Thomas Breuer

Der letzte Prozess


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und so.« Mit den letzten Worten schob sie die Tasse über die Theke. Dann machte sie sich daran, die Körnerbrötchen aufzuschneiden, mit Margarine zu bestreichen und zu belegen. »Der Mörder soll den Mann ja sogar ausgepeitscht haben.«

      »Kannten Sie das Opfer?« Heller nippte vorsichtig an dem heißen Cappuccino.

      »Nein, der war nicht von hier.«

      »Er soll früher im Konzentrationslager gearbeitet haben, als Wachmann«, kramte Heller die spärlichen Informationen hervor, die er von Brenner bekommen hatte. Der Chef­redakteur war wie immer sehr gut informiert. Heller hatte sich schon oft darüber gewundert, dass er offenbar überall seine Quellen und Informanten hatte und nicht selten mehr wusste als die ermittelnde Polizei. Aber das machte einen guten Journalisten wohl aus und irgendwie musste Brenner ja an seinen Posten gekommen sein.

      »Davon, dass er hier Wachmann gewesen sein soll, weiß ich nichts.«

      Kam es Heller nur so vor, oder klang das schon wieder etwas verschlossener? »Wo war das Lager denn eigentlich genau?«

      »Hinter dem Dorf.« Julia Grote wedelte mit der Hand ungenau aus dem Laden hinaus. »Davon ist aber heute nichts mehr übrig. Nur den Appellplatz mit dem Mahnmal gibt es noch. Wenn das nicht wäre, würden Sie nichts mehr von dem Lager sehen.«

      Heller überlegte, was sie wohl mehr bedauerte: dass von dem Lager fast nichts mehr übrig war, oder dass man die Reste nicht auch spurlos beseitigt hatte. »Kommt es öfter vor, dass ehemalige SS-Männer das Dorf besuchen?«

      Julia Grote zuckte mit den Schultern. »Nicht dass ich wüsste. Früher hat es oft Ärger mit Neonazis gegeben. Aber seit die im Museum aufpassen und die Glatzen immer gleich rausschmeißen, ist es ruhig im Dorf. Bei Gedenkveranstaltungen sind manchmal ehemalige Häftlinge dabei, aber Nazis …« Sie schob den Teller mit den Brötchen über die Theke und deutete auf Hellers Tasse, die inzwischen leer war. »Noch einen?«

      »Ja, gerne. Der Cappuccino ist prima.«

      »Bleiben Sie länger hier?« Sie stand wieder mit dem Rücken zu ihrem Kunden und bediente den Vollautomaten.

      »Wenn ich eine Unterkunft finde, ja. Gibt es hier eine Zimmervermittlung oder so was?«

      »Hm, das nicht. Aber meine Tante Gerda vermietet Zimmer. Wenn Sie wollen, rufe ich sie mal an und frage. Zu dieser Jahreszeit hat die garantiert noch was frei.«

      »Das wäre super.« Heller nahm die Tasse entgegen und stellte sich mit seinem Frühstück an einen der Stehtische.

      Die junge Frau verschwand in einem angrenzenden Raum. Heller hörte, wie sie leise telefonierte. Dann kam sie zurück. »Geht klar. Nur frühstücken müssten Sie dann bei mir hier im Laden. Das schafft meine Tante in ihrem Alter nicht mehr. Sie hätten es auch gar nicht weit. Das Haus liegt an der Straße direkt unterhalb der Burg, in der Waldsiedlung.«

      »Ist doch super. Dann bekomme ich jeden Morgen so einen hervorragenden Cappuccino.« Heller blinzelte Julia Grote zu und freute sich über den leichten Anflug von Rosa auf ihren Wangen.

      Als er eine Viertelstunde später bezahlt hatte, machte er sich auf den Weg zurück zum Parkplatz und steuerte seinen Wagen über den Burghof und dann am Museum vorbei den Berg hinunter. Julia Grote hatte nicht zu viel versprochen. Am Hang unterhalb der Burg reihten sich schmucke Häuschen im Dreißiger-Jahre-Stil mit kleinen Gärten aneinander, in denen zu einer anderen Jahreszeit sicher die buntesten Staudengewächse blühten. Gleich gegenüber weitete sich der Blick über das Almetal. Heller stellte seinen Wagen ab und ließ seine Augen noch einen Moment über das Flüsschen, eine Brücke mit Bruchsteinbalustrade, eine alte Wassermühle und die ausladenden Wiesen bis hinüber zum Wald auf der anderen Seite des Tales streifen. Das hier war nun wieder Idylle pur. Vielleicht war Wewelsburg ja doch der ideale Ort für ihn, um ein oder zwei Wochen die Seele baumeln zu lassen.

      *

      Wewelsburg, den 17. Dezember 1939

      Mein liebes, treues Hausmütterchen!

      Nun bin ich also auf dem neuen Posten und will Dir berichten, wie ich mich hier eingerichtet habe.

