Claudia Schmid

Mörderische Ostsee


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Zeit, welches einzukaufen und mit dem Boot hinzubringen. Deshalb sähe es furchtbar schlecht aus, dort Mittsommer zu verbringen. Wir füllen das Holz auf und gleichzeitig den Kühlschrank. Das wird eine tolle Überraschung für sie. An Mittsommer bringe ich sie unter einem Vorwand dazu, mit uns auf die Schären zu fahren.«

      »Warst du schon mal dort?«

      Julian zögerte. »Nein.«

      »Ich finde die Idee zauberhaft. Aber wie finden wir hin, wenn du selbst noch nicht dort warst?« Edelgard mischte sich in das Gespräch ein.

      Er tippte auf seinem Smartphone herum. »Ich habe die Koordinaten.«

      »Will ich wissen, wo du die herhast?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nein, Miss Marple. Willst du nicht. Die kleine Insel befindet sich im Schärengarten in der Nähe von Sandön. Es steht ein einziges Haus dort. Und das ist Fridas. Sie hat mir davon erzählt. Aber ich war noch nicht dort, weil sie bislang keine Zeit dafür hatte. Wir sollten unbedingt Brennholz hinschaffen. Abends kann es dort sehr kühl sein, auch jetzt um diese Zeit.«

      »Aber wie kommen wir ins Haus?«

      »Mom, du kannst echt Fragen ohne Ende stellen. Entweder ist es offen oder der Schlüssel liegt unter der Fußmatte. In Schweden hält man respektvoll Abstand. Was denkst du denn? Da würde niemand Fremdes einfach so reingehen. Man legt auch nicht auf einer kleinen Insel an, die einem nicht gehört.«

      Edelgard schwieg zu diesen Erläuterungen. Bei sich fand sie, ein Schlüssel unter dem Abstreifer sei schon eine ziemlich direkte Einladung, ein Haus zu betreten.

      »Ich besorge rasch alles mit einem Kumpel, der ein Auto hat. Er besitzt auch ein kleines Boot. Damit bringt er uns in den Schärengarten. Wenn wir alles abgeladen haben, können wir in Sandhamn Kuchen essen.«

      Edelgard nutzte Julians Abwesenheit, um sich in der Wohnung nützlich zu machen, während Norbert auf der Couch ein wenig vor sich hin döste. Als sie gerade dabei war, das Balkongeländer mit einem Lappen abzuwischen, wurde im Haus gegenüber in der untersten Wohnung die Jalousie hochgezogen. Die blonde Frau steckte noch im Schlafanzug. Edelgard vermutete, dass sie ungewöhnliche Arbeitszeiten haben musste, wenn sie um diese Zeit zu Hause war. Oder sie hatte Urlaub. Aber verbrachte man den wirklich in seiner Wohnung? Vielleicht arbeitete die Frau ja im Schichtdienst. In einem Krankenhaus. Das ergab Sinn! Sie verdunkelte tagsüber ihre Wohnung, damit sie schlafen konnte. Das schwedische Sommerlicht hatte eine völlig andere Intensität als das in Deutschland. Heute Morgen, als sie um 7 Uhr aufgewacht war, hatte sie wegen der Helligkeit angenommen, es wäre schon mittags, und war ziemlich erschrocken, weil sie im ersten Moment meinte, versehentlich einen halben Urlaubstag verschlafen zu haben.

      Edelgard hielt in ihren Gedanken inne. Aber sie hatte die Frau doch gestern auf der Aussichtsbühne gesehen?

      Jetzt rauchte die Unbekannte hastig eine Zigarette auf ihrem Balkon und verzog sich wieder in ihre Wohnung. Kurz darauf verließ sie das Haus mit einem großen Rucksack auf dem Rücken. Edelgard tauchte ihren Lappen in den Eimer mit warmem Wasser und wrang ihn aus. Während sie damit über das Geländer strich, fiel ihr die Kahlheit des Balkons ins Auge. Hier fehlte etwas, das blühte! Sie musste unbedingt einen Blumenkasten besorgen und ihn bepflanzen. Julian würde sie nichts davon sagen und ihn damit überraschen.

      Entgegen seiner Befürchtung wurde es Norbert auf dem kleinen Boot nicht übel. Julians Freund Filip, der sie mit dem landesüblichen »Hej« begrüßt hatte und wie viele Skandinavier Englisch sprach, steuerte es mit ruhiger Hand, sodass es kaum schaukelte. Lediglich wenn größere Boote vorbeifuhren und die davon verursachten Wellen dann auf ihres trafen, wiegte es sich sanft. Sie fuhren beinahe eine ganze Stunde zwischen unzähligen steinernen Inseln hindurch. Einige waren mit mehreren Häusern besiedelt, andere hingegen nur mit einem einzigen oder gar nicht. Die Ostsee war silbrig grau. Sie sahen Fähren, so groß wie Kleinstädte. Möwen begleiteten sie eine Weile, bis sie sich anderen Booten zuwandten, wo sie ein paar Krümel erwarteten. Die Luft roch frisch, aber kaum salzig. Das Binnenmeer Ostsee konnte beim Salzgehalt nicht mit dem Atlantik mithalten.

