sie zu bedenken.
»Früher vielleicht. Aber jetzt nicht mehr, wo er die neue Flamme hat.« Malte lauschte auf die Geräusche, die aus dem Flur in das Behandlungszimmer herüberwehten. Leise Stimmen und unterdrücktes Kichern. Er musste sich keine Sorgen machen, belauscht zu werden. »Das Schlimmste ist, das er mich da nicht raushält und immer mit unserem guten Verhältnis angibt. Langsam kann ich es echt nicht mehr hören.«
»Freu dich doch, dass er es so sieht. Ich wünschte, meine Eltern wären ein bisschen so wie dein Vater. Stattdessen sind sie ultraspießig. Manchmal denke ich, dass sie nie jung waren.«
»Dass mein Dad mich als seinen besten Freund sieht, heißt noch lange nicht, dass er mich versteht«, platzte Malte heraus.
Antonie lachte.
»Ich glaube, es ist ganz normal, sich über seine Eltern aufzuregen. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu.«
Malte lachte mit ihr.
»Dann wird es höchste Zeit, dass mein Vater erwachsen wird.«
»Seine neue Freundin wird ihm schon dabei helfen.« Antonie legte den Arm unter den Kopf und blickte hinauf in das lichte Blätterdach, durch das das Blauweiß des Himmels blitzte. Sie hätte stundenlang dort liegen und mit Malte reden können. Und das, obwohl sie Telefonieren eigentlich hasste.
»Und was machen wir zwei Hübschen so lange?«, fragte er in ihre Gedanken hinein.
»Wie wäre es mit dem Konzert morgen Abend im Jugendzentrum?«
»Woher wusstest du, dass ich schon zwei Karten besorgt habe?«, fragte Malte heiser.
Mit einem Schlag war jeder Gedanke an seinen Vater wie weggewischt. In diesem Moment gab es nur noch Antonie und ihn und die Aussicht auf ihre erste offizielle Verabredung.
*
Nachdem Danny Norden in die Praxis seines Vaters eingestiegen war, hatte er sich viele Vergleiche gefallen lassen müssen. Obwohl er seine Arbeit gut machte, hatte es an Kritik nicht gemangelt. Erst seit Dr. Daniel Norden als Klinikchef in die Behnisch-Klinik gewechselt hatte, gelang es dem Junior, sich freizuschwimmen. Danny Norden junior änderte vieles, angefangen bei der Dienstkleidung – die Assistentinnen trugen jetzt moderne Poloshirts in Petrol zur weißen Hose – über Teile der Einrichtung bis hin zu neuen Behandlungsmethoden. An anderen Dingen hielt er allerdings fest. Dazu gehörte auch, dass er seine Patienten nach erfolgter Behandlung höchstpersönlich zum Tresen begleitete. Auch bei Arndt und Malte Stein machte er keine Ausnahme.
»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, verlangte Wendy zu wissen, kaum dass die Tür hinter Vater und Sohn ins Schloss gefallen war. »Sag bloß, du hast auch keine Lust auf den Tanzkursus.«
»Ich kann es kaum erwarten, Sie im roten Kleid durch den Saal zu schwenken.« Das Lächeln auf Dannys Lippen verschwand so schnell wieder, wie es gekommen war. »Ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen um Malte Stein.«
»So schlimm sieht die Knieverletzung doch gar nicht aus.«
»Die meine ich auch gar nicht.«
Janine blickte von der Ablage auf, die sie alphabetisch sortierte, um sie an einem der nächsten Arbeitstage in die Aktenordner im Schrank einzusortieren.
»Sie denken über die schlechten Werte nach?«
Danny nickte versonnen.
»Ich habe seinen Vater darauf angesprochen. Dr. Stein will von der ganzen Sache nichts wissen. Und negiert darüber hinaus, dass sein Sohn psychische Probleme haben könnte.«
»So kommt Malte mir allerdings auch nicht vor.«
»Ich mische mich ja ungern in deine Angelegenheiten ein«, meldete sich Wendy wieder zu Wort. »Aber ich denke, du musst sehr behutsam mit dieser sensiblen Angelegenheit umgehen. Kein Jugendlicher lässt sich gern unterstellen, er hätte psychische Probleme.«
Janine nickte.
