Tom Wolf

Feuersetzen


Скачать книгу

der Gefahr. Er war zweimal selbst vom Feuer heimgesucht und in Padua um all sein Hab und Gut gebracht worden. So ein Feuer konnte eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen. Jobsts gewichtiges Wort brachte langsam Leben in die Gaffer. Aber Volpi ahnte bereits, dass es zu spät war … Er dachte an das, was ihm einmal einer sagte, der schon viele Feuer erlebt und zu löschen unternommen hatte: In der ersten Minute löschst du ein Feuer mit einem Krug voll Wasser. In der zweiten Minute mit einem Eimer Wasser. In der dritten Minute mit einem Anker Wasser. Und danach? Versuchst du einfach, dein Bestes zu geben …

      »Wo sind die Bütten aus den anderen Häusern? Holt eure Eimer und stellt euch in einer Reihe auf, Leute: Wir müssen eine Kette bis zur Abzucht bilden! Wo ist der nächste Pipen-Brunnen? Beim Heldt im Hof? Also eine zweite Kette dorthin!«

      Man rannte, holte Gerät, rief sich kleine Befehle zu. Jetzt endlich zögerte keiner mehr. Inzwischen waren auch die Anwohner aus weiter entfernten Straßen hinzugekommen und gliederten sich in die Ketten ein, die Wasser heranbrachten, nachdem die Tropfen aus den Vorratsbütten nutzlos auf dem brennenden Dach verpufft waren. Volpi erkannte Bartholdi und nickte ihm zu. Dann lenkte ihn der Anblick eines hageren, uralten Mannes in einem roten Kapuzenmantel ab. Viele bekreuzigten sich, und es wurde gemurmelt: »Der Feuerreiter!«

      Der Rote saß auf einem Schimmel und ritt gravitätisch die Straße vorm brennenden Haus hinunter.

      »Lasst das Wehklagen! Um Gottes Willen – sonst ist es vergebens! Lasst um Herrgotts Willen das Klagen!«, forderte er und deklamierte mit Falsettstimme im Fortreiten, nach Priesterart ständig das Kreuz schlagend:

      »Sei willkommen, du feuriger Gast,

       Greif nicht weiter, als was du hast!

       Das zähl ich dir, Feuer, zur Buß!

       Im Namen Gottes, des Vaters,

       Des Sohnes und des Heiligen Geistes!

       Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit!

       Im Namen der allerheiligen Dreieinigkeit!«

      Der Schimmel fiel in Trab, der Rote ritt die Straße In den Gröpern hinauf, um bei erster Gelegenheit links einzubiegen, wo es zu den Töpferöfen ging.

      »Was soll das? Und wer ist das?«, fragte Volpi.

      »Groenewold, der Türmer!«, sagte Bartholdi. »Hockt auf dem Südturm der Stephani-Basilika und spielt gern den Feuerreiter, denn er sieht es ja auch meistens als Erster. Es ist ein alter Brauch – das Feuer besprechen und es dabei umreiten. Dreimal insgesamt …«

      Jobsts Stimme donnerte wieder, während er das Anlegen der Leitern beaufsichtigte. Eine fragile Konstruktion wurde herangefahren.

      »Die hat Damian Baader, unser verrückter Wundarzt gebaut!«, sagte Bartholdi. »Angeblich nach einer Zeichnung des großen Leonardo, die er irgendwo gesehen hat … «

      »Sieht mir ganz und gar nicht wie das Produkt eines Verrückten aus …«, staunte Volpi, der gerade noch sah, wie durch das Drehen an einer Kurbel ein Holm mit Tritt-Sprossen ausgefahren wurde, auf dem man lotrecht in die Höhe klettern konnte.

      Keiner hatte die Hausbesitzerin gesehen. Jobst, dieser kernige, untersetzte Mann mit der gesunden Gesichtsfarbe und den schon fast weißen Haaren, wurde aschfahl und fragte:

      »Ist sie etwa noch da drin?«

      Volpi umging die Barriere der qualmenden Trümmer und rüttelte an der Tür – sie war von innen verriegelt. Unschlüssig blickte er zu der kleinen Fensteröffnung linkerhand. Absurder Gedanke, da hindurchkriechen zu wollen, selbst für den kleinen Mann neben ihm war das zu eng. Da hätte einer schon wirklich eine Schlange sein müssen … Volpi hämmerte gegen das Holz. Nachdruck war in seinen Schlägen, doch die Tür rührte sich nicht.

      »Wenn der breite Holzriegel vorliegt, könnt Ihr Euch lange mühen!«, rief Bartholdi und besah sich die grüne Tür.

      »Da müssen wir schon stärkere Geschütze auffahren … Vorsicht!«

      Die Menschen hinter ihnen wichen schreiend zurück, während Volpi Bartholdi ruckhaft mit nach vorne riss, sodass er selbst an seiner rechten Schulter schmerzhaft spürte, wie fest die Tür in ihren Angeln saß. Eine donnernd auf die Erde schlagende Saumschwelle verfehlte sie nur um Haaresbreite.

