Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds


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war ihr Gang nicht anders als eine Wanderung aufs Geratewohl. Wie es ihr gelingen sollte, die Sachen in das Grab des Generals hineinzuschaffen, davon hatte sie keine Ahnung.

      Gleich nachdem Marit sich entfernt hatte, war der Baron mit dem Doktor dahergeritten gekommen, und Jungfer Spaak hatte gehofft, der Doktor werde Adrian wieder ins Leben zurückrufen können, ohne dass sie etwas Weiteres in der Sache tun müsste. Der Doktor aber hatte sofort erklärt, hier könne er nicht helfen, der junge Mann werde nur noch wenige Stunden am Leben bleiben.

      Da hatte Jungfer Spaak das Bündel unter den Arm genommen und sich auf den Weg gemacht. Sie wusste, es gab keine Möglichkeit, den Baron Löwensköld zu bewegen, die Grabplatte abheben und das zugemauerte Grab öffnen zu lassen, nur um ein paar von Baron Adrians alten Kleidungsstücken hineinlegen zu lassen. Wenn sie ihm gesagt hätte, was sich wirklich in dem Bündel befand, dann, das wusste sie gewiss, würde er den Ring sofort seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben; damit aber hätte sie ja einen Verrat an Marit Erikstochter begangen.

      An einem zweifelte sie gar nicht. Marit war es gewesen, die einstmals den Ring nach Hedeby geschafft hatte. Baron Adrian selbst hatte ja erwähnt, Marit habe ihm einmal seine Zipfelmütze geflickt. Nein, Jungfer Spaak wagte es nicht, den Baron über den wahren Zusammenhang dieser Sache aufzuklären.

      Später wunderte sich Jungfer Spaak selbst darüber, dass sie an jenem Abend keine Angst gehabt hatte. Sie stieg über die niedrige Kirchhofmauer und wanderte zu dem Löwensköldschen Grab hin, ohne an etwas anderes zu denken, als wie sie den Ring da hineinbringen könnte.

      Sie setzte sich auf die Grabplatte und faltete die Hände zum Gebet. »Wenn Gott mir nicht hilft«, dachte sie, »dann wird das Grab allerdings bald geöffnet werden; aber nicht des Ringes wegen, sondern für einen, um den ich ewig trauern werde.«

      Mitten unter ihrem Gebet nahm die Jungfer eine kleine Bewegung in dem Gras wahr, das den niederen Grabhügel bedeckte, auf dem die Grabplatte lag. Ein kleines Köpfchen lugte hervor, verschwand aber sofort wieder, als die Jungfer zusammenzuckte. Denn Jungfer Spaak hatte ebenso große Angst vor Mäusen wie die Mäuse vor ihr. Dies aber rief in der Jungfer eine plötzliche Eingebung hervor. Rasch trat sie an einen großen Fliederbusch, brach einen langen dürren Zweig ab und steckte ihn in das Mauseloch hinein.

      Zuerst steckte sie ihn senkrecht hinunter; da stieß sie aber gleich auf Widerstand. Dann versuchte sie, ihn schräg hinabzuführen, und da glitt er in der Richtung des Grabes weit hinunter. Sie verwunderte sich, wie tief er eindrang. Die ganze Gerte verschwand. Hastig zog sie sie wieder heraus und maß die Länge an ihrem Arm. Sie war drei Ellen lang. Die Gerte musste drunten in der Grabkammer gewesen sein.

      Jungfer Spaak war in ihrem ganzen Leben noch nie so ruhig und geistesgegenwärtig gewesen. Es war klar, die Mäuse hatten sich einen Weg ins Grab hinunter gebahnt. Vielleicht hatte sich auch ein Spalt in der Mauer befunden, oder irgendein Ziegelstein war verwittert.

      Sie legte sich flach auf den Boden, riss ein Stück vom Rasen los, schaffte die lose Erde beiseite und streckte den Arm hinein. Ohne ein Hindernis drang er tief hinunter, gelangte aber doch nicht bis zu der Mauer, ihr Arm war zu kurz.

      Da knüpfte sie eilig das Bündel auf und nahm die Mütze heraus. Sie wand sie um die lange Gerte und versuchte, diese langsam in das Loch hineinzuschieben. Bald war sie verschwunden; nun schob sie die Gerte ebenso langsam und vorsichtig weiter und weiter hinunter. Da plötzlich, als die Gerte fast ganz drunten in der Erde war, fühlte sie, wie sie ihr mit einem Ruck aus der Hand gerissen wurde.

      Möglicherweise konnte sie durch ihre eigene Schwere hinuntergefallen sein; aber nein, Jungfer Spaak war ganz sicher, sie war ihr entrissen worden.

      Und jetzt endlich bekam sie Angst. Sie raffte all das andere, das sich in dem Bündel befand, zusammen, steckte es in das Loch hinein, legte die Erde und den Rasen, so gut sie konnte, wieder zurecht und lief den ganzen Weg wie gejagt nach Hedeby zurück.