      Edelgard genoss die Sonnenstrahlen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und saß zufrieden auf der Bank an Deck.

      Der Steg an Fridas Insel bot gerade Platz für ein einziges Boot. Julian half Filip, es zu vertäuen. Norbert schätzte die Größe des Eilands auf ungefähr 100 mal 50 Meter. Hinter großen, vom Wind glatt geschliffenen grauen Steinen duckte sich ein rot angestrichenes Haus mit weißen Fensterrahmen in einer Mulde. Daneben stand ein einzelner Baum, der sich mit einer dünnen Erdkrumme zufriedengab. Julian lief zur Tür und rief: »Ist offen! Wir können rein!«

      Als Edelgard, Norbert und Filip Julians Einkäufe anschleppten, stellten sie gemeinsam mit ihm überrascht fest, dass sich an der Seite des Hauses unter einer Abdeckung sehr wohl Feuerholz befand. Sogar eine ziemliche Menge davon. Julian konnte dafür aufgrund von Fridas Beteuerungen keine Erklärung finden. Im Haus selbst erwarteten sie schlichte helle Holzmöbel. Die Küche war ganz gut ausgestattet, wenngleich alles einen alten Eindruck machte. Sogar ein Kühlschrank war vorhanden.

      »Wie wird der denn betrieben?«, wunderte sich Edelgard.

      »Mit Gas.«

      »Und das Badezimmer?«

      »Ich fürchte, Mom, du wirst dich draußen nach einem Plumpsklo umsehen müssen. Am ehesten hinterm Haus. Mit Kanalisation ist hier nicht zu rechnen.« Er zeigte ein schiefes Lächeln. »Sicherlich gibt es eine Gartendusche.«

      »Denk nicht, dass mir das etwas ausmacht. Ich hatte in meiner Jugendzeit eine Freundin, die wohnte mit ihren Eltern auf einem Bauernhof. Ich erinnere mich noch gut daran, wie das bei denen war. Da gab es ein Plumpsklo auf dem Hof und gewaschen hat man sich in einer Schüssel in der Küche.«

      »Ist das diese Plumpsklo-Geschichte, die du früher öfter zum Besten gegeben hast? Julian kennt die gar nicht.« Norbert unterdrückte mit Mühe ein Grinsen.

      »Ich weiß nicht, wovon du sprichst!«

      »Komm schon! Erzähle sie.«

      »Glaubst du wirklich, Julian will so olle Kamellen hören?«

      »Früher hast du so gerne davon erzählt. Julian, deine Mutter hat ganze Stammtischrunden damit unterhalten.«

      »Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern.«

      »Ist deine Jugendzeit so lange her?«

      Edelgards Faszination für den Humor ihres Mannes hielt sich in Grenzen. In engen. »Derart lange liegt meine Jugendzeit jetzt auch wieder nicht zurück. Jedenfalls hatten wir längst einen Farbfernseher, als ihr noch schwarz-weiß geguckt habt.« Insgeheim freute sie sich über die geglückte Retourkutsche.

      »Mom! Diese alten Geschichten. Und Paps ist vor dem Testbild eingeschlafen. Nicht einmal der nächtliche Pfeifton der Sendeanstalt hat ihn geweckt.«

      »Fabelhaft, Julian, ich muss meine Erinnerungen gar nicht schriftlich für dich festhalten! Du kannst sie selbst mündlich an meine Enkel weitergeben.«

      »So wie früher. Schon in der Steinzeit saßen die Menschen in Höhlen um ein Feuer und haben sich gegenseitig Geschichten erzählt.«

      »Jaja, Norbert. Es ist gut. Und genau aus dem Grund grillen Männer heute so gerne. Weil sie das Feuermachen von der Urzeit her kennen. Alte Instinkte und so.« Edelgard verschwand hinter dem Haus.

      Sie war kaum weg, als ihr gellender Schrei erklang.

      Julian rannte sofort hinaus und lauschte in die Richtung, aus welcher Edelgard immer noch hektisch kreischte. Norbert und Filip folgten ihm.

      »Wenn deine Mutter schreit, ist etwas Schlimmes passiert. Die bringt nämlich so leicht nichts aus der Fassung.«

      »Mom?« Julian folgte weiter ihrer Stimme. Edelgard befand sich tatsächlich hinter dem Haus. Aber sie zeigte nicht auf das kleine Holzhaus mit dem in die Tür geschnittenen Herz, sondern auf eine ziemlich große Hundehütte. Saß da ein Tier drin? So groß, wie die Behausung war, wäre darin Platz für einen Dobermann. Aber weshalb