragte sie sich besorgt, ob die junge Frau vorhabe, allein in den Dolomiten herumzuklettern.

      »Ich werde nicht allein in die Dolomiten fahren«, sagte Corinna da, als habe sie Denises Gedanken erraten. »Der beste Freund meines Mannes wird mich begleiten.«

      »Das beruhigt mich etwas«, entgegnete Denise lächelnd. »Ich hatte schon befürchtet, Sie wollten ganz allein irgendwelche schwierigen Bergtouren unternehmen.«

      »O nein, das wäre viel zu gefährlich«, erwiderte Corinna lebhaft und schilderte Denise, welche Gefahren in den Bergen lauern konnten. Aber nicht nur die Gefahren beschrieb sie, sondern auch die seltsame und beeindruckende Schönheit dieses stolzen Bergriesen. Jedes einzelne Wort verriet dabei, wie sehr sie diese Welt liebte.

      Auf eigenartige Weise beeindruckt, verabschiedete sich Denise schließlich von Corinna. Die beiden Frauen hatten vereinbart, dass Corinna ihre vierjährige Tochter bereits in zwei Tagen nach Sophienlust bringen sollte.

      Denise begleitete Corinna bis zu ihrem kleinen Personenwagen. Dabei wurde sie von Nick beobachtet. Wer kann die fremde Frau sein?, fragte sich der Junge. Er kannte sie nicht. Neugierig lief er zu seiner Mutter, sobald sie allein war. »Du bist ja so nachdenklich, Mutti?«, begann er diplomatisch.

      Denise schmunzelte. »Sag mir doch lieber gleich, dass du wissen möchtest, wer die Dame war.«

      Nick atmete erleichtert auf. »Ja, Mutti, das möchte ich gern wissen. Bringt sie uns ein Kind?«

      »Ja, ihre kleine Tochter Bärbel. Sie wird vier Wochen bei uns bleiben. So lange wird Frau Saller in Urlaub fahren, und zwar zum Bergsteigen in die Dolomiten.«

      »Ach so«, meinte Nick. »Ich wollte gerade sagen, dass es ein bisschen komisch ist, wenn eine Mutter in Urlaub fährt und ihr Kind nicht mitnimmt.«

      Denise, die die eigenartigen Ansichten ihres Sohnes in dieser Hinsicht kannte, verteidigte Corinna. »Wenn sie zum Bergsteigen geht, kann sie ihre vierjährige Tochter wirklich nicht mitnehmen.«

      »Na ja, das ist auch das Einzige, was sie entschuldigt.«

      »Aber, Nick«, wunderte sich Denise. »Seit wann bist du gar so streng?«

      »Weil die armen Kinder immer die Leidtragenden sind«, schimpfte er. »Da streiten sich die Eltern, gehen auseinander oder lassen sich scheiden. Und wer leidet darunter? Die Kinder!«

      »Das war ja eine richtige kleine Moralpredigt, die du mir da gehalten hast, Nick!« Es sollte scherzhaft klingen, doch Denises Augen blieben ernst dabei. »Ich glaube jedoch, dass der Fall von Frau Saller ein wenig anders liegt«, fuhr sie fort. »Sie hat ihr Töchterchen sehr lieb und sich nur schwer entschlossen, die kleine Bärbel vier Wochen allein zu lassen. Aber ihr Mann ist beim Bergsteigen in den Dolomiten abgestürzt. Darunter leidet sie heute noch, und deshalb zieht es sie wahrscheinlich wieder dorthin.«

      Nick war bereits vernünftig genug, um derartige seelische Konflikte zu verstehen. Denn Denise hatte es sich schon lange zur Gewohnheit gemacht, ganz offen mit ihrem Sohn über alles zu sprechen.

      *

      Zwei Tage später fuhr ein Personenwagen mit einem etwa zweiunddreißigjährigen Mann, einer jungen Frau und einem Kind in den Hof von Sophienlust ein.

      Nick, der sich an diesem Vormittag absichtlich im Haus aufhielt, benachrichtigte schnell seine Mutti. »Sie ist da, Mutti!«

      Denise war so in ihre Post vertieft, dass sie einen Moment lang nicht wusste, wovon Nick sprach.

      »Ich meine die kleine Bärbel«, erklärte Nick ungeduldig.

      »Ach ja!« Denise erhob sich rasch und ging zur Haustür, um Corinna Saller zu empfangen.

      Corinna war bereits ausgestiegen und kam nun an der Seite eines sehr sportlich und zuverlässig wirkenden Mannes auf das Haus zu. An der Hand führte sie ein hübsches kleines Mädchen mit langen blonden Locken.

