zitierte Stahnke. »Dafür gibt es einfach keine Mehrheit, darum traut sich da seit Jahren keiner mehr ran.«
»Eben! Und das ist schlimm, das muss sich ändern! Jüngste Umfragen geben Hoffnung.« Harms’ Augen funkelten vor Begeisterung. »Die Haltung zum Böllern in Wohngebieten beginnt sich ebenfalls zu verändern. Zeit, ein allgemeines Verbot zu fordern! Oder nehmen wir die ständigen Zerstörungen durch die Randale sogenannter Fußballfans. Das geht Jahr für Jahr in die zig Millionen. Wir verlangen, dass Fans und Vereine selber für alle Schäden aufkommen, bis zum letzten Heller!«
»Sie wissen schon, wie populär Feuerwerk ist? Ganz zu schweigen von Fußball?« Stahnke wiegte zweifelnd den Kopf. »Der ist ja quasi eine Ersatzreligion.«
»Gutes Stichwort.« Harms war nicht mehr zu bremsen. »Religionen! Deren Privilegien gehören gründlich überdacht. Keine religiöse Beeinflussung Minderjähriger mehr! Schon gar keine Körperverletzung Schutzbefohlener, auch Beschneidung genannt. Und überhaupt: Keine Religionsgemeinschaft, die die Gleichstellung der Frau nicht respektiert, sollte sich in Deutschland betätigen dürfen.«
»Das beträfe Juden, Muslime und natürlich Katholiken«, zählt Stahnke an seinen Fingern ab. »Außerdem Autofahrer und Fußballfans. Gibt es noch eine weitere einflussreiche gesellschaftliche Gruppe, mit der Sie sich anlegen wollen?«
»Bestimmt!« Jelto Harms strahlte. »Das war ja noch lange nicht alles! Kommen Sie doch ruhig zu unserer Gründungsversammlung. Ich habe den Eindruck, dass Sie das interessieren könnte.«
»Mal schauen.« Stahnke verabschiedete sich.
Draußen auf der Straße schnaufte er erst einmal tief durch. Dieser Mensch ist ja größenwahnsinnig, dachte er. Will sich mit Gott und aller Welt anlegen! Viel Feind, viel Ehr’, oder was geht dem Mann durch den Kopf?
Auf jeden Fall war dieser elegante Herr ziemlich kämpferisch drauf, überlegte der Hauptkommissar, während er die Autotür hinter sich zuzog und sich angurtete. Und für einen Verkünder der puren Vernunft war er ziemlich emotional. Das sollte man bei der Bewertung seiner Aussage im Hinterkopf behalten.
Stahnke startete den Motor. Diese Parteigründungsversammlung ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Unpopulären, ha! Ob er da vielleicht wirklich mal reinschauen sollte? Schließlich war er ebenfalls ziemlich streitlustig veranlagt.
5.
Eine gutaussehende Frau, dachte Nidal Ekinci. Wenn man hochgewachsene Blondinen mochte. Was er tat. Seine Frau war der entgegengesetzte Typ, aber das war ja auch etwas ganz anderes, da machte er klare Unterschiede. Frau Fecht jedenfalls sah richtig gut aus.
Eigentlich. Bis auf den verhärmten Zug um den Mund. Entweder war sie sehr erschöpft oder sehr enttäuscht. Mit Trauer hatte das jedenfalls nichts zu tun. Den Umriss ihres getöteten Gatten und die Spuren der inzwischen beseitigten Blutpfütze auf der Auffahrt des gemeinsamen Hauses musterte sie jedenfalls mit kühlem Interesse. Bestenfalls.
»Darf ich?« Sie hob ihre rechte Hand mit dem Hausschlüssel. »Oder ist das hier noch gesperrt? Tatort und so?«
»Sie dürfen.« Ekinci nickte. »Die Spurensicherung ist schon durch. Tatortreinigung auch. Ich würde gerne mit Ihnen einmal durch die Räume gehen, um zu prüfen, ob etwas fehlt.«
Cornelia Fecht nickte und schloss auf.
Ekinci folgte ihr in den hallenartigen Flur. »Bitte sagen Sie, wenn Ihnen etwas auffällt«, sagte er. »Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein.«
»Jede Kleinigkeit, ja? Okay.« Sie musterte den Oberkommissar von oben herab. Anscheinend hielt sie nur mit Mühe ein abfälliges Grinsen zurück. »Erste Beobachtung: An der Garderobe hängen keine typisch weiblichen Kleidungsstücke. Darauf hat er nicht immer geachtet.«
Die Verachtung in ihrer Stimme überraschte Ekinci, aber sie lieferte ihm die Erklärung für ihren verbitterten Gesichtsausdruck. »Ihr Verhältnis zu Ihrem Gatten war also … gestört?«, fragte er.