»Das klingt gleich nach Klapse. Und in diese Kategorie will keiner gern gesteckt werden.«
»Was ist denn das für ein Ausdruck?« Danny schnalzte mit der Zunge. »Wenn Sie so über eine psychiatrische Klinik sprechen, ist das kein Wunder.«
»Die jungen Leute reden so«, verteidigte sich Janine. »Es war noch nie besonders populär, anders zu sein als die anderen. Aus der Reihe zu tanzen.«
Dem konnte Wendy nur zustimmen.
»Am Ende verspielst du nicht nur das Vertrauen des Vaters, sondern auch das des Sohnes«, warnte sie ihren Chef. »Und dann hast du auf ganzer Linie verloren.«
Die Einwände seiner Assistentinnen klangen plausibel. Danny stand am Tresen. Er stützte den Kopf in die Hände. Wo war die Lösung?
»Ich hab’s!«
Janine und Wendy zuckten zusammen. Doch Danny Norden starrte nur eine der beiden Frauen an.
»Habe ich das vorhin richtig mitbekommen? Sie sind heute Abend bei Arndt Stein eingeladen?«
Janine sah auf die Bahnhofsuhr über der Tür, groß genug, dass auch alte Menschen sie lesen konnten.
»Ich habe noch genau zwei Stunden Zeit, um mich von der Assistentin eines Allgemeinmediziners in eine unwiderstehliche Amazone zu verwandeln.«
»Ich könnte dir ein rotes Kleid leihen«, raunte Wendy ihr zu.
Es war ein letzter, verzweifelter Versuch, ihrem Schicksal zu entgehen.
Janine lachte.
»Das Kleid ist wie für dich gemacht. Ich hatte eher an den schwarzen Jumpsuit gedacht, der dir so gut gefällt.«
Wendy erinnerte sich. Nur eine Frau mit einer mädchenhaften Figur wie Janine konnte so ein Teil tragen, ohne sich lächerlich zu machen.
Für solche Überlegungen fehlte Danny an diesem frühen Abend der Sinn. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf.
»Wenn wir die Kleiderfrage geklärt hätten, habe ich eine Bitte.«
Sein Ton ließ Janine aufhorchen.
»Ehrlich gesagt bin ich mit der Einladung bei Arndt schon an den Grenzen meiner Belastbarkeit«, gestand sie. »Ich sterbe vor Aufregung, wenn ich nur daran denke.«
»Trotzdem müssen Sie versuchen, Maltes Vertrauen zu gewinnen. Sie müssen herausfinden, ob die enge Beziehung zum Vater belastend für den Sohn ist.« Danny setzte den Blick auf, mit dem er Tatjana immer ein Extrastück Torte abbettelte. »Sie sind die Einzige von uns Dreien, der das gelingen könnte.«
Janine warf einen Blick in die Runde. Wie sie es auch drehte und wendete: Ihr Chef hatte recht.
»Also gut«, seufzte sie schließlich. »Ich versuche es«, versprach sie, auch wenn sie sich ihr erstes, offizielles Rendezvous mit Dr. Arndt Stein anders vorgestellt hatte.
*
»Habe ich wirklich »Ja« gesagt?« Daniel Norden stand vor dem Eingang und starrte mit schmalen Augen hinauf zu den geschwungenen Leuchtbuchstaben. »Salsa Aventura! Das klingt nicht nach einem harmlosen Vergnügen.«
»Ist es ja auch nicht.« Felicitas lachte und zog ihren Mann in den Flur. Ein intensives Aroma nach weißem Rum und Rohrzucker, vermischt mit einem Hauch Kokos lag in der Luft. Aus dem Raum am Ende des Flurs wehten Salsa-Rhythmen. Unwillkürlich wiegte sich Felicitas die Hüften. »Das erinnert mich an unsere Kreuzfahrt. Dich nicht auch?«
Doch Daniel hatte keinen Sinn für schöne Erinnerungen. Eine steile Falte stand zwischen seinen Augen, als er den Raum betrat, in dem sich die Teilnehmer des Tanzkurses bereits versammelt hatten.
Beim Anblick seiner ehemaligen Assistentin blieb dem Klinikchef die Luft weg.
»Wendy, Sie sehen großartig aus!«
»Wie eine riesige Erdbeere«, schimpfte sie.
»Stimmt nicht. Aber ich ahne, wie Sie sich fühlen.«