Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds


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über ihr, wie wenn sie irgendetwas erlebt hätte, was sie über ihren Stand hinausgehoben hätte.

      Als Jungfer Spaak der andern über das Gatter hinübergeholfen hatte, gingen sie nebeneinander auf dem schmalen Pfad weiter.

      »Sie ist gewiss die Jungfer, die dem Haushalt auf Hedeby vorsteht?«, fragte die Bäuerin.

      »Ja, die bin ich«, antwortete Jungfer Spaak.

      »Ich möchte wohl wissen, ob Sie gern dort ist?«

      »Warum sollte man in einem so guten Hause nicht gerne sein?«, erwiderte Jungfer Spaak zurückhaltend.

      »Die Leute sagen ja, es spuke dort.«

      »Man soll nicht alles glauben, was die Leute sagen«, erwiderte Jungfer Spaak in zurückweisendem Ton.

      »Nein, das soll man allerdings nicht, nein, das weiß ich wohl«, sagte die andere.

      Beide schwiegen eine Weile. Es war deutlich, diese Bäuerin wusste etwas, und in Wirklichkeit brannte Jungfer Spaak vor Begierde, sie auszufragen. Aber das schickte sich nicht und war nicht richtig.

      Dann begann die Bäuerin aufs Neue: »Ich finde, die Jungfer sieht sehr gut und lieb aus, und ich will Ihr deshalb einen guten Rat geben! Bleibe Sie nicht zu lange auf Hedeby, denn er, der dort umgeht, mit dem ist nicht zu spaßen. Er gibt nicht nach, bis er hat, was er haben will.«

      Jungfer Spaak wollte zuerst ein wenig von oben herab für die Warnung danken, diese letzten Worte aber erregten Neugier.

      »Was ist es denn, was er haben will? Weiß Sie, was das ist?«

      »Weiß die Jungfer das nicht?«, antwortete die Bäuerin. »Nun, dann will ich nichts mehr sagen; es ist vielleicht am besten für die Jungfer, wenn Sie nichts weiß.«

      Damit reichte sie Jungfer Spaak die Hand, bog in einen andern Fußpfad ein und war bald außer Sicht.

      Jungfer Spaak hütete sich wohl, dies Gespräch der ganzen Familie beim Mittagessen zu erzählen; am Nachmittag aber, als Adrian sie in der Milchkammer aufsuchte, tat sie ihm kund, was die fremde Frau zu ihr gesagt hatte, und er war wirklich recht überrascht.

      »Das muss Marit Erikstochter von Olsby gewesen sein«, sagte er. »Dies ist seit dreißig Jahren das erste Mal, dass sie mit irgendjemand von Hedeby ein freundliches Wort gesprochen hat. Mir hat sie einmal eine Mütze geflickt, die mir einer der Jungen von Olsby zerrissen hatte; aber sie sah dabei aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen.«

      »Aber weiß sie denn, was der General sucht?«

      »Ach, Jungfer Spaak, sie weiß es besser als irgend sonst jemand, und ich weiß es auch. Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt. Die Eltern aber wollen nicht, dass man es den Schwestern mitteilt. Sie würden von Gespensterfurcht befallen werden und dann nicht mehr hier wohnen. Ich darf es auch der Jungfer Spaak nicht erzählen.«

      »Gott bewahre uns!«, erwiderte die Jungfer. »Wenn der Herr Baron es verboten hat …«

      »Es tut mir leid«, sagte Baron Adrian. »Ich glaube, Jungfer Spaak könnte mir behilflich sein.«

      »Ach, wenn ich das dürfte!«

      »Denn ich wiederhole es«, sagte Baron Adrian, »ich möchte dem armen Geist zur Ruhe verhelfen. Ich habe keine Angst vor ihm. Sobald er mich ruft, werde ich ihm folgen. Warum zeigt er sich allen anderen, nur mir nicht?«

      Zehntes Kapitel

      Adrian Löwensköld lag in seinem Giebelzimmer auf dem Bodenraum in festem Schlaf, als er durch ein leichtes Geräusch geweckt wurde. Er schlug die Augen auf, und da die Fensterladen nicht verschlossen waren und draußen helle Sommernacht herrschte, sah er deutlich, wie die Tür aufging. Er glaubte, ein Windstoß habe sie geöffnet, sah aber jetzt eine dunkle Gestalt in die Türöffnung treten, die, sich etwas vorbeugend, in das Zimmer hineinspähte.

      Adrian unterschied ganz deutlich einen alten Mann in einer altmodischen Reiteruniform. Ein Elchlederkoller zeigte sich unter dem etwas aufgeknöpften Rock. Die Stiefel reichten bis an die Knie, und den langen Haudegen hielt er erhoben, wie um nicht damit zu rasseln.