      Wewelsburg ist ein kleines Dorf mit etwa 1000 Einwohnern, so richtig ostwestfälisch und fast wie aus dem Märchenbuch. Und dann die Burg! Was hat unser Reichsführer doch für einen guten Geschmack! Das gewaltige Bauwerk erhebt sich in 50 Metern Höhe über dem ganzen Land und wird nun von einer privaten Firma vollständig überholt.

      Unsere Baracken liegen etwa 500 Meter von der Burg entfernt. Zum Essen gehen wir immer in die Burg, aber das ist nicht einfach nur ein Essen, das man uns hier serviert, das ist ein Diner. Ich sage Dir, mein Muttchen, wenn Du Dich in Zukunft nicht anstrengst mit dem Kochen, bleibe ich für immer hier. Noch dazu wird uns das Essen in diesen gewaltigen Räumlichkeiten von niedlichen BDM-Mädchen serviert, da schmeckt es gleich doppelt so gut. So lässt sich der Krieg aushalten!

      Neben dem SS-Wachdienst kommt nun auch noch die Verwaltungsarbeit dazu. Da werde ich in Zukunft wohl nicht mehr so viel Zeit zum Briefeschreiben haben wie in Sachsen­hausen. Es gibt eben doch immer wieder auch negative Seiten, wenn man seinen Dienst ernst nimmt.

      Gestern Abend hatten wir unsere Julfeier. Wir haben uns aus dem Wald einen herrlichen, vier Meter großen Baum besorgt und auch Lichter und Schmuck waren schnell zur Stelle. Nach einem ergreifenden offiziellen Teil kam die Fidelitas. Zum Essen gab es Kartoffelsalat und Eier. Die Baufirma, die die Burg überholt, hat Rauchwaren und Moselwein gestiftet. Die Stimmung war hervorragend. Wir haben gesungen und völkische Vorträge gehört.

      Heute haben wir einen Rundgang durch die Umgebung der Burg und des Lagers gemacht. Danach hatte ich eine Menge Bürokram. Am Abend bin ich wieder auf der Burg eingeladen. Zum Glück habe ich meine neue Uniform, denn ich verkehre nun in den besten Kreisen.

      Ach, Du mein Hausmütterchen, wie freue ich mich auf die paar Tage über Weihnachten, wenn ich bei Euch sein kann und Du mich so recht verwöhnen darfst!

      Behalt mich lieb bis dahin.

      Dein treuer Vati

      12

      Stefan Lenz hing durch, und das in mehrfacher Hinsicht: Die Matratze, auf der er aufwachte, bildete eine Kuhle wie eine Hängematte und schien direkt auf dem Boden zu enden; in seinem Schädel kippte gerade ein Lastwagen Schottersteine ab; seine Augenlider wurden von Lichtspeeren durchbohrt und ließen sich nicht öffnen; und direkt neben ihm wütete ein Grizzly. Letzteres kam ihm seltsam vor.

      Lenz zwang sich, den Kopf in Richtung der größten Bedrohung zu wenden, ihn leicht anzuheben und wenigstens durch einen Sehschlitz von vielleicht einem halben Millimeter zu blinzeln. Dass er beides besser nicht getan hätte, wurde ihm schlagartig klar, als der Schmerz in seinem Schädel derart explodierte, dass er auf das Kopfkissen zurückgeworfen wurde. Sturm­erprobt und schicksalsergeben wartete er auf das Abbranden der Pein, die – seine Erfahrung ließ gar keinen anderen Schluss zu – nur von allzu engagierter Alkoholvernichtung herrühren konnte.

      Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich an irgendetwas zu erinnern, das diese Schlussfolgerung bestätigen konnte. Aber da war nichts als dröhnende Leere, die in seinem Schädel von Wand zu Wand widerhallte. Und dann ging der Grizzly dem Brummen nach zu urteilen auch noch zum Angriff über. Lenz trotzte dem Schmerz und riss die Augen auf. Zwanzig Zentimeter von sich entfernt erblickte er an Stelle des erwarteten Bären einen Hinterkopf mit dunklem Kurzhaarschnitt. Von dort kam der bedrohlich tiefe Laut, der sich nun als Schnarchen identifizieren ließ. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! War er irgendwann in der Nacht so besoffen gewesen, dass er einen Kerl mit nach Hause genommen hatte? Oder schlimmer noch: eine Transe? Die bärtige Fratze von Conchita Wurst tauchte vor seinem geistigen Auge auf und erzeugte augenblicklich so etwas wie Panik in dem Hauptkommissar. Hätte nicht der Schmerz in seinem Kopf davor gewarnt, wäre Lenz mit einem Satz aus dem Bett gesprungen und hätte den größtmöglichen Abstand zwischen sich und das Grauen gebracht.

      So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als sich dem Furchtbaren zu stellen. Möglicherweise spielte ihm ja auch nur eine Art von Delirium einen Streich. Lenz fasste allen Mut, den er in