Schauen Sie, da sind noch Abdrücke von den Gummifüßchen.«
Einen klassischen PC gab es in diesem Raum nicht, auch kein Tablet. Gespeicherte Dateien konnten sich also nur auf dem Laptop oder der Festplatte befunden haben. »Ihr Mann hat in der Presse verkündet, er verfüge noch über viel belastendes Material«, sagte Ekinci. »Vielleicht hätte er das besser lassen sollen.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, sagte Cornelia Fecht. »Mir erspart das einiges an Stress. So eine Scheidung zieht sich ja oft ganz schön hin.«
»Sie haben also die Scheidung eingereicht«, konstatierte Ekinci.
»Klar, was denken Sie denn? Ich wusste zwar, dass Carsten schon immer Ambitionen hatte, den Bezirksbeschäler zu spielen. Wenn ich ehrlich bin, haben wir uns genau deswegen überhaupt kennengelernt. Fand ich ja auch ganz reizvoll. Aber ich habe mir ernsthaft eingebildet, nach unserer Heirat hätte ich ihn an die Kette gelegt. Von kleinen Seitensprüngen mal abgesehen; so was passiert immer mal, da bin ich auch gar nicht so. Aber als ich erfuhr, dass er mich in diesem Ausmaß und dauerhaft betrogen hat, all die Jahre, immer wieder, da hatte ich dann doch genug. Schlagartig.«
»Haben Sie seinerzeit Vermögen mit in die Ehe gebracht?«, fragte Ekinci.
»Aber hallo! Erbteil meines Vaters, der kurz vorher verstorben war. Nicht gerade wenig. Für das Haus hier hat’s jedenfalls gereicht. Meine Mutter lebt noch, aber es geht ihr ziemlich schlecht. Meine Schwester und ich sind so oft es geht bei ihr, in Westerstede. Abwechselnd. Wir haben natürlich Pflege gebucht, zweimal täglich, aber Familie ist eben auch wichtig.«
Das war auch einer von Nidal Ekincis Lebensgrundsätzen. In diesem kalten Ton ausgesprochen, ließen ihn die Worte jedoch erbeben.
»Haben Sie einen Ehevertrag?«, fragte er.
Cornelia Fecht schüttelte den Kopf. »Hielt ich damals nicht für nötig. Das hätte vorm Scheidungsrichter durchaus zu Stress führen können! Mein Vater starb nämlich kurz vor unserer Hochzeit, ausgezahlt wurde mein Erbteil aber erst nachher. Vermögen oder gemeinschaftlicher Zugewinn, das wäre die Frage gewesen! Aber dieser Streit findet ja jetzt nicht mehr statt.«
Hatte ihm die Frau gerade ein Motiv geliefert, kostenlos und frei Haus? Zusammen mit dem vielfachen ehelichen Betrug durch ihren Gatten konnte das allemal reichen, fand Nidal Ekinci. Das Auftreten der Dame des Hauses war natürlich allzu nassforsch und freimütig, als dass sie etwas zu verbergen haben könnte. Aber das mochte Absicht sein.
Die Inspektion der weiteren Zimmer im Obergeschoss inklusive Gästewohnung brachte keine weiteren Erkenntnisse. »Alles da, mein Schmuck, die Bilder, die Heimkinoanlage, das Soundsystem und all das andere Zeug«, fasste Frau Fecht zusammen. »Nur Carstens Kram fehlt. Na ja, passt ins Bild. Der Täter war ja auch seinetwegen hier.« Sie verschränkte die Arme und starrte den Oberkommissar herausfordernd an: »Kann ich mich dann jetzt wieder meiner kranken Mutter widmen? Meine Schwester ist erst morgen wieder dran.«
»Nach den Hausschlüsseln wollte ich Sie noch fragen«, sagte Nidal Ekinci. »Wissen Sie, wie viele davon es insgesamt gibt?«
»Keine Ahnung.« Cornelia Fecht schüttelte den Kopf. »Um solche Sachen hat sich allein Carsten gekümmert. Ganz bestimmt hat er auch seinem jeweiligen Betthäschen einen Schlüssel gegeben. Was meinen Sie, wie oft ich schon nach Hause gekommen bin und hinten stand die Terrassentür offen! Carsten hat dann behauptet, das wäre die Putze gewesen, die hätte die Tür nicht zugemacht. Ist aber natürlich Quatsch. So leichtsinnig ist die nicht.«
»Apropos leichtsinnig«, sagte Ekinci, während sie die Treppe hinunter gingen. »Warum gibt es hier eigentlich keine elektronischen Sicherungsmaßnahmen? Keine Alarmanlage, keine Kameras … Ich meine, das hier ist doch ein wertvolles Objekt, da gibt es einiges zu holen! Etwas mehr Security wäre doch angebracht gewesen.«
Cornelia Fecht lachte wieder ihr eisiges Lachen. »Warum? Weil Carsten strikt dagegen war«, sagte sie. »Und wenn Sie mal ein bisschen nachdenken, dann kommen Sie auch darauf, warum. Na? Warum sollte wohl solch ein Hengst wie er Sicherungen gegen unbefugtes Eindringen anbringen lassen, wenn er selber doch nichts anderes im Kopf hatte als genau das? Nämlich unbefugtes Eindringen!«
Gewöhnlich sah man es kaum, wenn Nidal Ekinci errötete. Diesmal war das anders, das konnte er an Cornelia Fechts hämischem Grinsen deutlich ablesen.
