und keinen Fußabdruck.“ Kärcher wies auf die langen Zehen und Krallenspuren, die sich deutlich in den Sand und das Blut gegraben hatten.
„Was soll es sonst gewesen sein? Ein Werwolf, den Lea Ohlsen gesehen haben will und der Hendrik Schubert und eine Frau angefallen hat, die sich hier“, Inka wies auf die Champagnerflasche und die Gläser, „bei einem Stelldichein, einem Heiratsantrag oder was auch immer getroffen haben?“
„Wir haben nur ein Opfer“, resümierte Amselfeld.
„Möglich, dass die Frau vom Angreifer verschleppt wurde.“
„Wohin, Fridolin? Vielleicht in eine Wolfshöhle? Verdammt, jetzt sag mir nicht, dass du, trotz deiner Tierliebe, diesen Unfug glaubst. Das sind doch alte Geschichten, die irgendwer verbreitet und Hermann Löns irgendwann zu Papier gebracht hat. Werwolf, so ein Blödsinn.“ Lea Ohlsens Aussage kam ihr in den Sinn. Eine riesige stinkende Bestie mit roten glühenden Augen, die sie verfolgt hatte.
„Das hab ich ja nicht gesagt, aber …“
Inka winkte ab. Wie konnte Fridolin Kärcher an solch einen Unsinn glauben? „Was ist mit der Flasche Champagner und den Gläsern?“
„An einem der Gläser befinden sich Lippenstiftspuren.“
„Das passt zu dem Ring in Schuberts Hand. Das ganze Drumherum sieht tatsächlich nach einem Heiratsantrag aus“, sinnierte Inka.
„Wobei er gestört wurde“, ergänzte Mark.
„Ich hab noch etwas für euch.“ Fridolin sah sie süffisant schmunzelnd an. In der Hand hielt er den dunkelbraunen Sneaker, der Inka bereits bei Betrachtung der Plattform aufgefallen war.
„Was ist mit dem Sneaker?“, wollte sie wissen.
„Es ist ein Damenschuh der Größe achtunddreißig. Braunes Leder, kaum getragen und ein Markenschuh der Firma Dassenberg. Ziemlich teuer. Meine Frau hat sich vor vier Wochen die gleichen Schuhe gegönnt, nur in Knallrot. Hier, sieh auf das Emblem an der Innenseite“, erklärte er. „Es sollte nicht schwer festzustellen sein, welchem Aschenputtel dieser Schuh gehört. Es gibt nur ein Geschäft in der Heide, das diese Schuhe führt, und das hat seinen Sitz in der Bahnhofstraße der Lüneburger Innenstadt.“
„Einen zweiten Schuh habt ihr nicht gefunden?“, fragte Inka. Erst ein Werwolf und jetzt Aschenputtel. Es reicht, dachte sie, während sie die goldfarbene Stickerei des Schuhs betrachtete.
Kärcher verneinte. „Aber einen weiteren Fußabdruck mit Faserspuren, der von schwarzen Socken stammt und Richtung See weist. Die Frau hat den Schuh verloren, als sie in den See gesprungen ist.“
„Die Frau ist in den See gesprungen, bist du dir da sicher, Fridolin?“
„Absolut. Der Abdruck zeigt Richtung See und hört kurz vor der Kante der Plattform auf. Möglicherweise ist sie im See ertrunken, weil …“
„… die Bestie sie vorher getötet hat“, vervollständigte Mark den Satz des Kriminaltechnikers.
„Dann hätte sie schwer springen können“, berichtigte Fridolin.
„Ich glaub da nicht dran“, mischte sich Inka ein. „Die Blutspuren entfernen sich vom Geländer der Plattform.“
„Die Blutspuren ja, Inka, aber nicht der Fußabdruck, der eindeutig von einer Frau stammt. Sie ist in den See gesprungen oder meinetwegen wurde sie geschubst, geworfen oder was euch lieber ist. Aber es sind die einzigen Abdrücke in Größe achtunddreißig, die hier zur Plattform führen und hier enden. Ihr müsst davon ausgehen, dass nur der Lehrer angegriffen wurde. Vielleicht hat er von der Frau abgelenkt und seinen Angreifer Richtung Brücke gelockt. Ich sag den Soltauer Kollegen, sie sollen Taucher schicken.“
„Ich verstehe das nicht, Mark“, sagte Inka, während sie nachdenklich die Plattform verließ. „Wieso rennt der Lehrer zur Brücke? Hatte er kein Auto dabei? Der Parkplatz ist nur zehn Meter entfernt.“
Inka drehte sich dem Kriminaltechniker entgegen und rief: „Habt ihr einen Personalausweis gefunden?“
„Nein. Wir haben nur das, was Teresa gefunden hat. Am Tatort und im nahen Umkreis lag nichts, aber wir suchen weiter.“
„Danke. Also gut“, sagte sie wieder an Mark gewandt. „Dann fahren wir jetzt in die Schule.“ Sie ging Richtung Parkplatz, auf dem sich die letzten Eltern mit ihren Kindern auf den Heimweg machten.