      »Die kommt uns gerade recht! Fasst mit an, aber Vorsicht mit der Glut!«, schrie Bartholdi. »Das ist genau der Rammbock, den wir brauchen! Verzeiht, aber allein … schaffe ich es nicht …«

      Endlich überwanden sie die Furcht – die nächsten Nachbarn der Schwalbe: der Walker Till und die beiden Buhlmanns – Vater Kilian und Sohn Michael –, außerdem die unweit wohnenden Tuchmacher. Auch der Bergmeister Henning Adener war unter ihnen sowie einige andere, die weit über die Zeit im Trollmönch gezecht hatten und nicht sehr standfest auf den Beinen waren. Alle sahen angsterfüllt nach oben, aber mehr wollte im Augenblick – so hofften sie inständig – nicht herunterkommen … Also packten sie beherzt zu, lieber ein kurzes und schmerzloses Ende, als lange leiden zu müssen … Vereint wuchteten sie den rauchenden Träger an. Schmerzensschreie, Flüche, aber sie ließen nicht locker und brachten es endlich dahin, dass der kantige Pfahl senkrecht auf die Eingangstür traf, bevor sie ihn fallen ließen. Der Türriegel hatte aufgegeben, aber die Tür war heil geblieben und auf den Boden gefallen … Volpi und Bartholdi stürzten ins Haus, wohingegen die anderen ängstlich draußen blieben. Die Nachbarn sorgten sich verständlicherweise mehr um sich selbst und um die eigenen Häuser. Bartholdi und Volpi schlossen die Augen bis auf einen Spalt und pressten die Ärmel ihrer Jacken vor Münder und Nasen, um das Keuchen zu vermeiden. Man sah fast nichts, denn ein feiner beißender Anhauch lungerte überall, wenngleich unten noch nichts brannte … Sie drangen in die hintere Stube im Erdgeschoss. Volpi nahm den schützenden Arm vom Gesicht weg. Sofort schossen ihm die Tränen in die Augen. Auch Bartholdi fing jetzt an zu husten, sie hechelten, hasteten zurück zur Tür, um sich noch einmal die Lungen vollzusaugen.

      »Böse Wetter!«, keuchte Bartholdi. »Die Luft wird vom Feuer droben verzehrt und abgezogen. Das Haus hat am Dach zu brennen begonnen, vielleicht am Schornstein.«

      Die von Jobst zusammengetrommelten Männer mit den Feuerhaken verharrten unschlüssig und ihr Anführer rief: »Wenn ihr sie jetzt nicht findet, die Stobeken’sche, müssen wir die Sache beenden. Wer weiß, wo sie sich herumtreibt …«

      »Die Tür war doch von innen verriegelt, wo soll sie sich da schon herumtreiben, wenn nicht drinnen?«, keuchte Volpi.

      »Es gibt ja auch einen hinteren Ausgang – zum Hof«, erklärte Jobst.

      Auf den Dächern der seitlich angrenzenden Häuser begannen die Nachbarn, mit Besen und Feuerpatschen auf die Flammen einzuschlagen, die nach ihrem Besitz leckten. Kleine Wasserladungen flogen aus ledernen Eimern. Bartholdi und Volpi wurden übergossen, bevor sie wieder ins brennende Haus stürmten. Die Stiege aus schönstem Eichenholz stand noch unbetroffen. Aber es war die reinste Räucherkammer. Volpi rannte nach hinten, um nachzusehen. An der Tür zum Hof lag auch der Riegel vor … Also nichts wie hinauf!

      Im ersten Stock war es heiß – im zweiten fast unerträglich –, aber selbst dort brannte es noch nicht. Es qualmte nur von der Decke herab. Sie sahen fast nichts vor lauter Rauch. Auf einem Tisch standen zwei Becher und eine kleine Bierkanne … Die Decke zum Dach fing seitlich, an den Wänden, wie die Luppe einer Esse zu glühen an. Auf dem Oberboden unterm Dach wütete der Brand. Durch eine der Fensteröffnungen, vor denen der Holzladen fehlte, sah Volpi die rote Gestalt des Feuerreiters wieder auf der Straße, wo es zuging wie in einem Ameisenhaufen. Durcheinander, Getriebe, Gewusel. Anrufungen verschiedener Heiliger. Eine alte Frau schrie unentwegt: »Helft, Heil’ge, helft! Florian – Agathe – Laurenz – Anton – Johannes – Paulus und Donatus – Nikolaus – Coloman – Maria und Josef – Vitus und Katharina – Könige – Evangelisten und Erzengel, oh drei Mann im Feuerofen, helft!«

      Die Stimme des Feuerreiters mischte sich drein. Sie war die Beschwörung selbst:

      »Ich gebiete dir, Feuer, bei Gottes Kraft,

       Du wollest legen deine Flammen nieder,