Peter Glanninger

Finsterdorf


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Von einer kriminellen Satanistengruppe habe ich jedoch noch nie gehört. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir in den letzten Jahren etwas hereinbekommen hätten. Friedhofsschändungen oder etwas in der Art.« Er dachte einige Augenblicke nach und bekräftigte dann: »Nein, nichts, überhaupt nichts.«

      Das hatte Radek bereits vermutet. Auch er konnte sich nicht entsinnen, irgendwann in den letzten Jahren etwas über Satanisten gehört zu haben. Während seiner Gymnasiumzeit ging einige Monate lang das Gerücht herum, dass es in der Nähe von Krems einen Satanistenzirkel gebe, aber das wurde nie bestätigt. Darüber hinaus hatte er von diesem Thema nie wieder etwas gehört.

      Nach dem Telefonat begann Radek im Internet zu suchen. Er hatte sehr schnell einige grundsätzliche Informationen zum Thema beisammen, druckte vieles davon aus und legte es in einem Aktenordner ab. Wirklich Brauchbares kam dabei nicht zutage. Und dieses Wenige war noch dazu widersprüchlich. Er fand Meinungen, dass alles übertrieben sei und es keine erwähnenswerten satanistischen Aktivitäten gebe, aber auch Expertenaussagen über extrem gefährliche satanistische Gruppen, die sogar vor sexuellem Missbrauch oder Ritualmorden nicht zurückschreckten. Das meiste bezog sich allerdings auf Deutschland. In Österreich war das letzte relevante satanistische Verbrechen im Jahr 2015 in den Medien aufgetaucht. Außerdem gab es einige Berichte von satanistischen Umtrieben im nördlichen Burgenland drei Jahre zuvor.

      Also nicht gerade ein Gegenstand, der jede Woche mit mehreren Anlassfällen glänzte.

      Als Nächstes suchte Radek im Netz nach Informationen zu Schandau. Aber auch das war nicht sehr aufschlussreich. Ein stinknormales Nest an der Ybbs im südwestlichsten Zipfel von Niederösterreich. Erreichbar über die B31, die Ybbstalstraße, zwischen Göstling und Hollenstein, wenn man aus Scheibbs anreiste. Die Gemeinde hatte 563 Einwohner. Nicht gerade eine Weltstadt, dachte Radek. Interessant erschien ihm lediglich, dass der Bürgermeister von der Bürgerliste »Die Schandauer« gestellt wurde. Und das mit einer überwältigenden Mehrheit. »Die Schandauer« verfügten über zehn von vierzehn Sitzen im Gemeinderat. Der Rest verteilte sich auf die Sozialistische Union, die Christlich-Konservativen und die Nationale Partei.

      Die Gemeinde wurde am Ende des 12. Jahrhunderts gegründet und 1208 das erste Mal urkundlich erwähnt. Das Gebiet gehörte damals zum Lehen der Peilsteiner, einem der mächtigsten Adelshäuser des Landes Salzburg. Die Peilsteiner verfügten auch über Besitzungen in Niederösterreich und Südtirol. Da der Ort im Ybbstal an einem Übergang von Niederösterreich in die Steiermark lag, wurde die Burg Rotenstein erbaut. Als das Geschlecht der Peilsteiner Ende des 14. Jahrhunderts ausstarb, fiel das niederösterreichische Lehen an die Familie der Lenksteins. Die machten Burg Rotenstein zu ihrer Stammburg. Sie befand sich bis zum heutigen Tag durchgehend im Besitz der Familie und war daher auch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Schandau verlor ab dem 16. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung, als andere Orte an neuen, strategisch wichtigeren Verkehrsverbindungen entstanden. Vom vergangenen mittelalterlichen Glanz zeugten, neben der Burg, die gotische Kirche aus dem 15. Jahrhundert, ein mittelalterlicher Pranger und ein steinerner Metzen, der auf das Jahr 1340 datierte. Neuzeitliche Sehenswürdigkeiten gab es keine. Heute teilte der Ort das Schicksal vieler ländlicher Gemeinden: zum Leben zu klein, zum Sterben zu groß.

      Auf der dürftig ausgestatteten Webseite der Gemeinde fand Radek auch einige Fotos vom Ort. Ein idyllischer Flecken, so machte es den Eindruck. Während er an diesem Freitagnachmittag die Fotos betrachtete, reifte in ihm ein schneller Entschluss. Wenn er schon einen Job umgehängt bekam, bei dem nicht viel zu gewinnen war, warum sollte er nicht die Arbeit mit dem Vergnügen verbinden? Die Uni begann erst in zwei Wochen und bis dahin hatte er nichts vor. Weshalb sollte er sich nicht zwei Ferientage gönnen und einen Kurzurlaub in Schandau machen? Ein Buch, Laufschuhe, Wanderschuhe möglicherweise und zwei erholsame Tage am Ende der Welt würden ihm sicher guttun.

