nicht einfach hauen.«
Fynn zog eine Schnute.
»Micha mein Bagga wegnommt.«
»Erstens ist das nicht dein Bagger. Und zweitens darfst du ihn nicht schlagen. Das tut ihm doch weh. Du magst es auch nicht, wenn ich dir einen Klaps gäbe.«
Fynn nickte energisch.
»Mama Dlaps aua!«
»Ganz genau.« Nur mit Mühe konnte sich Tatjana ein Lächeln verkneifen. Sie strich Fynn eine blonde Locke aus der Stirn. »Das nächste Mal, wenn Micha dir den Bagger wegnimmt, gehst du zu Sabine oder Henry. Die helfen dir dann.« Sie stand wieder auf und streckte die schmerzenden Knie. Genug getadelt! Sie sah sich um. Bemerkte, dass sie an der Kreuzung standen. Rechts lag das Wolkenkuckucksheim. Links mussten sie abbiegen, wenn sie in die Wohnung gehen wollten. »Was meinst du? Sollen wir kurz in unserem neuen Haus vorbeischauen? Dein Zimmer ist fast fertig. Papa und ich haben schon die Schränke aufgestellt und dein Kinderbett aufgebaut. Magst du es sehen?«
»Ja, ja, ja.« Das kleine Gesicht strahlte vor Begeisterung.
Tatjana nahm wieder die kleine Hand, die immer ein wenig klebrig war. Munter plaudernd setzten sie ihren Weg fort. Tatjana erzählte ihrem Sohn von der Nestschaukel, die Danny im nächsten Frühjahr in den alten Ahornbaum hängen wollte. Der Koffer rumpelte hinter ihnen über den Asphalt. Die Villa kam in Sicht. Schon von Weitem erkannte Tatjana den Lieferwagen, der prominent vor dem Anwesen der Nachbarn parkte. Selbst mit eingeschränktem Sehvermögen war er nicht zu übersehen. Die Nachbarin Evelyn stand mit einem Handwerker im Blaumann daneben. Bei Tatjanas Anblick hob sie die Hand und winkte.
»Hallo, Liebes!«
Tatjanas Nackenhaare kräuselten sich.
»Hallo, Evelyn.«
Mit ganzem Gewicht hing Fynn an der Hand seiner Mutter und drängte Richtung Lieferwagen. Natürlich war der Kleine ein ganz besonderes Kind. Doch in einem glich er allen anderen Kindern auf dieser Welt: Große Autos, Lastwagen, Bagger und Müllautos übten eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Tatjana wusste nicht, wie viele Stunden sie schon vor Bauzäunen, an Bushaltestellen und neben Mülltonnen verbracht und die dazugehörigen Fahrzeuge in aller Ausgiebigkeit bestaunt hatte. Danny bewunderte sie für ihre Geduld. Doch diesmal sträubte sie sich.
»Du willst dir doch dein Kinderzimmer ansehen, oder?«, versuchte sie mit Engelszungen, ihren Sohn von seinem Plan abzuhalten.
»Ich will Lastwagen anschaun.« Vergessen stand der Koffer vor dem schmiedeeisernen Gartentor der Villa.
Fynn zog und zerrte Richtung Nachbarhaus.
»Warum so streng? Der Kleine will auch mal etwas Spannendes erleben!« Evelyns Lachen wehte herüber.
Zähneknirschend gab Tatjana ihren Widerstand auf und ließ Fynn seinen Willen.
»Habt ihr die Handwerker im Haus?«, erkundigte sie sich, nachdem sie Evelyn und den Mann in Blau begrüßt hatte.
Wieder dieses Lachen!
»Meine Nachbarin hat einen Sehfehler!«, entschuldigte sich Evelyn bei dem Handwerker. Und zu Tatjana gewandt, sagte sie: »Im Gegensatz zu eurem alten Kasten ist unser Haus ein Neubau. Wasserrohrbrüche, Heizungsausfälle, modrige Kellerräume und kaputte Stromleitungen sind glücklicherweise Fremdwörter für uns«, zwitscherte sie. »Wir investieren unser Geld lieber in zusätzlichen Luxus. Herr Merz von der Firma Aquaglück ist gerade hier, um mit mir unseren Traumpool zu planen.« Ihr Lächeln wurde noch einen Tick strahlender. »Von seinem Zimmer aus wird Fynn einen guten Blick auf den Bagger und die gesamte Baustelle haben.«
Ein Schreckensbild gaukelte durch Tatjanas Kopf.
