Giorgio Vasari

Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler


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danach, den Stil ihres oder den eines anderen vortrefflichen Meisters zu imitieren, sei es, weil ihnen ihre Arbeitsweise gefällt oder die Haltungen der Figuren beziehungsweise das Aussehen der Gesichter oder der Faltenwurf der Gewänder, und sie dann nur diese studieren, werden sie sie mit der Zeit zwar durchaus ähnlich ausführen, damit allein aber niemals die Vollendung der Kunst erlangen, weil ganz offensichtlich nur selten einer an die Spitze kommt, der immer nur hinterher gegangen ist.1 Die Nachahmung der Natur verfestigt sich nämlich im Stil desjenigen Künstlers, der die lange Erfahrung zu einem Stil hat werden lassen, weshalb die Nachahmung ein fester Bestandteil der Kunst ist und vorsieht, daß das, was du ausführst, das Schönste der natürlichen Dinge wiedergibt, und zwar unverfälscht und ohne den Stil deines Meisters oder den von anderen, die ihrerseits die Dinge, die sie der Natur entnommen haben, in Stil verwandeln. Und mag es auch so scheinen, als seien die Werke vortrefflicher Künstler natürliche oder zumindest naturähnliche Gebilde, ist es doch bei aller Sorgfalt unmöglich, sie so ähnlich zu schaffen, daß sie naturgleich sind, und, selbst wenn man die besten heraussucht, einen so perfekten Körper zu erschaffen, daß die Kunst sie [die Natur] übertrifft. Und wenn dem so ist, folgt daraus, daß vollendete Malereien und Skulpturen nur mit solchem entstehen können, welches ihr entnommen ist, und daß, wer ausschließlich die Stile anderer Künstler studiert und keine natürlichen Körper und Gebilde, seine Werke notwendigerweise weniger gut als die Natur schaffen wird und auch weniger gut als derjenige, dessen Stil man entlehnt. Man hat daher bei vielen unserer Künstler beobachten können, welche, die Natur außer acht lassend, nichts anderes als die Werke ihrer Meister studieren, daß sie diese nicht vollständig erfaßt haben und ihren Meister nicht überholen konnten, sondern der Begabung, die ihnen mitgegeben wurde, ungeheuer geschadet haben. Hätten sie hingegen Stil und natürliche Dinge gemeinsam studiert, würden sie mit ihren Werken mehr Früchte hervorgebracht haben, als sie es taten.2 Zu sehen ist dies an den Werken des Bildhauers Mino da Fiesole,3 dessen Begabung ihn befähigt hatte, zu tun, was er wollte, der jedoch, verzaubert4 vom Stil seines Meisters Desiderio da Settignano,5 der schönen Anmut, die jener den Köpfen von Frauen und Kindern und auch sonst jeder seiner Figuren gab und die ihm nach seinem Urteil besser als die der Natur schienen, nur diesen [Stil] praktizierte und verfolgte, dafür die natürlichen Vorbilder vernachlässigte und als unwichtig abtat und in der Kunst deshalb eher begnadet war als fundiert.6

      Auf der Anhöhe von Fiesole, dieser schon altehrwürdigen Stadt nahe Florenz, wurde der Bildhauer Mino di Giovanni geboren,7 und als man ihn in eine Steinmetzlehre bei Desiderio da Settignano gab, einem jungen und in der Bildhauerei vortrefflichen Mann, zeigte er eine solche Veranlagung für diesen Beruf, daß er während des Zuhauens der Steinquader lernte, die von Desiderio in Marmor geschaffenen Werke aus Ton nachzubilden. Und diese gelangen ihm so ähnlich, daß jener, als er sah, mit welchem Gewinn er sich dieser Kunst zugewandt hatte, ihn vorantrieb und an seinen Marmorwerken einsetzte, bei denen er sich mit größter Umsicht bemühte, den zugrundeliegenden plastischen Entwurf zu wahren. Er beschäftigte sich noch nicht lange damit, als er bereits einige Erfahrung in dieser Tätigkeit gesammelt hatte, worüber Desiderio sich unendlich freute, Mino aber noch mehr über dessen Liebenswürdigkeit, weil er sah, wie bereitwillig jener stets darauf bedacht war, ihn die Fehler vermeiden zu lehren, die man in jener Kunst machen kann. Während er sich also anschickte, in diesem Beruf vortrefflich zu werden, wollte es sein Pech, daß Desiderio in ein besseres Leben überging. Dieser Verlust traf Mino sehr, der Florenz verzweifelt verließ und nach Rom zog,8 wo er einigen Meistern zur Hand ging, die damals Werke aus Marmor und Grabmäler für Kardinäle ausführten, die nach Sankt Peter in Rom kamen (und heute durch den Neubau zugrunde gegangen sind). Auf diese Weise wurde er als erfahrener und hinreichend tüchtiger Meister bekannt und bekam von Kardinal Guillaume d’Estouteville,9 dem sein Stil gefiel, den Auftrag, den Marmoraltar auszuführen, wo der Leichnam des Heiligen Hieronymus in der Kirche Santa Maria Maggiore aufbewahrt wird; dazu Szenen im Flachrelief mit Episoden aus seinem Leben, die er zur Vollendung brachte und darin jenen Kardinal porträtierte.10 Später, als der Venezianer Papst Paul II. seinen Palast in San Marco errichten ließ,11 setzte er Mino dort bei der Ausführung einiger Wappenschilde ein.12 Nach dem Tod jenes Papstes wurde Mino mit seinem Grabmal beauftragt, das er zwei Jahre später fertigstellte und in Sankt Peter errichtete. Dieses Grabmal galt mit seinen Verzierungen und Figuren in jener Zeit als das prachtvollste, das jemals für einen Papst ausgeführt worden war. Bramante13 hat es dann beim Abbruch von Sankt Peter niedergerissen, so daß es viele Jahre lang unter dem Schutt vergraben war und 1547 von einigen Venezianern an einer Wand in der Nähe der Kapelle von Papst Innozenz14 in Alt-Sankt-Peter wiedererrichtet wurde.15 Und obwohl einige der Meinung sind, daß dieses Grabmal von der Hand des Mino del Reame16 stamme, so ist es, obgleich sie fast zur selben Zeit lebten, ganz ohne Zweifel ein Werk von Mino da Fiesole.17 Wahr hingegen ist, daß besagter Mino del Reame dort am Sockel einige Figürchen geschaffen hat, die man zu bestimmen vermag (wenn er denn wirklich Mino hieß und nicht, wie manche behaupten, eher Dino). 18

