standen sie am Bett neben dem Ehepaar. Der Mann lag auf dem Rücken und schnarchte leise vor sich hin, die Frau an seiner Seite hatte sich, wie ein Kind zusammengerollt, in ihre Decke gekuschelt.
Hände pressten sich auf ihre Münder und erstickten die ersten Laute der Überraschung, der Empörung und der Angst. Dann waren die Messerklingen an ihren Kehlen, und einer der drei zischte leise, aber bestimmt: »Seid ruhig, sonst schneiden wir euch den Hals auf.«
Sie gehorchten, erstarrten und blieben still liegen. Taschenlampen leuchteten ihnen ins Gesicht und blendeten sie. Schemenhaft sahen sie die drei Eindringlinge. Zwei hielten ihn, einer sie.
»Wenn ihr tut, was wir euch sagen, wird euch nichts geschehen. Wenn nicht, machen wir euch kalt«, drohte der Wortführer, ein großer, kräftig gebauter Kerl.
Die Angst der Eheleute war so übermächtig, dass der Große einen Moment lang fürchtete, sie könnten kollabieren.
Einer der Männer zog die Bettdecken weg. Die beiden waren bis auf ihre Unterhosen nackt. Schnell und routiniert knebelte er das Paar und fesselte ihre Hände mit Klebeband. Die Messer an den Hälsen ihrer Gefangenen hatten sich die ganze Zeit über kaum bewegt.
Der Große leuchtete mit der Taschenlampe über den Körper der Frau. Sie beobachtete mit weit aufgerissenen, panischen Augen, wie er sie musterte, begutachtete, einem Stück Vieh gleich, als müsste er erst abwägen, ob sie ihm gefiel und es sich lohnte, über sie herzufallen. Sie wollte etwas sagen, aber das Klebeband um ihren Mund ließ sie nur unverständlich brabbeln. Die Frau war Mitte 40 und er fand, dass sie reichlich Speck angesetzt hatte. Sie versuchte, mit den gefesselten Händen ihre Brüste zu bedecken. Wie lächerlich, dachte der Große, wir sind nicht gekommen, um dich zu ficken.
Der Ehemann beobachtete die Männer stumm, sein Blick schwankte zwischen Angst und Wut, doch schließlich überwogen die Angst und der Wunsch, zu überleben.
Der Große beugte sich über die beiden und sagte leise: »Hört mir zu: Eure Tochter ist verschwunden. Aber es geht ihr gut. Noch. Sie ist bei uns. Sie war ungehorsam und deshalb mussten wir sie bestrafen. Wir geben sie euch wieder zurück. Irgendwann in den nächsten Tagen. Ihr sprecht mit niemandem über das, was geschehen ist. Habt ihr mich verstanden?«
Beide Eheleute nickten und beobachteten die vermummte Person über ihnen mit großen, furchtsamen Augen.
»Kein Wort«, bekräftigte er. »Sonst holen wir sie erneut und dann wird sie wirklich leiden. Oder vielleicht holen wir dich. Das würde auch Spaß machen.« Dabei strich er mit der kalten Messerklinge über den Körper der Frau.
Sie versuchte zu schreien, doch das Klebeband hielt ihre Panik verschlossen.
»Wir wissen, dass ihr schon bei der Polizei gewesen seid. Damit ist jetzt Schluss. Wenn jemand fragt, wo eure Tochter ist, sagt ihr, dass sie ausgerissen ist, ein paar Tage bei ihrer Freundin in Wien oder sonst wo verbringt, um Spaß zu haben. Irgendetwas in der Art. Habt ihr das kapiert?«
Wieder nickten sie.
»Und werdet ihr euch daran halten?«
Nicken.
»Brav. Ihr seid ganz brav. Ich hoffe, dass wir euch nicht noch einmal besuchen müssen.«
So gespenstisch schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die drei Männer. Nun brauchten sie nicht mehr leise zu sein. Sie verließen das Haus, eilten zu ihrem Auto zurück und machten, dass sie nach Hause kamen. Morgen war wieder ein normaler Arbeitstag für sie.
3.
Sie hatte so lange geweint, bis sie glaubte, keine Tränen mehr in sich zu haben. Sie lag in einem Verlies. Es war kein herkömmlicher Raum, kein Zimmer, sondern ein Kerker, wie sie ihn nur aus Filmen und Besuchen in alten Burggemäuern kannte. Eine kleine Zelle, vier Schritte breit und sechs Schritte lang, die Mauern aus grob behauenen Steinen und der Boden gepflastert, kalt und feucht. Kein Fenster, kein Tageslicht. So finster, dass sie nichts sah. Aber an der Stirnseite der Zelle konnte sie in Kniehöhe einen eisernen Ring ertasten, der dort in die Wand eingelassen war. Der Raum war leer bis auf einen Plastikeimer, den sie als Toilette benutzen konnte.
