Im Namen Gottes, des Vaters,
Des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit!
Im Namen der allerheiligen Dreieinigkeit!«
Volpi spürte, wie Bier über seine Lippen rann … sehr süßes Bier mit einem schlammigen Beigeschmack. Schon setzte sein Begleiter den Becher wieder an. Bartholdi sah jetzt noch unheimlicher aus als der rote Reiter. Schwarz verrußt war das Gesicht des Zwerges, und die Haare klebten, vom Wasser angeklatscht, auf seinem länglich und kantig wirkenden Schädel. Mit weißgrauen Ascheflocken waren sie überstäubt.
»Ihr seid ohnmächtig geworden. Zum Glück hat man uns noch etwas Bier übrig gelassen!« Bartholdi lächelte gezwungen und rieb sich das linke Bein. »Schnell runter und raus, hier ist niemand mehr!«, schrie er, dann nahm er ebenfalls einen tüchtigen Schluck Bier. »Die Fensterlöcher sind Zugpferde für den roten Hahn da droben. Der kommt jetzt mit Fahrt nach unten … Und Ihr: Los, kommt zu Euch!«
Er zerrte am Wams des anderen.
Volpi aber beharrte keuchend: »Ich will erst noch ganz hinauf! Muss es versuchen! Ob ich sie dort finde? Ewig würde ich es mir vorwerfen, nicht nachgesehen zu haben …«
»Du bist verrückt!«, entgegnete Bartholdi, angesichts der Gefahr ins Duzen fallend. »Was kann da oben schon noch sein? Jedenfalls keine lebende Schwalbe mehr!«
Aber er sah, dass dieser sonderbare Kauz, der eben noch fast erstickt wäre, zum Letzten entschlossen war. Und ein Feigling wollte Bartholdi nicht sein. Das war immer sein Problem gewesen … Warum vermutete jeder in einem Kleinen eine Memme? Also los … Vorher nahmen sie beide noch einen letzten Schluck von diesem Bier … Rundum an den Wänden fielen dampfende Lehmbrocken von der Decke. Der Dachstock brannte lichterloh …
Übers oberste Ende der Stiege zu kommen, fiel Volpi schwer: Etwas zerrte an seinen Gliedern, er fühlte eine bleierne Schwere … Der beißende Rauch drang in die Nase – auch wenn sie sich die Tücher enger um die Köpfe gebunden hatten. Sie waren im Flammenkreis der innersten Hölle. Kein Dach mehr gab es da oben, keine Wände … bloß die aufragenden Zungen des Feuers. Eine Rauchglocke stand am Nachthimmel. Glühende Balken querten das Flammeninferno. Ihr glimmendes Gespinst konnte jeden Moment zusammensacken. Die Hitze wollte ihnen die Kleider vom Leib brennen, und der Boden unter ihnen schien in knisternder Bewegung zu sein. Im Hintergrund sah man die besonders mürben Stellen an der Wand, wo es am Grund bereits schwelte … Sie sahen Stück für Stück nach unten durchfallen. Auf den Dächern links und rechts waren die Nachbarn, verzweifelte Anstrengungen unternehmend. Sie prügelten ihre Dächer mit Feuerpatschen und riefen sich Unverständliches zu. Ab und zu schossen Wasserstrahlen herab und wurden zu Dampf, noch bevor sie auf den heißen Boden trafen …
»Da!«
Volpi deutete auf den schwarzen Fleck in der Mitte des Raumes, nahe beim Schornstein, der aus Lehm gefertigt war. Pfeifende und fauchende Feuerschlote brachen überall auf wie Geysire, wo immer neue Luftlöcher im qualmenden Grund entstanden. Jetzt sah Bartholdi, was Volpi meinte. Eine Art dunkles Podest … Ein Floß auf dem Styx. So schien es zu schwimmen auf lauter Glut und Asche, auf einem in Flammen aufgehenden schwarzen See … das einstige Bett!