      Um nun aber zu unserem Mino zurückzukehren: Nachdem jener sich in Rom mit dem besagten Grabmal, dem Sarkophag in der Minerva und der naturgetreuen Statue von Francesco Tornabuoni19 aus Marmor darauf, die man für ausgesprochen schön hält,20 und anderen Werken mehr einen Namen gemacht hatte, dauerte es nicht sehr lange, bis er mit einer hübschen Summe, die er zurücklegen konnte, nach Fiesole heimkehrte und sich eine Frau nahm. Nur wenig später schuf er im Dienst der Ordensfrauen von Murate21 im halbhohen Relief ein Marmortabernakel, das zur Aufbewahrung des Sakraments dienen sollte und von ihm mit all der Sorgfalt, die in seiner Macht stand, zur Vollendung gebracht wurde.22 Noch hatte er es nicht an der Wand montiert, als die Nonnen von Sant’Ambrogio von Minos Eignung erfuhren und ihm, weil sie ein vom Einfall her ähnliches, nur reicher verziertes Rahmenornament zur Verwahrung der hochheiligen Reliquie des Sakramentswunders ausführen lassen wollten,23 dieses Werk übertrugen, welches er so sorgfältig vollendete, daß jene Ordensfrauen ihm bereitwillig gaben, was er als Preis für jenes Werk verlangte, so zufrieden waren sie mit ihm.24 Nur wenig später übernahm er auf Ansuchen von Messer Diotisalvi Neroni25 die Ausführung einer im Halbrelief ausgeführten kleinen Tafel, darin die Figuren der Madonna mit dem Kind im Arm, eingerahmt von den Heiligen Laurentius und Leonhard, die eigentlich für die Priester oder das Kapitel von San Lorenzo bestimmt gewesen war.26 Sie ist dann aber in der Sakristei der Badia von Florenz geblieben, während er für jene Mönche einen Marmortondo mit der Reliefdarstellung einer Madonna mit ihrem Kind im Arm schuf, das sie über dem Hauptportal angebracht haben, das in die Kirche führt.27 Weil es allgemein großen Anklang fand, bekam er den Auftrag zu einem Grabmal für den prächtigen Herrn Ritter Bernardo Giugni, der dieses Denkmal als der ehrenwerte und hochgeschätzte Mann, der er war, von seinen Brüdern wohlverdient hat. Mino hat für dieses Grabmal neben dem Sarkophag und dem darauf liegenden naturgetreu wiedergegebenen Toten eine Justitia ausgeführt, die in hohem Maß Desiderios Stil imitiert, würde er nur ihr Gewand durch den Steinschnitt nicht ein wenig zerhackt gestaltet haben.28 Dieses Werk gab Anlaß, daß der Abt und die Mönche der Badia von Florenz, wo dieses Grabmal zur Aufstellung gekommen war, ihm auch jenes des Grafen Ugo übertrugen, welcher der Sohn des Markgrafen Uberto di Madeborgo [Magdeburg] war und dieser Abtei große Vermögen und Privilegien hinterlassen hatte;29 und weil sie ihn aus diesem Grund mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ehren wollten, ließen sie Mino ein Grabmal aus Carrara-Marmor schaffen, welches das schönste Werk war, das Mino je geschaffen hat.30 Denn es gibt dort ein paar Putten, die das Wappen jenes Grafen halten und in kindlicher Anmut ganz keck dastehen, und neben der Figur des toten Grafen, die er mit seinem Abbild auf dem Sarg darstellte, in der Mitte der Wand über der Bahre die Figur einer Caritas mit einigen Kindern, die sehr sorgfältig ausgeführt und sehr gut mit dem Ganzen in Einklang gebracht ist. Gleiches ist in einer Lünette [darüber] zu sehen, darin eine Madonna mit dem Kind im Arm, die Mino dem Stil Desiderios so ähnlich schuf, wie er nur konnte. Und hätte er seine Arbeitsweise mit dem Studium lebendiger Vorbilder unterstützt, wäre ihm in der Kunst zweifellos enormer Erfolg beschieden gewesen. Dieses Grabmal hat inklusive aller Ausgaben 1600 Lire gekostet und wurde 1481 von ihm fertiggestellt. Er machte sich damit große Ehre und bekam in der Folge den Auftrag, in der Bischofskirche von Fiesole in einer Kapelle nahe dem Chor,