      Er reservierte telefonisch im Gasthaus »Falk« ein Zimmer. Nun war er mit Gierling und der Situation, die er ihm mit dieser Satanismusgeschichte eingebrockt hatte, wieder versöhnt. Wenn schon keine vernünftige Amtshandlung, dann sollte wenigstens der Erholungswert stimmen, dachte er.

      6.

      Die beiden Männer warteten im hinteren Teil der Kirche, bis die alten Weiber im Beichtstuhl gewesen waren und sich ihre Absolution geholt hatten. Sie fragten sich, wofür wohl? Für unkeusche Gedanken? Dafür, dass sie gemeinsam mit der einen Nachbarin über eine andere Nachbarin hergezogen waren? Dafür, dass sie ihr Gift über ein junges Mädchen verspritzen, auf das sie neidisch waren?

      Sie warteten, bis die Letzte der Alten vorne am Altar ihr Vaterunser heruntergebetet hatte und danach mit schlurfenden Schritten aus der Kirche verschwunden war.

      Einer der beiden kniete sich in den Beichtstuhl. Es roch modrig und ein bisschen nach Weihrauch.

      »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, hörte er den Pfaffen sagen und konnte durch das rautenförmige Holzgitter sehen, wie der Alte ein Kreuz schlug.

      »Vater, ich habe gesündigt«, begann er unaufgefordert zu reden.

      »Und worin bestehen deine Sünden, mein Sohn?«

      »Ich habe eine verheiratete Frau gefickt«, sagte er. »Und es hat mir Spaß gemacht und ihr auch, und jetzt denke ich ständig darüber nach, wie ich ihren Alten kaltmachen kann. Dafür möchte ich Absolution.« Er konnte förmlich spüren, wie es dem Pfaffen die Sprache verschlug. Bevor sich der Alte wieder gefangen hatte, fuhr er fort: »Ihr seid doch an das Beichtgeheimnis gebunden, Vater, nicht wahr?«

      »Ja«, stammelte der Priester und fügte hinzu: »Was du mir da erzählst, ist ungeheuerlich.«

      Doch der Mann ließ ihn nicht mehr weiterreden. »Halt den Mund, Pfaffe! Und hör mir gut zu: Vor einigen Tagen ist mit der jungen Lindner etwas Komisches passiert.«

      Jetzt blickte der Pfarrer das erste Mal hoch, er wollte sehen, wer ihm im Beichtstuhl gegenübersaß. Aber der Mann war maskiert. Der Pfarrer spürte Entrüstung und Zorn, die seinen ersten Schrecken verdrängten. »Was fällt dir ein«, empörte er sich, kam jedoch nicht weiter.

      »Schnauze«, schnitt ihm der Besucher das Wort ab. »Ich hoffe, das, was du mit ihr gemacht hast und was du ihr gesagt hast, fällt unter das Beichtgeheimnis, so wie es sich gehört. Sonst könnte möglicherweise noch mehr passieren.«

      »Das höre ich mir nicht länger an. Wenn du nichts zu beichten hast, dann verlass meine Kirche.«

      »Einen Dreck werde ich tun. Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«

      »Aus – kein Wort mehr«, sagte der Priester und wollte den Beichtstuhl verlassen. Als er die schmale Holztür öffnete, stand ein anderer Mann vor ihm, ebenfalls mit einer schwarzen Sturmhaube maskiert. Dieser Mann drängte ihn zurück auf seinen Sitz.

      »Was fällt euch ein? Ihr Teufelsbrut!«, protestierte der Pfarrer erneut.

      »Halt dein Maul!«

      Ein Messer kam zum Vorschein und die Klinge funkelte matt im düsteren Zwielicht der Kirche. Der Pfarrer hatte Angst. Eine kräftige Hand packte ihn am Hals, die Messerspitze war gefährlich nahe an seinem Auge.

      »Wenn so etwas wie mit der Lindner noch einmal vorkommt, schneiden wir dir deine Ohren ab oder vielleicht was anderes«, drohte der Mann im Beichtstuhl. »Und wenn nur ein Wort von dem, was dir die Kleine erzählt hat, nach außen dringt, auch. Hast du kapiert?«

      Der Pfarrer nickte mit bleichem Gesicht.

      »Schön, dann war’s das. Bete ein Vaterunser für mich und vergib mir meine Sünden – Amen!«

      Die beiden Maskierten verschwanden wie ein böser Spuk.

      7.

      Mit dem Weg veränderte sich auch die Landschaft. Nach der Autobahn dominierten zunächst noch größere Städte mit Industrieanlagen, Einkaufparks und Autohändlern an den Stadträndern und langen Geschäftszeilen im Zentrum. Hohe Wohnhäuser prägten die Stadtbilder, die typischen Bauten der Genossenschaften, umrahmt von Wohnsiedlungen mit Einfamilienhäusern.

      Seit