»Gestört ist gut!« Jetzt lachte sie wirklich, so böse, dass Ekinci Schauer über den Rücken liefen. »Carsten hat alles gevögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. So was gilt doch als Sucht, oder? Also war er gestört. Obwohl, der eine sagt so, der andere sagt so. Viele hielten ihn für einen tollen Kerl, und tolle Kerle tun das eben. Tja, die waren entweder selber so, oder sie wären gerne so gewesen.«
»Ihr Mann hat Sie also betrogen?«, fragte Ekinci sicherheitshalber nach.
»Soll ich Ihnen ein Bild malen? Oder wollen Sie es schriftlich?« Wieder so ein geringschätziger Blick. »Obwohl, es liegt ja tatsächlich schriftlich vor. Wissen Sie das gar nicht?«
Ekinci wusste nichts. Er verstand auch nichts. Das sah man ihm an.
»Der Hacker«, erläuterte Cornelia Fecht, »der Carstens Chats öffentlich gemacht hat. Von dem wissen Sie doch? Gut. Dieser Hacker hat verschiedene Chatgruppen geknackt. Und auch online gestellt. Die lokale Zeitung hat sich natürlich auf die gestürzt, in denen es um Politik ging. Beziehungsweise Politiker. Sie kennen doch dieses Blatt, die lassen keine Chance aus, die SPD in die Pfanne zu hauen, stimmt’s?«
Nidal Ekinci nickte, dabei gehörte Lokalpolitik zu den Aspekten der deutschen Kultur, die ihn am wenigsten interessierten. Europapolitik, transatlantische Beziehungen, vor allem natürlich der Nahe Osten und die Situation der Kurden, das waren Themen, in denen er sich bestens auskannte. Aber Landes-, Kreis- und Stadtpolitik hatte er stets geringschätzig ignoriert. Vielleicht ein Fehler, überlegte er. Immerhin lebte er hier, und was zum Beispiel der Stadtrat von Leer beschloss oder auch nicht, ging ihn unmittelbar etwas an.
»Über Carstens ausschließlich private Chats aber haben sie nichts geschrieben«, fuhr Cornelia Fecht fort. »Da scheinen diese Schreiberlinge eine Hemmschwelle zu haben, die ihnen ansonsten abgeht. Einer von denen hat mir mal erzählt, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, bei einem Pressetermin auf einer Bohrinsel in der Nordsee ganz offen mit einer Journalistin geturtelt hat, obwohl er noch anderweitig verheiratet war – und kein einziger der Pressekollegen hat auch nur eine Zeile darüber geschrieben! Scheint so eine Art Kerlekodex zu sein. Wenig später hat sich Schröders Gattin dann scheiden lassen, und die blonde Journalistin wurde seine Ehefrau Nummer vier. Inzwischen ist sie aber auch schon wieder Ex und abgelöst.«
»Aber Ihnen hat man die Chats zugänglich gemacht?«, fragte Ekinci.
»Zugänglich gemacht? Sagen wir lieber: unter die Nase gerieben«, erwiderte Cornelia Fecht. »Diese junge Tante bei der Ostfriesen-Post, Mareike Feeken, hat mich deswegen extra angerufen. Und mir ein paar Auszüge davon als Datei zugeschickt. Hat ihr bestimmt Spaß gemacht, wetten? Mir dafür weniger.« Sie schnaufte.
»Warum hat sie das getan? Wenn sie ja doch nicht darüber schreibt?«
»Was weiß ich.« Cornelia Fecht zuckte desinteressiert mit den Schultern. »Vielleicht für später? Oder sie schreibt unter anderem Namen etwas für die Bunten Blätter? Aber ob die sich für einen Hinterbänkler aus dem Landtag interessieren, ist noch die Frage. Obwohl – jetzt, nach dem Mord vielleicht schon. Na, das sehe ich dann ja beim nächsten Friseurbesuch.«
So viel Kaltschnäuzigkeit schockierte Ekinci. Die nächsten Stationen ihrer Hausbegehung absolvierten sie einsilbig. Der Oberkommissar deutete auf die geöffneten Schubladen, und Cornelia Fecht kontrollierte, ob etwas fehlte. Meist mit negativem Resultat. Nur bei einer Kommode im Esszimmer war sie unsicher. »Ich meine, hier hätte Carstens altes Handy gelegen«, sagte sie. »Vielleicht hat er es selber wieder an sich genommen. Oder aber wir haben es bei einer Sammelaktion abgegeben. Manchmal werden ja Handys gesammelt, bei denen die Notruffunktion noch geht.«
Mehr gab das Erdgeschoss nicht her, so weiträumig es auch war. Carsten Fechts Arbeitszimmer befand sich im ersten Stock. Die Treppe war ungewöhnlich breit und komfortabel geschnitten. Solche Details deuteten auf altes Geld hin, dachte Ekinci, nicht auf einen roten Emporkömmling. Hatte Carsten Fecht das Geld geheiratet?
Im Arbeitszimmer ihres Mannes blieb Cornelia Fecht abrupt stehen. »Da