direkt vor ihm gestanden und das rechte Auge getroffen hat, dann ist er Linkshänder“, überlegte Inka laut.
„Davon könnt ihr ausgehen. Zumindest, was die Prügelei angeht. Aber ob der Prügelknabe auch der Mörder war?“
„Kriegen wir heute noch Ergebnisse, Terry?“
„Ich geb mein Bestes“, sagte die Rechtsmedizinerin. „Allerdings liegen bei mir im Institut zwei Alkoholleichen auf dem Tisch und eine Dreißigjährige, bei der der Todesumstand von Suizid bis Mord schwankt.“ Teresa stand aus der Hocke auf und schloss ihre Arzttasche. „Ich vermisse Sebastian. Schläft er noch?“ Suchend sah sie über Inkas Schulter.
„Sebastian ist in Hamburg bei seinen Eltern“, sagte Inka kurz. Dass Sebastian seit zwei Tagen bei seinen Eltern lebte, weil er glaubte, den Kreuzer so von ihr fernzuhalten, gefiel ihr nicht. Sie vermisste ihn. Aber es war seine Entscheidung und die fand sie allemal besser als den gefährlichen Plan, den er mit Flora, Teresas Lebensgefährtin, umsetzen wollte. Auch wenn die Idee der beiden, den Kreuzer aus seinem Versteck zu locken, noch nicht ausgereift war.
Teresa Hansen umarmte erst Inka, dann Mark, nickte Amselfeld zum Gruß zu und winkte Finn Reuscher, dem Polizeifotografen, und Fridolins Team der Spurensicherung, die mit schnellen Schritten die Brücke erreicht hatten. „Lasst mir das Opfer ins Institut bringen“, rief sie ihren Kollegen zu, bevor sie hinter den Bäumen in der Dunkelheit des frühen Morgens verschwand.
„Also gut“, sagte Inka, als Fridolins Team in weißen Schutzanzügen an ihr vorbeiwirbelte, Schildchen aufstellte, mit Lampen den Tatort belichtete, Pinzetten und Pinsel aus ihren Köfferchen holte und mit der Arbeit begann. „Folgen wir der Blutspur.“ Mit der Taschenlampe leuchtete Inka über die Holzbohlen und weiter auf den sandigen Waldweg, der Richtung Parkplatz führte.
„Wie merkwürdig“, hörte sie Mark sagen. „Warum flüchtete er nicht gleich in sein Auto?“
„Auf dem Parkplatz stand außer dem Smart mit Werbeaufdruck des Café-Restaurant Seestübchen kein anderes Auto“, erwiderte Inka.
„Vielleicht hat er seinen Wagen oben an der B209 abgestellt“, bemerkte Amselfeld.
„Unwahrscheinlich“, sagte Inka kopfschüttelnd. „Die Holzbrücke liegt vom Parkplatz aus auf der rechten Seite des Sees. Er müsste einen riesigen Bogen gegangen sein, um hier anzukommen. Wer macht so etwas, wenn es einfacher ist, den Wagen auf dem Parkplatz vor Ort abzustellen?“
„Stimmt“, pflichtete Mark bei. „Aber möglich ist, er wurde mitgenommen und am See abgesetzt. Oder er ist mit dem Taxi gekommen.“
„Und wie kommt er zurück?“
„Zurück wohin?“, fragte Amselfeld und sah Mark mit schläfrigen Augen an. „Wir wissen nicht, wo er wohnt, und wir wissen ebenfalls nicht, ob er verabredet war oder nur spazieren gehen wollte.“
„Mit zwanzigtausend Euro und einem Diamantring in der Tasche zu einem Abendspaziergang aufbrechen ist seltsam. Kriegen Sie raus, Amselfeld, wie das Opfer zum See gekommen ist? Mit dem Taxi, einem Freund, der Freundin oder wie auch immer? Fragen Sie in den umliegenden Taxizentralen nach, wer eine Fahrt zum See mit einem Fahrgast oder mehreren Gästen um die Tatzeit herum getätigt hat. Möglicherweise hat unser Opfer das Geld von seinem Mörder bekommen. Erpressergeld, Schutzgeld oder Schweigegeld, irgendetwas wird es gewesen sein. Wir brauchen die Fingerabdrücke auf dem Geld, Hendriks Kontobewegungen und die Bewegungsanzeigen sowie Anrufprotokolle auf seinem Handy“, ordnete Inka an. Sie leuchtete zurück auf die Blutspuren, die sie weiter Richtung Parkplatz führten. Mit der Taschenlampe schwenkte sie in den Busch- und Laubstreifen, der See- von Waldweg trennte. „Hier hört die Blutspur auf und macht einen Bogen. Amselfeld, Sie gehen den Seeweg entlang Richtung Aussichtsplattform. Mark, wir gehen zum Parkplatz und zum Café zurück, um nicht alle Spuren zu zertrampeln.“
Je näher sie dem Seestübchen kamen, desto lauter wurde das Stimmengewirr, das ihnen entgegenschlug. Inzwischen waren fast alle Eltern der Jugendlichen eingetroffen.
