Giorgio Vasari

Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler


Скачать книгу

Für Pius II., der vor seinem Tod 1469 seinen Geburtsort von Bernardo Rossellino zur idealen Renaissanceanlage hatte ausbauen lassen, arbeitete nicht Francesco di Giorgio, sondern Vecchietta, der allerdings nur ein Altarbild für den neuen Dom schuf.

      In den Vite vernachlässigt Vasari vollständig die von Francesco entworfene, ab 1485 unterhalb der Stadt errichtete und gut dokumentierte Monumentalkirche Santa Maria delle Grazie al Calcinaio. Die dort befindlichen Glasfenster des französisch-aretinischen Glasmalers Guillaume de Marcillat erwähnt Vasari in dessen Lebensbeschreibung ebenfalls nicht. Diese Kirche kommt lediglich in der Vita von Antonio da Sangallo dem Älteren kurz vor, als Vasari behauptet, dieser habe ein Modell für sie geschaffen, das seiner Ansicht nach jedoch nicht realisiert worden sei.1 Dies ist erstaunlich, da Vasari im nahen Arezzo aufgewachsen war und 1554 aufgrund eigener Aufträge längere Zeit in Cortona zu tun hatte und nicht zuletzt dort vor den Toren die Kirche Santa Maria Nuova plante.

      Vasari erkannte zwar Francesco di Giorgios große, universale Künstlerpersönlichkeit, sein Interesse an Kriegsgeräten und Antiken, vor allem im Bereich der Architektur wird aber der komplexen Künstlerpersönlichkeit in seiner kurz gehaltenen, eilig verfaßten Vita nicht gerecht. Immerhin bezeichnete er Francesco als ersten würdigen Nachfolger des Florentiner Baumeisters Filippo Brunelleschi und vergaß nicht zu erwähnen, daß sein eigener Auftraggeber, Cosimo I. de’ Medici, ein Manuskript von dessen als Trattati di architettura, ingegneria e arte militare zusammengefaßten Schriften besaß. Angesichts Francescos Herkunft aus Siena und womöglich auch seiner Aktivitäten für Montefeltre, einen Feind der Medici, konnte oder wollte er ihm offensichtlich nicht mehr Raum und Bedeutung beimessen. War Francesco di Giorgio eine Persona non grata für Vasaris Auftraggeber Cosimo I.? Bei der Pazzi-Verschwörung 1478 gegen die Medici war wohl Federico da Montefeltre der Planer und Auftraggeber gewesen und Francesco di Giorgio sein militärischer Ingenieur.

      Der zweite Künstler der Vita, Lorenzo di Pietro, wurde von Vasari lediglich wegen einiger Bronze- und Marmorarbeiten gerühmt, um ihn in die Nachfolge von Jacopo della Quercia und Donatello zu stellen. Tatsächlich ist ein herausragendes Ziborium des Sienesen erhalten, das gleich zweimal in den Vite Erwähnung findet. Am Baptisterium in Siena verantwortete Lorenzo jedoch keine Bronzefiguren, wie Vasari angibt, sondern Fresken am Deckengewölbe und in der Apsis. Sie werden vom Biographen genauso kurz abgehandelt wie ein Fresko im Pilgerraum des Hospitals Santa Maria della Scala. Weder das Sujet noch die eindrucksvolle Komposition der Gründungslegende des Krankenhauses werden von ihm näher beschrieben. Vasari kannte die Örtlichkeiten wohl nicht aus eigener Anschauung, er besuchte Siena im Jahr 1560 lediglich für einen Tag auf der Durchreise nach Rom.

      Nach der Kanonisierung der Heiligen 1461 von der Sieneser Kommune in Auftrag gegeben, prangt Vecchiettas Fresko der Heiligen Katharina von Siena an einem Pilaster in der Sala del Mappamondo des Palazzo Pubblico und diente dort als offizielle Bildvorlage.2 Altargemälde, Bildhauerarbeiten für den Kardinal von Narni oder architektonische Entwürfe, etwa für die Piccolomini-Loggia in Siena, sowie seine frühen Kontakte zu den Florentiner Künstlern Paolo Schiavo und Masolino bleiben in Vasaris Vita ebenfalls allesamt unerwähnt.3

       MB und AZ

      DAS LEBEN DES SIENESER BILDHAUERS UND ARCHITEKTEN FRANCESCO DI GIORGIO UND DES SIENESER BILDHAUERS UND MALERS LORENZO VECCHIETTA

       Vita di Francesco di Giorgio. Scultore et Architetto. E di Lorenzo Vecchietto. Scultore e pittore. Sanesi (1568)

