Andi Weiss

Für mich bist du ein Wunder


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die vielen Symptome und Beschwerden meines Mannes einer Diagnose zuzuordnen, aber auch die psychische Herausforderung, die so ein Prozess mit sich bringt. Die Diagnose eines Nierenzellkarzinoms wurde gestellt, und voller Entsetzen blieb uns erst mal die Luft weg.

      Mein Mann war noch niemals zuvor ernstlich krank gewesen und kannte Operationen nur vom Hörensagen. Wie oft hatte er hilflos an meinem Krankenbett gesessen, und nun lag er hier. Ich nahm seine ängstlichen Augen und Hilflosigkeit wahr, überall piepende Monitore und Personal, das hektisch um seinen kritischen Gesundheitszustand bemüht war.

      „Du darfst nicht gehen! Du kannst mich nicht allein lassen!“ So flüsterte er mit schwacher Stimme, und ängstliche Verzweiflung lag in seinem Blick, wenn ich nach Hause fahren wollte. Meine kleinen Hände umschlossen seine und meine Worte an ihn waren folgende: „Gottes schützende Hände umgeben uns, er hält uns beide in seinen liebenden Händen.“ Dieses Bild hatte ich in meinem Herzen, und es trug uns sicher durch diese schwere Zeit.

      Es folgten ungeahnte Komplikationen und vier Notoperationen, die uns wieder und wieder, gleich einem entsetzlichen Albtraum, kaum noch klar denken, geschweige denn Zeit zum Luftholen ließen. Nachts lag das Telefon neben meinem Bett, und an Schlaf war in dieser belastenden Zeit kaum zu denken.

      Denn auch ich wusste nicht, wo ich all die Kraft hätte hernehmen sollen, um dieser extremen Herausforderung gewachsen zu sein. Menschlich gesehen schien es kaum machbar.

      Wenn jemand mich anschaute, sah er eine Frau, die sich aufgrund einer Lähmung des linken Beines nur mühsam mit einer Gehhilfe fortbewegte und den linken Arm nur eingeschränkt bewegen konnte. Auch mein linkes Auge sah etwas seltsam aus, da erst wenige Monate zuvor ein Augenhöhlentumor operativ entfernt worden war und meine Sehkraft am linken Auge bei weniger als zehn Prozent lag. Weit vom Normalzustand entfernt und augenscheinlich wohl keine Erscheinung, um für mein Gegenüber Hilfe oder Ermutigung sein zu können.

      Wie ich in dieser Zeit allen Herausforderungen begegnen konnte und – trotz meiner offensichtlichen körperlichen Schwäche – für meinen Mann da sein durfte, ihm Mut zusprechen und Stärke vermitteln konnte, ist menschlich gesehen kaum zu erklären. Doch auch ich selbst wurde durch andere ermutigt und bekam Kraft und Stärke zugesprochen.

      Bei Gott sind alle Dinge möglich! Häufig wusste ich am Morgen nicht, wie ich den Tag, geschweige denn den Besuch im Krankenhaus bei meinem schwerkranken Mann kräftemäßig überhaupt meistern sollte. Und dennoch gab Gott mir die nötige Kraft und seine Möglichkeiten, um für meinen Mann da zu sein.

      Andere standen mir bei durch Ermutigungen, Gebete und auch mal durch eine Mahlzeit, die überraschend vor meiner Tür stand. Eingekauft wurde regelmäßig von meiner jüngsten Schwester. Da sie selbst gesundheitliche Probleme hat, war das nicht selbstverständlich, doch sie konnte mir auch dankenswerterweise als kurzfristige Fahrgelegenheit des Öfteren hilfreich zur Seite stehen. Ebenso meine Zwillingsschwester, die auch helfend einsprang, wenn Not am Mann war.

      Ein Bild steht mir noch besonders vor Augen: Mit meiner kleinen Schwester hatte ich eine Uhrzeit ausgemacht, wann sie mich vom Krankenhaus abholen sollte, und an diesem Tag war ich unendlich erschöpft und am Ende meiner Kräfte. Die langen Krankenhausflure schienen kein Ende zu nehmen, und der Ausgang war gefühlt noch Meilen entfernt. Von Ferne sah ich eine Gestalt und dachte noch: Irgendwie kommt sie mir bekannt vor … Es war meine Schwester! Da sie sich Sorgen gemacht hatte und ahnte, wie es mir ging, wollte sie mich abholen und zum Ausgang begleiten – ein Segen!

      Morgens lag schon die Tageszeitung vor meiner Tür und am Nachmittag die Post, denn auch unsere Hausgemeinschaft fragte und schaute, was mir an Wegen und Belastungen abgenommen werden konnte. Selbst Müll rausbringen und Hilfe jedweder Art wurde angeboten. Dankbar und staunend durfte ich auch da erkennen: Gott versorgt!

      „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“ (1. Mose 12,2). Das durfte ich sehen und erleben. Gott machte mich zum Segen für meinen Mann. Gleichzeitig stärkte mich diese Erfahrung seiner Fürsorge und des Getragenseins in einer Weise, die mich in tiefster Seele berührt hat und auch heute noch staunen lässt.

