Claudia Schmid

Mörderische Ostsee


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als persönliche Einladung an sie, das Geschäft zu betreten. Ein Hut aus Filz erweckte sofort ihre Aufmerksamkeit. Er war geformt wie ein Topfhut aus den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts, die gemeinhin als die Goldenen bezeichnet werden. Lila, mit verschiedenenfarbigen Federn darauf drapiert. Edelgard war komplett hingerissen von dem ausgefallenen Exemplar.

      »Ich habe ein Hutgesicht, gell, Norbert?«, sagte sie um Bestätigung heischend zu ihrem Mann, während sie sich glücklich von allen Seiten in dem mehrteiligen Spiegel betrachtete.

      »Du siehst damit aus wie ein schwedisches Blumenhuhn.«

      Norberts Humor war mal wieder unschlagbar. Blumenhühner waren eine besondere schwedische Art dieser Tiere, das wusste sie wohl. Sie trugen den Namen, weil ihr Gefieder besonders bunt war. Edelgard verzog keine Miene, zückte ihre Kreditkarte und erwarb den Hut. Ganz sicher würde sie sich den Kauf nicht von ihrem Mann verderben lassen! Männer und Shopping. Da prallten zwei Welten aufeinander.

      »Den nehme ich mit auf meine nächste Chor-Reise. Alle werden von mir wissen wollen, wo ich ihn herhabe.«

      »Pass bloß auf, dass du damit keinen Tierschützern begegnest. Du gerätst mit dem Ding auf dem Kopf in Verdacht, eigens ein Huhn dafür gerupft zu haben.«

      Edelgard ignorierte den Einwand ihres Mannes und nahm mit einer würdevollen Handbewegung ihre Papiertüte entgegen.

      Vor der nächsten Schaufensterauslage drückte Norbert sich die Nase platt. Bunte Süßigkeiten lagen dort ausgebreitet. Zuckerstangen und Bonbons in allen Farben ergaben ein optisches Potpourri. Aus der leicht geöffneten Ladentür strömte ein verlockender Duft nach Lakritze und Vanille. Wie von unsichtbaren Fäden eines Puppenspielers gezogen schritt Norbert mit verklärter Miene in das Geschäft. Tatsächlich lag in seiner Gangart etwas von einer willenlosen Marionette. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck puren Entzückens. Die hölzerne Ladentheke mit ihren vielen Gläsern erinnerte an einen alten Tante-Emma-Laden. Norbert war in seinem Element und orderte kräftig bei der freundlichen Verkäuferin, die Englisch sprach.

      »Das trägst du jetzt den ganzen Tag mit dir herum?«, zog ihn Edelgard auf, als diesmal er die volle Papiertasche an sich nahm.

      »Bis abends ist sie bestimmt leichter geworden«, kommentierte Julian, dem die Naschsucht seines Vaters bestens bekannt war, und griff selbst flink nach einer Zuckerstange. Genießerisch wickelte er sie aus und steckte sie sich in den Mund. »Wir müssen unbedingt zum Balkon!«

      »Balkon? Den haben wir doch in deiner Wohnung«, fragte Norbert erstaunt.

      Julian lachte. »Damit ist eine Aussichtsplattform gemeint, von der man einen der besten Blicke auf Stockholm hat. Ihr werdet schon sehen! Paps, gib die Tüte her. Ich trage sie für dich.«

      »Damit sie leer ist, wenn ich sie zurückbekomme?«

      »Vertraust du mir nicht?«, fragte Julian in gespielter Empörung. »Ich will lediglich, dass du nicht so schwer tragen musst.«

      »Wie aufmerksam, nein, kaum zu überbieten, mein Sohn!« Norbert umklammerte die Tüte und machte keinerlei Anstalten, sie Julian auszuhändigen.

      Edelgard genoss das Geplänkel zwischen »ihren beiden Männern« und spazierte, die Tasche mit ihrem neu erworbenen Hut am Arm, zufrieden hinter den beiden her.

      Sie stimmte Julian voll und ganz zu. Die Aussicht vom Fjällgatan war wirklich spektakulär. Fand Edelgard zumindest. Sie folgte mit ihren Blicken dem ausgestreckten Arm ihres Sohnes.