„Jetzt?“
Inka sah auf ihre Armbanduhr. Kurz nach drei Uhr. „Hast recht, ist etwas früh. Fahren wir nach Hause und treffen uns um neun Uhr am Gymnasium.“
Kapitel 3
Direktor Willibald Busch öffnete seine Anzugjacke und setzte sich schnaufend in seinen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch. Ein kleiner stämmiger Mann, der mit ruhigen Bewegungen und einem Lächeln auf dem Gesicht Gemütlichkeit ausstrahlte.
„Hendrik Schubert, tot, ermordet. Ich kann es nicht fassen“, sagte er, verblüfft über diese Neuigkeit. Er griff sich an seine rosenbedruckte Krawatte, die gelockert über seinem weißen Hemd lag, und rückte sie ein Stückchen nach rechts. „Wer hat das getan?“
„Das wissen wir leider nicht. Aber darum sind wir hier. Acht Schüler Ihres Gymnasiums haben gestern Abend seine Leiche am Lopausee gefunden. Eigentlich hat nur Lea Ohlsen das Opfer gefunden“, verbesserte Inka und setzte sich in den von Busch angebotenen Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch.
„Sie sagten, es waren acht Schüler unseres Gymnasiums.“
„Ja. Sie haben am See ein Paintballspiel veranstaltet.“
„Paintball?“ Willibald Busch schüttelte den Kopf und auf seiner Stirn bildeten sich Falten. „Bestimmt gehörten Peer Bach und Jannik Herzog auch zu der Gruppe. Oder?“ Der Direktor registrierte Marks Nicken.
„Sind diese Schüler auffällig an Ihrem Gymnasium?“, fragte Mark nach.
„Auffällig. Was meinen Sie?“ Busch wartete keine Antwort ab. „Welcher Schüler ist heutzutage nicht auffällig?“, sagte er schnell.
„Wir denken an Alkohol und Drogen, nicht an dumme Jungenstreiche wie: Hurra, die Schule brennt“, sagte Mark.
„Verstehe. Natürlich. Ja, wir sind mit diesen Problemen konfrontiert worden. Leider. Vor einem guten halben Jahr wurden wir aufmerksam. Genauer, Hendrik, also Herr Schubert, bemerkte Veränderungen an den Schülern. Er kam zu mir ins Büro und äußerte seinen Verdacht, dass ein paar Schüler der elften Klasse sich eigenartig aufführten, schwankten, nach Alkohol rochen. Ich sagte ihm, er könnte sich getäuscht haben und dass wir abwarten und keinen Wirbel machen sollten. Schließlich sind wir eine Privatschule, und wenn die Presse davon wieder Wind bekommt, dann …“ Busch griff zum Wasserglas, das neben einer Mineralwasserflasche stand. „Verstehen Sie, es sind viele Akademikerkinder, die wir unterrichten. Das macht schnell die Runde. Und dieser Mord wirft auch kein gutes Licht auf unsere Schule.“ Er stellte das Glas, ohne getrunken zu haben, wieder neben die Flasche.
„Sie meinen, so wie vor einem Jahr, als ein Dealer vor Ihrer Schule gefasst wurde und sich herausstellte, dass es einer Ihrer Schüler war, der die Drogen vertickte.“
Willibald Busch wand sich auf seinem Stuhl und druckste herum, dann sagte er: „Dieser Schüler wurde umgehend unserer Einrichtung verwiesen. Seitdem ist kein Fall mehr aufgetreten. Die Lehrerschaft veranlasste eine weitreichende Aufklärung, um die Schüler über den Alkohol- und Drogenmissbrauch und die katastrophalen Folgen aufzuklären.“
„Und dennoch haben wir am Lopausee die Reste eines Joints gefunden.“
Willibald Busch zuckte nervös die Schultern. „Und der ist von einem Schüler unserer Einrichtung?“
„Davon gehen wir aus.“
„Sie haben einen Verdacht, Herr Kommissar?“
„Wir arbeiten daran.“
„Ich