      »Wahrhaftig, das ist der General!«, dachte der junge Baron. »Das ist recht. Hier kann er jemand sehen, der keine Angst vor ihm hat.«

      Alle die anderen, die den General gesehen hatten, pflegten zu sagen, er verschwinde, sobald man den Blick auf ihn richte. Aber das geschah jetzt nicht. Noch eine gute Weile, nachdem Adrian ihn entdeckt hatte, blieb der General in der Tür stehen. Nach einigen Minuten jedoch, als er sich vergewissert zu haben schien, dass Adrian seinen Anblick ertragen konnte, hob er eine Hand auf und winkte ihn zu sich her.

      Adrian setzte sich sofort im Bett auf. »Jetzt oder nie«, dachte er. »Jetzt endlich verlangt er meine Hilfe, und ich werde ihm folgen.«

      Tatsächlich hatte er seit vielen Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Er hatte sich darauf vorbereitet, ja, seinen Mut im Hinblick darauf gestärkt. Immer hatte er gewusst, dass das etwas war, was er durchmachen musste. Er wollte den General nicht warten lassen, und ganz so, wie er aus dem Bett kam, folgte er ihm; nur ein Betttuch riss er noch an sich und hüllte sich darein.

      Erst als er mitten im Zimmer stand, fiel ihm ein, es könnte am Ende doch eine gefährliche Sache sein, wenn er sich so ohne Weiteres einem Wesen aus der andern Welt überließe, und er wich etwas zurück. Da aber sah er, dass der General wie in verzweifeltem Flehen beide Hände nach ihm ausstreckte.

      »Was sind das für Dummheiten?«, dachte Adrian. »Soll ich mich fürchten, bevor ich nur das Zimmer verlassen habe?«

      Er näherte sich der Tür, der General schritt vor ihm auf den Bodenraum hinaus, ging aber dabei immer rücklings, wie um sich zu vergewissern, dass der junge Mann ihm folgte.

      Als Adrian über die Schwelle treten und das Zimmer verlassen wollte, um sich auf den Bodenraum hinauszubegeben, überfiel ihn wieder ein kalter Schauder. Etwas sagte ihm, er solle die Tür zuschlagen und in sein Bett zurückeilen. Er begann zu ahnen, dass er seine Kräfte überschätzt hatte. Er gehörte nicht zu denen, die, ohne Schaden zu nehmen, in die Geheimnisse der andern Welt hineinzuschauen vermögen.

      Immerhin war ihm wohl ein kleiner Rest Mut verblieben. Er redete sich selbst gut zu und sagte sich, der General werde ihn doch sicherlich nicht in Gefahren locken wollen. Er werde ihm nur zeigen wollen, wo der Ring sich befand. Wenn er nur noch ein paar Minuten aushalte, würde er das erreichen, was er so viele Jahre erstrebt hatte, und den armen Wanderer der ewigen Ruhe zuführen.

      Der General war mitten auf dem Dachboden stehen geblieben, um auf Adrian zu warten. Es war hier etwas dunkler, Adrian aber sah deutlich die dunkle Gestalt mit den flehend ausgestreckten Händen. Er ermannte sich aber, trat über die Schwelle, und die Wanderung begann aufs Neue. Der Geist strebte der Treppe zu, und als er Adrian hinter sich herkommen sah, begann er hinunterzusteigen. Noch immer ging er rücklings, machte auch auf jeder Stufe halt und schleppte so den zaudernden Jüngling durch die Macht seines Willens mit sich weiter.

      Es war eine langsame Wanderung mit vielen Unterbrechungen, aber sie wurde doch fortgesetzt. Adrian versuchte, sich Mut einzuflößen, indem er sich daran erinnerte, wie oft er vor seinen Schwestern damit geprahlt hatte, er werde dem General folgen, wann immer er ihn riefe. Und er rief sich auch ins Gedächtnis zurück, wie er seit seiner Kindheit vor Verlangen gebrannt hatte, das Unbekannte zu erforschen und in das Verschlossene einzudringen. Und nun war der große Augenblick gekommen; jetzt folgte er einem Gespenst in das Ungewisse hinaus. Sollte seine elende Feigheit ihn nun daran hindern, endlich etwas zu erfahren?

      Auf diese Weise zwang er sich auszuhalten, doch hütete er sich, dem Gespenst ganz nahe zu kommen. So blieben sie immer durch ein paar Ellen Zwischenraum voneinander getrennt. Als Adrian auf der Mitte der Treppe stand, befand sich der General schon unten, und als Adrian auf der untersten Stufe ankam, war der General unten im Flur.

      Hier aber blieb Adrian wieder stehen. Zur rechten Hand dicht neben der Treppe hatte er die Tür zum Schlafzimmer