      Dieses Bild in meinem Herzen und die Gewissheit seiner schützenden Hände, die meinen Mann und mich liebevoll umgaben, hat mich getragen und geführt, getröstet und gestärkt, jeden neuen Tag. Gesegnet, um zu segnen, mit und durch Gottes Liebe!

      Dorothee Kowalke, Frührentnerin, Jahrgang 1967, Wenden

      Leid und Sinn

      Als ich noch als Psychotherapeutin praktiziert habe, suchte einmal eine junge Frau Hilfe bei mir mit den alarmierenden Worten: „Mich will doch keiner mehr! Ich bringe mich um!“ Was war passiert? Ihr Gesicht war nach einem schweren Auffahrunfall, bei dem sie mit voller Wucht gegen die Windschutzscheibe ihres Autos geprallt war, zerschnitten und entstellt. Mehrere Operationen und Hauttransplantationen waren wenig erfolgreich verlaufen. Ihr Mann hatte sich daraufhin von ihr getrennt.

      Welch ein Leid! Ich konnte es ihr gut nachfühlen, doch Mitleid wäre das Letzte gewesen, das ihr genützt hätte. So haben wir geistig miteinander gerungen. Gerungen um eine Versöhnung mit dem Unabänderlichen, um eine neue Einstellung, um eine Sichtweise, die es ihr erlauben würde, zu sich und zu ihrem Leben (trotzdem) Ja zu sagen. Dabei war ich vorsichtig und zurückhaltend. Man darf nicht mit plumpen Tröstungen kommen, wenn man selbst keine analoge Leidbewältigung vorzuweisen hat. Die Achtung vor dem leidenden Menschen gebietet es, eher wenig als zu viel zu reden.

      Doch irgendwann erschien ein erstes, zartes Lächeln auf dem gemarterten Gesicht der jungen Frau. Es war der Beginn einer aufkeimenden Zuversicht, und es geschah, nachdem ich ihr folgende Überlegung angeboten hatte: „Mit diesem Schicksalsschlag, dem Verlust der Schönheit Ihres Gesichts, haben Sie zugegebenermaßen viel verloren. Aber Sie haben ein präzises ‚Messgerät‘ erworben. Wann immer Sie jemanden kennenlernen, können Sie ihn mühelos ‚testen‘, ob er die menschliche Qualität besitzt, ein echter Freund zu sein, oder ob er an unwichtigen Dingen und Äußerlichkeiten hängt und klebt. Sie haben gleichsam einen ‚Geigerzähler‘ in der Hand, mit dem Sie wertvolles Metall suchen können, nur dass es sich in Ihrem Fall um charakterstarke Menschen handelt, die Sie orten können. Ihr Mann zum Beispiel hat diesen Test nicht bestanden. Nicht Ihre äußeren Mängel waren daran schuld, sondern seine inneren Mängel, die Sie ohne Ihr Handikap vielleicht erst sehr viel später erkannt hätten. Wenn Sie nun wieder einen lieben Freund suchen und etwas länger warten müssen, um einen zu finden, dann deshalb, weil Sie Ihre Zeit nicht mit flüchtigen Bekanntschaften verschwenden müssen, wie es andere Frauen oft tun, die kein Instrument besitzen, das ihnen anzeigt, ob sie um ihrer selbst willen geliebt werden oder nicht. Sie hingegen haben die Möglichkeit, dies schnell festzustellen. Denn wer Sie wahrhaftig und aufrichtig mag, der wird sich nicht an Äußerlichkeiten stoßen, im Gegenteil: Er wird Sie wegen Ihrer Tapferkeit bewundern und wegen Ihres Leides umso inniger behüten und beschützen. Wer Sie hingegen wegen Ihrer Narben meidet, der hätte sich sowieso nicht für eine Gefährtenschaft geeignet. Geben Sie den Glauben an eine innige Beziehung nicht auf! Gütige und wertvolle Menschen gibt es eben wenige. Aber es gäbe auch nicht mehr, wenn Sie die Schönheit einer Filmdiva hätten; nur würden Sie sie dann kaum unter Ihren Mitmenschen erkennen. Durch Ihren Unfall haben Sie die Gabe erhalten, ‚die Spreu vom Weizen zu trennen‘, und das kann unter Umständen vorteilhafter sein als die makellosesten Gesichtszüge, die doch in ein paar Jahrzehnten verwelken.“

      Das Lächeln, das bei diesen Worten über die entstellten Züge meiner Patientin huschte, war der Startschuss für einen neuen Lebensmut. Es dauerte nicht lange, und sie unternahm wieder Ausflüge und bewegte sich ungezwungen in Gesellschaft anderer jungen Leute, die sie – zu ihrer und meiner Überraschung – fast ausnahmslos herzlich und unkompliziert in ihrer Gemeinschaft aufnahmen – ganz so wie sie war. Mit dieser Erfahrung wuchsen ihr Selbstbewusstsein und ihr Lebensmut.

      Die obige Geschichte habe ich bei einem meiner Vorträge auf einem Kongress erzählt. Danach kam eine unförmig dicke Frau auf mich zu und bedankte sich überschwänglich bei mir. Sie sagte, sie leide an einer Drüsenerkrankung und könne ihr Gewicht nicht kontrollieren. Sie habe deswegen die grässlichsten Minderwertigkeitsgefühle. Doch ab sofort werde sie diese abstellen und ihren Körperumfang als