»Ich dachte, du brauchst Ruhe beim Arbeiten.«
»Um sich einen Wunsch zu erfüllen, muss man eben manchmal Opfer bringen. Wenn du uns jetzt entschuldigst. Wir müssen uns noch eingehend mit der Planung befassen.« Evelyn beugte sich zu Fynn hinunter. »Und, wie gefällt dir das große Auto?«
»Rostlaube!«, erklärte der Kleine ernsthaft und griff nach Tatjanas Hand. »Mama, domm! Dindazimma anschaun!«
Nur mit Mühe konnte sich Tatjana ein Lachen verkneifen. Sich Evelyns wütender Blicke gewiss, ließ sie sich von Fynn mitziehen. Selbst wenn seine freche Bemerkung ihre Sorgen wegen des Pools nur kurzfristig verdrängen konnte.
*
Während Tatjana mit Fynn zwischen Umzugskartons, Tüten und Werkzeug herum stapfte, kümmerte sich Danny Norden um den letzten Patienten des Tages.
»Kann ich mich kurz unter vier Augen mit Ihnen unterhalten?«, bat er, nachdem er Maltes Vater begrüßt hatte.
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Arndt, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. »Malte und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Nicht wahr, mein Junge?« Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter. »Hat Janine Ihnen unsere Geschichte erzählt?«
»Kein Wort.« Das war die Wahrheit, und Danny war sehr froh darüber.
»Nun, Maltes Mutter erkrankte vor vielen Jahren an Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Natürlich habe ich keine Kosten und Mühen gescheut, um Ricarda zu helfen. In Zusammenarbeit mit einigen Kollegen ist es mir gelungen, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Leider konnte ich nicht verhindern, dass Ricarda depressiv wurde. Eine häufige Begleiterscheinung dieser Erkrankung. Schlussendlich hat sie uns verlassen.«
»Das tut mir leid.«
»Schon gut.« Arndt Stein winkte ab. »Das alles ist Jahre her. Heute können wir beide die Vorteile sehen, die die Trennung mit sich gebracht hat. Nicht wahr, Malte?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »So konnte ich mich voll und ganz auf meinen Sohn konzentrieren.«
Malte rutschte auf der Liege herum. Er schien sich nicht wohl zu fühlen in seiner Haut. Doch sein Vater nahm keine Notiz davon. Unverdrossen fuhr Dr. Stein fort.
»Eigentlich sind wir eher beste Freunde als Vater und Sohn. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Nun, da Malte immer öfter mit seinen Freunden unterwegs ist, ist die Zeit gekommen, dass auch ich mir wieder mehr Freiheiten nehme. Janine ist die erste Frau seit Ricarda. Ich wollte sie heute Abend mit Malte bekannt machen. Aber nun ist er mir zuvorgekommen.« Sein wohlwollender Blick ruhte auf seinem Sohn. »Ich hoffe, ich bekomme deinen Segen.«
Malte nickte.
»Sie ist nett.«
Arndt quittierte diese Antwort mit einem Lächeln.
»Da habe ich ja Glück gehabt.«
An dieser Stelle beschloss Danny Norden, dass es Zeit war, zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurückzukehren.
»Ich würde mich trotzdem gern unter vier Augen mit Ihnen unterhalten«, wiederholte er sein Anliegen.
Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Aus Maltes Hosentasche tönte ein dumpfes Klingeln. Er ahnte, wer der Anrufer sein mochte. Seine knallroten Wangen bewiesen es.
»Das ist Kurt«, schwindelte der junge Mann. »Du kannst dich ruhig mit Dr. Norden unterhalten, Dad! Das hier dauert länger.«
Arndt zögerte kurz.
»Wie du willst«, gab er sich schließlich geschlagen. »Bis später, Sportsfreund.«
*
Danny war kaum um die Ecke verschwunden gewesen, als Wendy vom Stuhl aufgesprungen war. Das Sprechzimmer war leer. Diese Gelegenheit musste sie nutzen.
»Du musst mir helfen!«, verlangte sie von ihrer Freundin und winkte sie mit sich zur Garderobe. »Ich weiß nicht, was ich heute Abend anziehen soll.«
Erst jetzt bemerkte Janine die Kleiderbügel, die fein säuberlich nebeneinander an der Stange hingen. Die Plastikfolie raschelte, als Wendy das erste Kleid herunternahm. Sie trat vor den Spiegel und hielt sich das Blumenmuster vor den Körper.
»Was hältst du davon?«
Janine