»Was willst du da?«, fragte Bartholdi fassungslos. »Bis dahin kommen wir in diesem Leben nie!«
Er schüttelte entsetzt den Kopf und wollte zurück, das sah man deutlich. Mit Volpis Neugier aber war es ein eigenartiges Ding … Unmöglich, sie zu bezwingen! Schon war er dabei, sich nach vorne zu tasten. Sein Fuß suchte die Festigkeit des Untergrundes zu erproben. Es knirschte, alles unter ihm schien in Bewegung zu geraten. Aber noch hielt die Decke. Wenn erst die Tragbalken durchgebrannt wären, würde sie abstürzen. Aber da dies keinesfalls überall gleichzeitig geschähe, suchte er sich zu trösten, drohte wohl mehr ein Absacken … Knack – knack – knack! … Das war der Tanz auf einem feuerspeienden Berg. Volpi kam über den Punkt hinaus, an dem es noch ein leichter, sicherer Schritt zurück gewesen wäre. Dann ließ er die Vorsicht fahren und sprang zu dem schwarzen Sockel hin. Heilfroh, es lebend bis dorthin geschafft zu haben, begriff er im ersten Moment gar nicht, was er zu Gesicht bekam …
Wird ein Stück rohes Fleisch dem Feuer ausgesetzt, überzieht sich seine zuvor rosa oder violett wirkende Oberfläche zuerst mit einem weißgrauen Schleier. Volpi dachte an den herrlichen Duft, der in diesem Moment entsteht, und sah und roch das große Stück Lamm, das seine Mutter überm offenen Feuer garte … Es folgen Bräunungen, einzelne Stege, fahnenartige Felder, flächige Braunstellen … die Höhen werden schon muskatbraun, während sich das ursprüngliche weißliche Grau in ein dunkleres verwandelt und mehr und mehr vom durchgehenden Hellbraun verdrängt wird … Und so geht es weiter, bis die Stege sich schwärzen, dann die Flächen dunkelbraun und schließlich auch gänzlich schwarz werden. Dies geschieht etwa, wenn man ein Stück Fleisch überm oder im Feuer vergisst … Volpi fühlte eine merkwürdige Veränderung der Wahrnehmung … Die Bilder verschwammen kurz, fluktuierten … Das musste am Rauch liegen, dachte er, genauso wie die Beschleunigung des Atems. Zugleich fühlte er, wie sein Herz zu rasen begann. Erregung am ganzen Körper … Vergiftung durch die feindliche Atmosphäre … Nimm dich zusammen …
Von der Bettstatt war nur ein verkohltes Nachbild übrig geblieben, und von den beiden Menschen darin auch … denn es waren Menschen gewesen! Wie schwarze Stelen lagen sie nun vor Volpi, nahe beieinander, als wären sie im Liebesakt vereint … Falsch, es sah nicht bloß so aus – sie waren vereint gewesen … Nun war es das äscherne Nachbild ihrer Vereinigung bloß … Volpi nahm es wahr wie ein Naturwunder, wandte sich nicht ab, sondern blickte weiter wie gebannt auf die beiden Körper – gleichsam zwei schwach gekrümmte, aneinandergeschmiegte dickere Äste. Diese verbrannten Leiber, in ihrer fragilen Starre, wie aus Holzkohle geschnitzt, waren so absonderlich anzusehen, dass es ihn weder grauste noch verwunderte. Wo ihre Köpfe gesessen hatten, blähten sich kegelförmige Blasen, verkohlten, gestauchten Brotlaiben ähnlich. Haut und Haar waren verschwunden … Nur eine hellere Schmauchspur, vielleicht vom brennenden Baldachin des Bettes, lag um die schwarzen Schädel. Das Knochenwerk war fast ganz weg oder geschrumpft. Hie und da stach noch etwas davon durch die bröckelige Kruste. Unter der verbrannten Haut gähnte ein Hohlraum. Das Leben war in heiße Luft aufgegangen. Volpis Geist mühte sich, Boden zu gewinnen. Es gab keine Bilder in seinem Kopf, die dem gleichkamen. Von Opfern eines Vulkanausbruches hatte er gehört, die einst geröstet in der Lava gefunden worden waren. Aber die Holzschnitte und Kupfer davon, soweit er sie kannte, waren undeutlich gewesen. Bei öffentlichen Verbrennungen hatte er wohl Menschen brennen sehen, doch stürzten diese stets im Feuerkegel zusammen, bevor das Spektakel zu Ende ging. Man sah später nichts mehr von ihrer Gestalt. Diese dort lagen nun unmittelbar vor ihm … Die Frau … musste die Schwalbe gewesen sein … dagegen der Mann?
Wieder wurde Volpi schwummerig, und die Bilder gerannen zu reiner Schwärze. Er vernahm Bartholdis Stimme neben sich: »Einer ihrer Liebhaber!«
Der Kleine hatte es also doch gewagt, ihm zu folgen. Doch – wie sah der andere aus? Das geschwärzte Gesicht Bartholdis verzerrte sich zu einem Kürbis, dann wurde es wieder klein wie eine Birne. Als Volpi kurz die Augen schloss, um sie anschließend auf die beiden Verkohlten zu richten, schrie er auf: »Oh, mein Gott!«
Da grinsten ihn zwei lebende Verkohlte an! Schnitten Grimassen! Und redeten zu ihm! Waren das nicht der Leib und das Antlitz Johannas? Ihn grauste, denn so war es! Und neben ihr – Jacopo, ihr Amant, der ihm Hörner aufgesetzt … Ganz deutlich vernahm er ihre einschmeichelnden, rauchigen Stimmen: »Den großen wie den kleinen Mann – uns alle kriegt er irgendwann!«
»Nein!«
Jetzt schrie auch Bartholdi … Sah er die Untoten ebenfalls? Wie sie mit schwarz-kohligen Händen nach ihnen langten, mit fahrigen länglichen Klauen? Wie ihre Köpfe zu großen schwarzen Schädeln wurden, deren Deckel aufgingen, sodass man in die Esse zweier Feuerschalen blickte … inkohlte Kalebassen mit glühenden Kernen … Wie es in ihren leeren Augenhöhlen brannte? Wie ihre Münder sich öffneten und sie beide, Volpi und seinen gleichsam zitternden Nebenmann, mit Höllenrachen zu umschließen suchten? … Das alles musste Bartholdi doch auch sehen? Hoffentlich! Denn wenn der andere