du mich verwunderst,
wie du dein Leben meisterst,
und wie du dich festhältst.
Und mitten im „Land unter“,
machst du die Welt noch bunter,
beweist mir, wie du stehst
und wie du dein Leben lebst,
dass es trotzdem weitergeht.
Mensch, trotz aller Widrigkeiten
siehst du die guten Zeiten
und lässt die Glut noch glühn.
Und Mensch, trotz vieler schwerer Worte,
hast du doch deine Orte
und lässt dort deine Blumen blühn.
Jetzt bist du an dem Punkt:
Du schaust zurück, die Welt schaut zu.
Du hast so viel geschafft, und jetzt –
mach du nur weiter so!
Andi Weiss
„MENSCH, WIE ICH DICH BEWUNDER!“
aus der CD: „GIB ALLES, NUR NICHT AUF!“
© T. und M.: Andi Weiss ©
www.andi-weiss.de
Die Liebe spricht für sich
Auf den ersten Blick wirkt die Mutter von Caro ein bisschen so, wie ich mir als Kind eine Hexe vorgestellt habe. Tiefliegende, dunkle Augen unter der gerunzelten Stirn fixieren mich misstrauisch. Sogar das spitze Kinn passt in mein Bild. Nur der Besen fehlt. Dafür hat sie aber eine hohe, schrille Stimme. Diese bohrt sich in mein Ohr, während sie alle Schandtaten und Verfehlungen von Caro aufzählt und allen Ärger, den sie andauernd und immer und immer wieder mit ihrer Tochter hat. Diese sitzt still da und blickt aus dem Fenster. Einige Male – zu Beginn war sie noch wütend geworden – hatte sie versucht, sich zu verteidigen. Inzwischen hat sie aufgegeben. Vorübergehend. Gerade erzählt die Mutter, Caro quäle nun schon den Hund, sie schlage ihn und trete nach ihm. Ich sehe Caro an. Sie schaut weg. Tränen füllen ihre Augen. „Kein Wunder, wenn ich sie dann mal härter anfasse. Ich kann nicht mehr. Ich kann für nichts garantieren. Das nächste Mal schmeiße ich vielleicht den Stuhl nach ihr.“ Eine wütende, verzweifelte Hexe. Ohne Besen zum Glück. Wir vereinbaren, dass es eine Pause braucht. Nach vielen gescheiterten Versuchen des Zusammenlebens wollen beide erst mal Ruhe voneinander. Caro geht vorübergehend in eine Einrichtung, in der Kinder wohnen, die in der selben oder einer ähnlichen Situation sind. Sie kommt weiterhin jede Woche zu mir, sie wirkt entlastet. Es geht ihr gut. Heute trifft sie zum ersten Mal in der Therapiesitzung auf die Mutter. Wir haben eine gemeinsame Stunde vereinbart. Wie Fremde sitzen sie sich gegenüber. Die Mutter ist gekränkt. „Da geht’s dir jetzt wohl besser, weil du da alles darfst, oder?“ Jetzt ist gut, Frau Hexe. Wir sind immerhin heute hier, um „Psychokram“ zu machen. Also: Auf geht’s! Ich habe ein neues Spiel. Es heißt Gefühlspantomime. Einer zieht eine Karte, verdeckt. Ich erläutere: „Darauf sehen Sie ein Bild von einem Menschen, der irgendein Gefühl ausdrückt. Das spielen Sie nach. Und wir müssen raten, was es ist. Sie fangen an, okay?“ „Okay.“ Die Hexe zieht „glücklich“. Immerhin mimt sie so, dass wir es erraten. Und sogar noch lachen. Es läuft gut. Ich ziehe „wütend“. Auch meine Darbietung kommt gut an, das Gefühl scheint aber unter den Anwesenden auch bekannt zu sein. Jetzt kommt Caro. Sie nimmt die Karte. Sie spielt. Und spielt. Was macht sie denn da? Steht in der Ecke und guckt traurig zu ihrer Mutter. Spielt sie überhaupt noch? Es dauert ewig. Keiner sagt was. Irgendwann sage ich: „Ich komm nicht drauf.“ Ihre Mutter, ganz leise und ruhig, sieht sie an und flüstert: „Ich weiß es“. Caro wartet. Die Mutter flüstert: „Vermissen?“ Caro nickt. Ich bin raus. Lange sitzen beide aneinander geschmiegt, ohne zu sprechen. Die Liebe spricht für sich.