Sie wusste nicht, ob Tag oder Nacht oder wie lange sie schon hier war. Sie besaß kein Zeitgefühl mehr. Aber mit Sicherheit war sie bereits mehrere Tage in ihrem Verlies gefangen. Die Stunden zerschmolzen in einer Mischung aus Verzweiflung und Angst, unterbrochen von einzelnen Ereignissen.
Manchmal wurde eine Klappe geöffnet, die sich am unteren Rand der massiven Holztür befand. Dann schob jemand eine PET-Flasche mit Wasser in die Zelle und einen Plastiknapf mit Suppe. Es war immer das gleiche Zeug – klare Gemüsesuppe. Ohne Löffel. Sie schlürfte die Suppe und musste das Gemüse mit den Fingern essen. Zuerst hatte sie nichts hinuntergebracht, aber später war der Hunger so groß geworden, dass sie zu essen begonnen hatte.
Manchmal kamen zwei vermummte Männer an die Tür, forderten sie auf, den Eimer zu bringen, nach hinten zu gehen und sich dort mit dem Gesicht zur Wand hinzustellen. Sie tauschten den stinkenden Kübel gegen einen leeren aus, in dem eine Rolle Klopapier lag.
Wenn sich die Klappe öffnete oder die Tür, waren dies die einzigen Momente, in denen sie ein bisschen Licht sah.
Die meiste Zeit saß sie zusammengekauert und frierend in einer Ecke ihres Kerkers. Am Anfang war sie herumgelaufen, von der Tür zur Wand und zurück, zehn Schritte immer hin und her. Später war sie im Kreis gegangen. Sich an den Wänden entlang tastend, einmal in die eine Richtung und dann in die andere. Um ihrer Angst Herr zu werden, um die Dunkelheit zu ertragen und die Einsamkeit. Aber es hatte nichts genutzt. Die Angst war geblieben und die Dunkelheit und die Einsamkeit.
Jetzt saß sie nur mehr in einer Ecke. Oder sie schlief auf dem nackten Steinboden, wenn sie müde war, oder sie aß, wenn es Suppe gab, oder sie verrichtete ihre Notdurft oder sie stellte sich an die Wand, wenn der stinkende Kübel getauscht wurde. Das war nun ihr Leben.
Niemand hatte ihr bisher etwas getan, niemand hatte sie vergewaltigt. Und niemand sprach mit ihr. Sie hatten ihr nur die Schuhe und den Gürtel ihrer Jeans weggenommen. Zunächst hatte sie mit den Männern reden wollen, hatte gefragt, was los sei, was sie von ihr wollten, warum sie hier sei, wo sie überhaupt sei. Aber es gab keine Antwort. Dann schrie sie, beschimpfte sie, und als der Kübel wieder einmal getauscht wurde, versuchte sie an die Tür zu gelangen. Doch die Männer warfen sie brutal zu Boden, einer kniete auf ihrem Rücken und der andere flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn du nicht brav bist, hängen wir dich mit einer Kette an die Wand wie einen räudigen Hund.« Trotz der Stoffmaske, die er trug, konnte sie seinen Atem spüren. Und er leuchtete mit einer Taschenlampe auf den Eisenring an der Wand. Von diesem Zeitpunkt an blieb sie gehorsam an der Wand stehen, wenn die Männer kamen.
Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, wurde sie von einer unbestimmten Angst gepackt. Sie wusste, dass es einen Grund gab, warum sie hier war, dass ihre Entführer etwas mit ihr vorhatten. Und jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, befiel sie die Furcht, dass es jetzt geschehen könnte.
Irgendwann war es so weit. Die Tür wurde aufgerissen und grelles Licht blendete sie. Bevor sie wusste, was geschah, zog sie jemand hoch, und mit einem stinkenden Stofffetzen wurden ihr die Augen verbunden. Die Angst war wieder so übermächtig, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.
»Zieh dich aus«, hörte sie eine Stimme, gedämpft und wie aus weiter Ferne.
Sie waren gekommen, um das mit ihr zu tun, weshalb sie sie hierhergebracht hatten. Die ganze Zeit über hatte sie darüber nachgedacht, was die Männer von ihr wollten, und war immer nur zu einem Ergebnis gekommen. Sie hatte versucht, sich damit abzufinden, aber es war ihr nicht gelungen. Jetzt war es so weit.
»Nein, bitte, tut mir nichts«, stammelte sie und begann zu weinen. Gleichzeitig wusste sie, dass alles Flehen vergeblich war.
»Zieh dich aus«, wiederholte der Mann, diesmal ungeduldiger. »Oder sollen wir dir dabei helfen?«
Sie war unfähig, sich zu bewegen. Plötzlich hörte sie ein lautes Knacken und spürte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Sie schrie, stolperte zur Seite und