      Denise begrüßte die junge Frau herzlich und wandte sich dann sofort an das Mädchen.

      »Du bist also die Bärbel. Es wird dir bestimmt bei uns gefallen.« Sie reichte dem kleinen Mädchen lächelnd die Hand, das auch tatsächlich für einen Moment seine Schüchternheit vergaß und zurücklächelte.

      Seltsam blass war das niedliche Gesichtchen. Denise nahm sich vor, Corinna zu fragen, ob die Kleine immer so angegriffen aussah. Doch vorerst wandte sie sich an den begleitenden Herrn, den Corinna als Jochen Rauscher vorstellte. Er war Denise auf Anhieb sympathisch, sodass sie ihn dementsprechend begrüßte.

      Im gleichen Moment trat Nick zu ihnen. Denise stellte ihren Sohn vor. Artig verbeugte er sich zuerst vor Corinna und dann vor Jochen Rauscher. Mit dem ihm eigenen Charme wandte er sich danach an die kleine Bärbel, die ihm auch sofort zutraulich ihr Händchen entgegenstreckte.

      Denise sah, dass Corinna Saller dieses Zutrauen ihres Kindes mit freudiger Überraschung registrierte. Ein anerkennender, zugleich aber auch dankbarer Blick der jungen Frau traf Nick.

      »Darf ich Bärbel mit zu den anderen Kindern nehmen?«, fragte der Junge.

      Denise und Corinna Saller nickten fast gleichzeitig. Sie verstanden, dass Nick dem Mädchen damit den Abschied erleichtern wollte.

      Ein wenig besorgt wandte sich Corinna an ihre Tochter, die Fremden gegenüber sonst immer sehr schüchtern und zurückhaltend war. »Nick wird dich mit zu den anderen Kindern nehmen, Bärbelchen.«

      »Und du gehst weg, Mutti?« Bärbels Stimme schwankte. Sie richtete ihre großen braunen Augen fragend auf Corinna.

      Dabei fiel Denise wieder die Blässe im Gesicht der Kleinen auf.

      »Aber doch nicht für lange«, mischte sich da Nick ein. »Du wirst deine Mutti bald wiedersehen, Bärbel. Inzwischen kannst du hier mit den Kindern und mit den Tieren spielen.« Er lachte das kleine Mädchen an. Zur Überraschung der Erwachsenen nickte Bärbel und lächelte zaghaft zurück.

      Um ihrer Tochter den Abschied zu erleichtern, nahm Corinna sie ganz schnell in die Arme, küsste sie zärtlich und schob sie dann vorsichtig Nick entgegen. »Mach’s gut, mein Schatz, Mutti wird dich bald wieder abholen.«

      Doch bevor Bärbel mit Nick ging, streckte sie ihre Ärmchen noch nach Jochen Rauscher aus, über dessen Gesicht bei dieser kindlich-zutraulichen Geste ein erfreutes Lächeln glitt. »Auf Wiedersehen, Bärbel.« Er beugte sich zu dem Mädchen herunter und küsste es liebevoll auf beide Wangen.

      »So, Bärbel«, sagte Nick und nahm das Kind bei der Hand. »Jetzt gehen wir zu den anderen Kindern. Sie sind auf der Weide bei den Ponys.«

      Zwar warf Bärbel noch einen letzten bangen Blick auf die Mutter, doch Nicks Ankündigung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Bärbel ergrifff Nicks Hand und ging mit ihm.

      Denise bat Corinna und ihren Begleiter für einen Moment ins Haus. In der Halle vor dem Kamin bat sie die beiden, Platz zu nehmen, und fragte, ob sie eine Erfrischung bringen lassen dürfe.

      Doch Corinna und Jochen lehnten ab. Sie wollten sich nicht lange aufhalten, da sie an diesem Tag noch einen weiten Weg vor sich hatten.

      Deshalb hielt sich Denise auch nicht lange mit Vorreden auf, sondern fragte Corinna rundheraus, ob Bärbel immer so blass sei.

      Sofort stieg Besorgnis in den Augen der jungen Frau auf. »Nein, das ist sie erst seit einigen Tagen, und zwar nicht nur blass, sondern auch seltsam erschöpft. Ich weiß nicht, was mit dem Kind los ist. Normalerweise ist Bärbel sehr lebhaft und hat eine gesunde Gesichtsfarbe. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob es richtig ist, sie gerade jetzt allein zu lassen.«

      Denise