6.
»Feeken«, wiederholte Kramer. Langsam und deutlich. »Mareike Feeken.«
»Also nicht Ficken.« Die dralle Dame am Empfang guckte auf ihren Bildschirm. »Und wo soll die nochmal arbeiten?«
»In der Redaktion«, sagte Kramer geduldig. Zum dritten Mal schon. »Mareike Feeken, Lokalredaktion.«
»Ach so, Redaktion.« Dem Tonfall der drallen, rotgesichtigen Dame nach zu urteilen, musste die Redaktion so ziemlich das Unwichtigste an einer Lokalzeitung sein. Das mochte daran liegen, dass die Haupttätigkeit dieser Mitarbeiterin der Ostfriesen-Post im Eintippen von Kleinanzeigen bestand. Den Empfang machte sie nur nebenbei. Personelle Sparmaßnahmen; immerhin war Feiertag. Die Leser aber erwarteten am nächsten Morgen natürlich trotzdem ein angemessen gefülltes Blatt. Vor allem die, die immer lautstark gegen Feiertagsarbeit wetterten.
»Ach, hier.« Endlich hatte die Frau den Namen auf ihrer Liste gefunden. »Feeken heißt die, nicht Ficken. Mareike.« Sie bearbeitete das Tastenfeld ihres Tischtelefons. »In der Redaktion haben wir ja immer so viel Wechsel, kaum kennt man jemanden, ist er auch schon wieder weg. Welche Lokalredaktion sagten Sie noch? Leer?«
»Leer, genau. Mareike Feeken, Lokalredaktion Leer.« Oberkommissar Kramer blieb immer höflich. Jetzt gerade fiel das sogar ihm auf. Immerhin stand er hier im Zentralgebäude der Ostfriesen-Post, das sich in Logabirum befand, und Logabirum war ein Stadtteil von Leer.
»Jaaa, Beate, hier ist Tomke, Anzeigen. Moin! Alles gut bei dir? Nee? Ach, ist dein Rasen auch so gelb? Meiner auch! Hat ja zwei Wochen schon nicht geregnet, nee, bei mir auch nicht, jo, ist echt verloren!« Die grelle Stimme der drallen Dame schallte durch den weitläufigen und ansonsten menschenleeren Anzeigen- und Empfangsbereich. Kramer bezweifelte, dass sie zur hausinternen Kommunikation überhaupt ein Telefon benötigte. Und dass er noch lange seine Stoikerfassade aufrechterhalten konnte, das bezweifelte er auch.
»Was? Weswegen ich anrufe? Ach so, ja. Hier steht so ein Mann, der will zu Frau Ficken. Von der Redaktion. Ja, hat er gesagt.« Die dralle Dame schaute Kramer aus starren Augen an. »Was? Habt Ihr keine? Mareike, dachte ich.«
Oberkommissar Kramer ertrug den Blick, indem er tief und beherrscht atmete.
»Wie? Ach so. Ja, Moment.« Die dralle Dame mit dem roten Gesicht deckte mit der Hand die Sprechmuschel ab und rief in abermals erhöhter Lautstärke: »Sie heißt nicht Ficken! Sie wollen vermutlich zu Mareike Feeken, oder?«
»Mareike Feeken. Wie ich schon sagte.« Kramers Stimme klang eine Nuance schärfer als zuvor.
»Na, nun regen Sie sich mal nicht gleich auf! Sie wollen schließlich was von mir, oder?« Der knallrot geschminkte Mund der drallen Dame hatte sich vor Empörung gerundet. »Und was kann ich wohl dafür, wenn Sie sich keinen Namen merken können! Wie heißen Sie denn überhaupt?«
Oberkommissar Kramer, der sich natürlich vorgestellt hatte, zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn ihr unter die Nase. Die brauchte einen Moment, um die Aufschrift zu entziffern. »Polizei?«, stieß sie dann hervor. Und gleich noch einmal: »Polizei!«
Sie ließ den Telefonhörer sinken. Eine angsterfüllte Stimme war quäkend zu hören, offenbar Beate aus der Redaktion: »Oh Gott, Tomke, was ist los? Wirst du gerade überfallen? Soll ich die Polizei holen?«
Aus dem Hintergrund huschte eine Gestalt heran. Ehe Kramer reagieren konnte, nahm sie der drallen Dame den Hörer aus der Hand und hob ihn ans eigene Gesicht: »Hallo, Beate, Mareike hier. Alles ist gut! Tomke ist nur ein bisschen überfordert vom Multitasking.« Sie legte auf und lächelte Kramer an: »Ich bin Mareike Feeken. Sie wollten zu mir?«
»Kramer, Kripo Leer-Emden, Fachkommissariat