      Francesco di Giorgio aus Siena,1 der ein vortrefflicher Bildhauer und Architekt war, schuf die beiden Bronzeengel, die sich auf dem Hauptaltar im Dom jener Stadt befinden; ihr Guß war wirklich wunderschön gelungen, und er selbst hat sie dann mit aller nur vorstellbaren Sorgfalt gesäubert.2 Dies konnte er ganz bequem tun, weil er finanziell nicht weniger gut bestückt war als mit einem außergewöhnlichen Talent und daher nicht aus Geldgier, sondern allein zum Vergnügen arbeitete, wenn es ihm paßte, und nur, um ein ehrenvolles Andenken von sich zu hinterlassen.3 Er betätigte sich auch in der Malerei und schuf einige Werke, die den Skulpturen allerdings nicht gleichwertig waren.4 In der Architektur besaß er ein großartiges Urteilsvermögen und bewies in diesem Beruf seine umfassende Kompetenz, von welcher der Palast, den er für Herzog Federico Feltre5 in Urbino schuf, ein eindrucksvolles Zeugnis gibt,6 dessen Einteilungen mit schönen und zweckgemäßen Überlegungen vorgenommen wurden und dessen extravagante Treppenaufgänge mehr als in anderen Beispielen, die bis in seine Zeit ausgeführt worden waren, gut geplant und angenehm sind.7 Die Säle sind groß und prachtvoll und die Wohnräume außerordentlich praktisch und ehrwürdig. In wenigen Worten: Der ganze Palast ist so schön und gut gestaltet wie kein anderer bis zu dieser Zeit. Francesco war ein herausragender Ingenieur, insbesondere für Kriegsgerätschaften, wie er es in einem Fries zeigte, den er eigenhändig in besagtem Palast in Urbino malte, der vollständig angefüllt ist mit ähnlich außergewöhnlichen Dingen, die zum Krieg gehören.8 Er zeichnete auch einige Bücher, die randvoll sind mit solchen Vorrichtungen, von denen Herzog Cosimo de’ Medici das beste Exemplar zu seinen wertvollsten Stücken zählt.9

      Er war so wißbegierig und darauf erpicht, die Funktionsweise der antiken Kriegsmaschinen und -vorrichtungen zu verstehen und die Machart der antiken Amphitheater und ähnlicher Dinge zu erforschen, daß er sich weniger mit der Bildhauerei beschäftigte. Allerdings hatten und haben sie ihm nicht weniger Ehre eingebracht, als es die Skulpturen taten. Für alle diese Werke wurde er von besagtem Herzog Federico, dessen Porträt er sowohl in einer Medaille als auch als Gemälde ausführte,10 in einer Weise geschätzt, daß er reich belohnt und in Ehren in seine Heimat Siena zurückkehrte.11 Für Papst Pius II. führte er in Pienza – ein Ort, der vormals Corfignano hieß, dann von ihm das Stadtrecht erhielt und nach seinem Namen Pienza genannt wurde – alle Zeichnungen und Pläne für Bischofspalast und -kirche aus, die so prachtvoll und ehrwürdig waren, wie sie es für einen Ort wie diesen nur sein konnten, außerdem plante er Gestalt und Befestigung besagter Stadt und zusammen mit ihnen den Palast und die Loggia für diesen Papst.12 Er lebte dann stets ehrenvoll und wurde von seiner Stadt mit dem höchsten Amt eines Signore im Magistrat geehrt.13 Am Ende starb er jedoch im Alter von siebenundvierzig Jahren.14 Seine Werke stammen aus der Zeit um 1480.15

      Er hinterließ seinen Mitstreiter und engsten Freund Jacopo Cozzerello, der die Bildhauerei und Architektur ausübte und in Siena einige Holzfiguren ausführte; als architektonisches Werk schuf er vor dem Stadttor Porta Tufi die Kirche Santa Maria Maddalena, die durch seinen Tod unvollendet blieb.16 Wir sind ihm vor allem dafür verpflichtet, daß er uns Francescos Porträt überliefert hat, das von ihm eigenhändig ausgeführt wurde.17/18 Und jener Francesco verdient großen Dank für das Vereinfachen der Belange der Architektur, der er mehr Nutzen gebracht hat als jeder andere seit Filippo di Ser Brunelleschi19 bis in seine Zeit.

      Ebenfalls aus Siena stammte der gleichermaßen hochgelobte Bildhauer Lorenzo di Piero Vecchietta,20 der zunächst ein sehr geschätzter Goldschmied war21 und sich am Ende der Bildhauerei und dem Bronzeguß verschrieb. Diese Künste übte er mit solchem Arbeitseifer aus, daß er vortrefflich darin wurde und man ihm die Ausführung des Bronzetabernakels am Hauptaltar im Dom seiner Heimat Siena übertrug, mit jenen Ornamenten aus Marmor, die dort noch zu sehen sind.22 Mit diesem wunderbaren Gußwerk machte er sich dank der in allen Teilen gegenwärtigen Proportion und Anmut einen Namen und stieg zu höchstem Ansehen auf. Und wer dieses Werk eingehend betrachtet, sieht darin einen guten disegno und erkennt, daß der Künstler ein tüchtiger Mann mit Urteil und Erfahrung war.23 Derselbe schuf für die Kapelle der Sieneser Maler im großen Hospital [Santa Maria] della Scala den schönen Metallguß einer lebensgroßen nackten Christusfigur, die das Kreuz in der Hand hält; und so hervorragend der Guß gelungen war, so liebevoll und sorgfältig war er auch gesäubert worden.24 Im selben Haus befindet sich im Pilgersaal eine von Lorenzo in Farbe gemalte Szene,25 und im Bogenfeld über dem Portal von San Giovanni sieht man in Fresko ausgeführte Figuren.26 Und weil das Taufbecken noch nicht vollendet war, arbeitete er dafür einige Figürchen aus Bronze27 und vollendete