Martina Weiss, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, Jahrgang 1978
Keine Herzensverhärtung feststellbar
Wenn man bei ihnen im dritten Stock klingelte, bewegten sich parterre die Gardinen. Schritte schlurften herbei, die schrundige Holztür des abgerockten Mehrfamilienhauses öffnete sich, eine grimmige Frau musterte einen geringschätzig und keifte dann ins Treppenhaus hinauf: „Euer Westbesuch ist wieder da!“
Wenn ich – etwa alle eineinhalb Jahre – das junge Theologiestudentenpaar im Osten Berlins besuchte, unterhielten wir uns oben in ihrer Mansardenwohnung im stickig warmen Geruch aus Braunkohle-Ofen, Plastik-Bodenbelag und F-6-Zigaretten, nur leise und lieber bei laufendem Rasierapparat oder Fön. Die Bude war verwanzt. Eine Concierge als Spitzel im Hauseingang genügte der Staatssicherheit nicht.
Das Wunderbare an diesen Freunden in der DDR: Man konnte mit ihnen offen über die gegenseitige Schenkerei sprechen: Natürlich freuten sie sich über Kaffee, Südfrüchte, schicke Klamotten, verbotene Bücher und Schallplatten. Aber: Der staatlich verordnete Mangel machte sie zu artig dankbaren Kindern und mich zum gönnerhaften West-Weihnachtsmann. Diese schiefe Ebene der Beziehung rückten wir gemeinsam radikal waagerecht. Dass ich unter westdeutschen Bedingungen keineswegs reich und sie gemessen am Niveau ostdeutscher Lebenshaltungskosten keineswegs arm waren – das mussten wir einander nicht beteuern, das sahen wir ein in Gesprächen über Neid, Gier, Statussymbole, Stolz, Ehrgefühl, Scham, Arroganz, Unterwürfigkeit. Es waren geradezu pfingstliche Verständigungswunder, politische Versachlichungswunder, persönliche Ehrlichkeitsmirakel. Es gab bewegende Gebete bei Tisch und berührende Gottesdienste in der Kirche. Als sie nach Ungarn in Urlaub fuhren, war ich mir sicher: Das wird ein Fluchtversuch. Sie wollen über Österreich rauskommen. Nein, der nächste Anruf kam wieder aus der Jungen Gemeinde in der gefährlich brodelnden und bröckelnden DDR. Ein Treuewunder, ein Solidaritätswunder, ein Mutwunder:
Immerhin hatten am 4. Juni 1989 die regierenden Kommunisten in Peking rund 3.000 Demonstranten mit Panzern niedergewalzt, und es war nicht ausgeschlossen, dass die SED-Chefs in Berlin dasselbe tun würden.
Dann fiel die Mauer. Dann fiel die Ostmark. Dann fiel die Treuhand ein und über alles her. Dann fielen die Masken. Und in vielen Kirchen fiel vieles aus. Opfer und Mittäter waren schwer zu trennen, Wendeverlierer und Wendegewinner gab es in denselben Familien.
Mir fielen die Vorurteile auf: Einst hochwillkommene Weihnachtsmänner aus dem Schlaraffenland waren jetzt beargwöhnte Raubritter aus dem Heuschreckenland. Einst geachtete Widerständler gegen die SED waren jetzt die ersten Übersiedler mit Reihenhaushälfte in Westfalen. Manche Friedensbeter und Kerzen-Demonstranten von 1989 richteten sich in heimlichem Selbstmitleid ein. Oder richteten ihre Enttäuschung gegen alle Wessis, die ja keine Ahnung hatten und nicht mitreden konnten und besser zu Hause geblieben wären und überhaupt…!
Im dritten Stock klingeln musste ich nicht mehr: Die Mansarde war nach Grundsanierung durch einen Investor unbezahlbar geworden für unsere Freunde. Die Stasi-Frau parterre war Sachbearbeiterin in einem Berliner Bezirksamt geworden, war also quasi in ihrer Branche geblieben. Die Junge Gemeinde gab es mangels junger Leute nicht mehr.
Das Wunder? Es begegnete mir in jenen DDR-Christen, die sich gerade nach dem Wendewunder der Herzensverhärtung widersetzten. Für sie, für etliche unserer Freunde „drüben“, fiel mir zehn Jahre nach dem Mauerfall ein Text ein. Johannes Nitsch hatte ihn vertont und Christine Rösch, Diakoniepfarrerin in Radebeul bei Dresden, gesungen:
Wir mussten uns so oft verweigern,
zunächst und allererst dem Neid.
Man wusste uns den Frust zu steigern
und auch die Minderwertigkeit.
Und jeden Tag „was willste machen“
und jedes Jahr „so ist’s nun mal.“
Da klang es bitter, unser Lachen.
Die alten Witze klangen schal.
Sich der Erwartung nicht zu beugen,
stets arm und dankbar dazusteh’n,