      Als sie dort ankam, standen der Baron und die Baronin auf der Treppe und kamen ihr eifrig entgegen.

      »Wo ist die Jungfer gewesen?«, fragten sie gleich. »Wir stehen hier und warten auf Sie.«

      »Ist Baron Adrian tot?«, fragte die Jungfer.

      »Nein, er ist nicht tot«, antwortete der Baron, »aber sage Sie uns zuerst, wo Sie gewesen ist.«

      Jungfer Spaak konnte kaum sprechen, so atemlos war sie; sie berichtete aber doch von dem Auftrag, den Marit ihr gegeben hatte, und dass es ihr geglückt war, wenigstens ein Stück von den Sachen durch ein Mauseloch in das Grabgewölbe hinunterzuschaffen.

      »Das ist außerordentlich merkwürdig, Jungfer Spaak«, sagte der Baron, »denn Adrian geht es wirklich besser. Vor einer Weile ist er aufgewacht, und sein erstes Wort war: »Jetzt hat der General den Ring bekommen!«

      »Sein Herz schlägt wieder wie gewöhnlich«, fuhr die Baronin fort, »und er will durchaus mit Jungfer Spaak reden. Er sagt, sie habe ihn gerettet.«

      Sie ließen die Jungfer Spaak allein zu Adrian hinaufgehen. Er saß aufrecht im Bett und breitete die Arme aus, als er sie erblickte.

      »Ich weiß es, ich weiß es schon!« rief er. »Der General hat seinen Ring bekommen, und das haben wir der Jungfer zu verdanken.«

      Jungfer Spaak lachte und weinte, als sie in seinen Armen lag, und er küsste sie auf die Stirn.

      »Jungfer Spaak, ich verdanke Ihr mein Leben«, sagte er. »Ich wäre in diesem Augenblick eine Leiche, wenn Sie nicht gewesen wäre. Man kann Ihr nie dankbar genug dafür sein.«

      Das Entzücken, womit der junge Mann sie begrüßte, hatte die arme Jungfer Spaak vielleicht dazu gebracht, allzu lange in seinen Armen zu liegen.

      Und er beeilte sich hinzuzufügen: »Und nicht ich allein danke der Jungfer, auch noch jemand anders tut es.« Er zeigte ihr ein Medaillon, das er an einer Kette um den Hals trug. Jungfer Spaak unterschied undeutlich das Miniaturporträt eines jungen Mädchens. »Jungfer Spaak ist nächst meinen Eltern die Erste, die es erfährt. Wenn sie in einigen Wochen nach Hedeby kommt, dann wird sie der Jungfer noch besser danken, als ich es jetzt kann.«

      Und Jungfer Spaak verneigte sich vor dem jungen Baron zum Dank für sein Vertrauen. Sie hätte ihm eigentlich sagen wollen, sie habe nicht die Absicht, auf Hedeby zu bleiben, um seine Braut zu begrüßen, besann sich aber noch zu rechter Zeit. Ein junges Mädchen muss sich hüten, eine gute Stelle zu verscherzen.

      Charlotte Löwensköld

      Die Frau Oberst

      1

      In Karlstadt lebte vorzeiten eine Frau Oberst namens Beate Ekenstedt.

      Sie war aus dem Geschlechte Löwensköld von Hedeby und folglich eine geborene Freiin; sie war sehr liebenswürdig und sehr hübsch und sehr gebildet, und sie konnte Gedichte machen, die genauso ausgezeichnet waren wie die von Frau Lenngren.

      Sie war klein von Gestalt, hatte aber eine sehr gute Haltung wie alle Löwenskölds. Dabei hatte sie ein höchst interessantes Gesicht und wusste jedermann schöne und angenehme Dinge zu sagen. Über ihrer ganzen Erscheinung lag ein romantischer Schimmer, und wer sie einmal gesehen hatte, konnte sie nie wieder vergessen.

      Frau Beate Ekenstedt war immer ausgesucht gut gekleidet und auch stets auffallend schön frisiert; wo sie auch hinkam, immer hatte sie die schönste Brosche und das geschmackvollste Armband und den strahlendsten Brillantring. Sie hatte auch die kleinsten Füße, die ein Mensch haben kann, und ob es nun Mode war oder nicht, so trug sie doch jederzeit kleine Goldbrokatschuhe mit hohen Hacken.

      Frau Beate Ekenstedt wohnte im vornehmsten Haus in Karlstadt, und das lag nicht zwischen den anderen Häusern in engen Gassen, sondern am Ufer des Klarälvs, sodass die Frau Oberst von ihrem eigenen kleinen Zimmer aus auf den Fluss hinaussehen konnte. Sie pflegte auch zu berichten, dass sie in einer Nacht, als heller Mondschein auf dem Flusse lag, dicht unter ihren Fenstern den Neck auf einem Stein sitzen und auf seiner goldenen Harfe habe spielen sehen. Und niemand kam es auch nur in den Sinn,