„Ich würde gerne mit Ihrer Tochter alleine sprechen“, bat Inka die Eltern der Schülerin Lea Ohlsen.
„Und was ist mit uns, wann können wir gehen?“, wollte Sigfried Grünhagen wissen.
„Mein Kollege nimmt Ihre Personalien auf.“ Sie nickte zu Mark.
„Wollen wir?“, fragte sie Lea und bat sie um ein paar Schritte. „Lea, bitte verraten Sie mir … oder darf ich Du sagen?“ Inka blieb an der Schranke stehen.
Das Mädchen nickte. Es war blass und Inka sah, dass seine Hände leicht zitterten.
„Lea, ich weiß, was du gesehen hast, war grausam. Wir reden nur so lange, wie du meinst, es verkraften zu können. Aber ich brauche ein paar Antworten. Was ist am See geschehen? Wann seid ihr am See angekommen? Wer kam auf die Idee mit dem Paintballspiel? Was hat es mit dem Untier, dem Werwolf, auf sich?“
„Es war eine dumme Idee“, flüsterte Lea. „Eigentlich wollten Konstantin und ich nur einen Abend, also eine Nacht, alleine verbringen. Seine Eltern waren zu Bekannten nach Soltau zu einer Hochzeit gefahren und wollten erst am nächsten Tag wiederkommen. Meine Eltern dachten, dass ich bei Kristina schlafe, aber …“ Lea zögerte, senkte den Kopf und sah auf den Sandboden.
„Ist Konstantin dein Freund? Er sieht nett aus.“ Inka fand, Lea verhielt sich ganz anders als die dickköpfigen Jugendlichen, mit denen sie sonst ab und an zu tun hatte.
„Ja, ist er auch. Und lange nicht so eingebildet wie Jannik, Peer oder alle anderen Jungs. Obwohl seinen Eltern das große Autohaus in Amelinghausen gehört.“
Inka warf einen schnellen Blick zu Konstantin und seinen Eltern. Als letztes Elternpaar kamen sie mit einem Golf zum See, nicht mit einem SUV. Mit Leas Eltern standen sie als restlich verbliebene Gruppe neben dem hölzernen Wagenrad und gaben Kollege Rommel Auskunft.
„Okay“, sagte Inka, „ihr wolltet den Abend alleine verbringen. Was hat eure Entscheidung geändert?“
„Der Anruf von Peer. Konstantin wollte mit mir Mathe üben, aber Peer meinte, er solle kein Weichei sein, Mathe und ich würden ihm nicht weglaufen, aber das Spiel sich so schnell nicht wiederholen. Und dass Max, Jannik, Peer und die Mädchen, Amanda, Kristina und Klara, auch dabei wären. Um elf Uhr ginge es am Parkplatz beim Seestübchen los.“ Lea biss sich auf die Unterlippe. „Es ist schwer, sich aus der Clique zu lösen, ohne dabei überheblich zu wirken. Alleingänge werden nicht gern gesehen, womöglich gibt es Streit. Ich hab Konstantins Entscheidung verstanden, als er eingewilligt hat.“
„Peer hat euch also am Freitagabend zu dem Spiel überredet.“
„Ja, Konstantin. Er wollte nicht sagen, dass wir alleine sein wollten, die anderen hätten ihn aufgezogen.“
„Kamen alle deine Mitschüler mit Fahrrädern zum See?“
„Ja.“
„Und mit dem Spiel habt ihr wann begonnen?“
„So um halb zwölf. Peer hat die Spielregeln erklärt und Jannik eine Flasche Gin rumgereicht.“
„Wer ist Peer? Wer ist Jannik?“, fragte Inka, den Blick den eingetroffenen Eltern und ihren Kindern zuwerfend.
„Peer ist der Kleinere, der Dunkelhaarige. Jannik ist der Größere, der mit den Dreadlocks“, antwortete Lea.
„Wie ging es weiter?“
„Jeder hat etwas Alkohol getrunken, dann haben wir die Westen angezogen und die Gewehre geladen. Die Jungs gaben uns einen zehnminütigen Vorsprung. Wir Mädchen sind Richtung Waldbad. Klara ist zum Wassertretbecken, Amanda zum Jugendzeltplatz und Kristina Richtung Campingplatz Mühlenkamp. Eine Stunde später, nach Ende des Spiels, wollten wir uns wieder auf dem Parkplatz treffen. Ich war mit Konstantin am Waldbad verabredet.“
„Und haben die Jungen die verabredeten zehn Minuten eingehalten?“
„Ja, kann sein. Ich hab mich vor ihnen im Gebüsch versteckt.“
„Woher