      »Dort liegt Djurgården. Da müssen wir unbedingt hin.«

      »Was gibt es dort zu sehen?«

      »Die Vasa, ein spektakuläres Schiff. Extra auf Geheiß des Königs im Jahr 1628 für den Krieg erbaut, fuhr sie nur knapp einen Kilometer weit, um dann zu versinken. Man hat eigens für sie ein Museum geschaffen. Erst im letzten Jahrhundert wurde sie geborgen. 333 Jahre nach ihrem Untergang.«

      »Wasa? War das der Knäckebrotkönig?«

      Julian knuffte seinen Vater in die Seite. »Paps, du und deine Witze! Viel später hat sich eine Firma so benannt, wie der König hieß, warum auch immer. Da war der schon längst tot.«

      Während Norbert kicherte, zog Edelgard eine Grimasse. Manchmal war der Humor ihres Mannes wirklich etwas seltsam und erschloss sich anderen nicht auf Anhieb. Aber da vorne, schlenderte da nicht die Frau, die sie gestern auf dem Balkon am Haus gegenüber gesehen hatte? Die hatte ebenfalls so langes helles Haar und sah ihr überdies frappierend ähnlich. Julian lenkte sie jedoch von ihrer Überlegung ab.

      »Mom, für dich gibt es dort etwas, was dich womöglich mehr interessieren wird als ein Kriegsschiff.«

      Edelgard war neugierig, was nun kommen würde. Hinter ihnen schob sich soeben eine Gruppe Schaulustiger vorbei, in der Englisch gesprochen wurde. Gefolgt von einer Gruppe weiterer Touristen, die sich in einer Sprache unterhielten, die sie nicht verstand. Sie tippte auf Japanisch.

      Norbert summte ein paar Takte eines Schlagers.

      »Na, Mom, klingelt es bei dir ebenfalls?«

      »Da klingelt gar nichts.« Edelgard schüttelte den Kopf.

      Norbert legte seinen Arm um sie, während er weitersummte. »Meine Dancing Queen«, raunte er ihr zu, »weißt du noch, damals beim Abschlussball unserer Schule?«

      »Unser Abiball?« Edelgards Wangen nahmen eine rosafarbene Tönung an. Sie beide waren seit ihrer gemeinsamen Schulzeit zusammen. Norbert war als Sitzenbleiber in ihre Klasse gekommen. Er hatte damals aufgrund seines Alters die anderen um Haupteslänge überragt und es hatte ihr geschmeichelt, dass der älteste Junge der Klasse sich für sie interessierte. Gemeinsam waren sie nach dem Abitur aus ihrer Heimatstadt zum Studium in eine andere Stadt gezogen. Der Popsong war damals schon ein paar Jährchen alt gewesen.

      »Zu dem Lied haben wir zusammen getanzt.« Norbert drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

      »Ihr habt gemeinsam getanzt?«

      Edelgard winkte verlegen ab. »Wir waren sogar im Tanzkurs.«

      Doch Norberts Erzähldrang war geweckt. »Ich habe mit deiner Mutter in jungen Jahren so manche Pirouette gedreht!«

      Julian dämmerte etwas. »Hast du ihr bei diesem Lied einen Heiratsantrag gemacht?«

      Edelgard lag daran, dieses Thema möglichst rasch zu beenden. »Das war ein anderes Mal.«

      »Aber Paps hat Oma um Erlaubnis gefragt?«

      »Meine Schwiegermutter hat mich mit großer Herzlichkeit aufgenommen.« Norbert grinste zufrieden bei dieser Erinnerung.

      Eine Aussage, die Edelgard bezüglich ihrer eigenen Schwiegermutter nicht bestätigen konnte. Da, wo sie beide herkamen, gab es sogar den Begriff »Gegenmutter«. Für Edelgards Dafürhalten umschrieb das passend die negative Haltung von Norberts Mutter ihr gegenüber. Aus deren Sicht kein Wunder. War sie ihrer Meinung nach immerhin ihres einzigen Kindes beraubt worden, das sie nun viel zu selten zu Gesicht bekam. Aber Edelgard hatte kürzlich eine famose Idee entwickelt, um die Schwiegermutter zu beschäftigen. Sie musste unbedingt bei passender Gelegenheit Julian davon erzählen! Und sie würde peinlich genau darauf achten, dass ihr Gatte nicht mithörte. Der bewertete die Angelegenheit womöglich anders als sie selbst. Dabei war die Lösung, die sie für ihr anstrengendes Problem gefunden hatte, wirklich genial.

      »Julian, das Riesenrad dort drüben! Wo gehört das dazu?«, schwenkte Edelgard um auf ein anderes Thema, bevor sie sich womöglich in Norberts Gegenwart verplapperte. Sie war sich unsicher, wie Norbert die Sache aufnehmen würde. Gegenüber allem, was seine Mutter betraf, verstand er wenig Spaß. Er war geprägt davon, immer alles zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen.

      »Das gehört zu Gröna Lund …« Julian stoppte, weil in ihrer Nähe eine schrille Stimme ertönte.

      Die dazugehörige Frau hockte auf dem Boden und durchwühlte hektisch ihre Tasche. »Ich weiß genau, dass sie eben noch da war. Meine Geldbörse ist weg!«, rief sie aufgebracht.

      »Meine