Joanne Foucher

Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken


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genannt wird. Es ranken sich viele Legenden um ihn, und er gilt als einer der Eingänge zur Unterwelt.

       Baba Yaga

       Die Initiatorin

      Baba Yaga ist die slawische Göttin in ihrem Aspekt als Greisin. Sie erscheint als magere und hässliche alte Frau mit eisernen Zähnen, die im Wald in einer Hütte lebt, die auf Hühnerbeinen steht.

      In den variantenreichen Geschichten erscheint Baba Yaga einerseits als unberechenbar und sehr gefährlich. Man sagt von hr, dass sie Menschen isst und ihre Schädel auf ihren Gartenzaun steckt. Andererseits gibt sie gute Ratschläge und macht kostbare Geschenke. In den ältesten Geschichten kann Baba Yaga ihr Heim nicht verlassen, da ihre Zauberkraft an diesen Ort gebunden ist. Später reitet sie auf einem eisernen Ofen, der auf Hühnerbeinen läuft, fliegt in einem Mörser, den sie mit dem Mörsterstößel lenkt oder streift mit ihrer gesamten Hütte durch den Wald. Es heißt, dass sie damit die sterbenden Menschen verfolgt und zu sich holt.

      Baba Yaga ist die Hüterin des Wassers des Lebens und des Todes. In manchen Geschichten lebt sie mit zwei Schwestern zusammen. Stirbt eine der Schwestern, so besprenkeln die anderen sie mit dem Wasser des Todes, wodurch ihre Wunden heilen und sie von den Toten wieder aufersteht. Hier zeigt sich, dass Baba Yaga wie Matrona als Greisin Teil der Dreifachen Großen Göttin ist, die über die Kraft des Todes und der Wiedergeburt verfügt.

      In Märchen, Legenden und Erzählungen tritt die Greisin oft in der Gestalt der Stiefmutter, Hexe oder Ähnlichem auf, die der Hauptfigur, dem jungen Mädchen, eine Aufgabe stellt, die vielfach grausam oder unmöglich zu erfüllen scheint. Tatsächlich aber wächst die junge Heldin daran, entwickelt Fähigkeiten, erkennt das wahre Ausmaß ihrer eigenen Stärke und kann nur durch die Aufgabe der »bösen Hexe« ihr volles Potential entfalten. In der bekanntesten Erzählung über Baba Yaga tritt sie der jungen Vasilisa gegenüber als Lehrerin und Initiatorin auf, erschreckend und bestärkend zugleich, die klassische Rolle der Greisin. Baba Yaga fordert uns auf, uns zu verwandeln.

      Frauen werden in unserer Gesellschaft meistens nicht dazu erzogen, intuitiv und ungezähmt zu sein. Baba Yaga nimmt all das, was bremst und einengt, alles, was uns nicht länger dient, in ihren Mörser und verwandelt es. Der Mörser ist, wie der Kessel der Göttin, ein Gefäß, in dem die Dinge transformiert werden. Das Alte wird zerstört, stirbt und wird zu etwas Neuem. Baba Yaga ist die Greisin als Aufgabenstellerin und Schenkerin von Gaben. Sie fordert uns heraus und gibt uns dadurch die Möglichkeit, zu wachsen, über unsere Grenzen hinauszugehen und weiterzukommen, als wir je für möglich hielten. Wenn wir uns von unseren Ängsten nicht bremsen lassen und uns ihrer Führung anvertrauen, führt sie uns zu unserer eigenen Kraft, Intuition und Wildheit (im Sinne von Unbezähmbarkeit und Freiheit). Wir erkennen, dass wir unser eigenes Potential unterschätzt haben, und lassen uns auf das Abenteuer ein zu erforschen, wie weit wir noch gelangen können.

       Die Hexe und die Weise Alte

      Es scheint, dass eine alte Frau – eine Greisin mit all ihren Ecken und Kanten – den Menschen heute eine unerträgliche Vorstellung ist. Ich habe beobachtet, dass sie deshalb in zwei Gegensätze aufgespalten wurde: die idealisierte, wohlmeinende (und damit harmlose) »weise Alte« und die »böse Hexe«. Beide Aspekte sind unvollständig, und so schwächen sie die Greisin.

      Ich lehne den Begriff weise Alte für den Greisin-Aspekt der Göttin, der im New Age, in Hexenkreisen und in der Göttinnenverehrung oft gebraucht wird, ab, da er der einzige Aspekt der Göttin ist, der mit einem Adjektiv versehen und daher mit einer Bewertung verbunden ist. Wer entscheidet, ob eine Greisin Weisheit hat oder nicht? Wenn sie in meinen Augen nicht weise ist, brauche ich sie dann nicht zu würdigen und zu respektieren? Die Göttin in ihrem Aspekt als Greisin ist Weisheit, aber sie ist zugleich viel mehr. Sie ist die wunderbare Verschrobenheit der Alten, die Lebenserfahrung, und sie hat die Freiheit, sich nicht rechtfertigen und erklären zu müssen und muss niemandem gefallen. Sie kann uns als weise, liebevolle Großmutter in der Dunkelheit halten. Sie kann völlig verrückt und irrational sein. Sie hat die Schönheit und die Härte des Lebens erlebt und kann hart sein: Die Greisin sieht, was getan werden muss, und sie tut es.

      Im zweiten Aspekt ist die Schwächung der Greisingöttin ganz offensichtlich: Die ursprüngliche Göttinnenkraft wird in der krass negativ bewerteten bösen Märchenhexe, der bösen Stiefmutter heute kaum noch gesehen. Stattdessen bekommt sie ihre »gerechte Strafe«, wird besiegt und meistens getötet. Einhergehend damit wurde die alte Frau, die menschliche Greisin, mit der Patriarchalisierung und dem Christentum zur irrationalen, nutzlosen Alten degradiert.

      Da man ihre Weisheit und die Macht ihres Wissens und ihrer Erfahrungen nicht völlig verschwinden lassen konnte, machte man sie zur gefährlichen, bösen Alten. Die alten Symbole der Göttin, der Kessel und der Mörser, sind alltägliche Gebrauchsgegenstände im Leben einer alten Frau, die damit sowohl ihr Mittagessen als auch magische Medizinen und Heiltränke herstellt. Der Besen, mit dem die alte Frau ihr Heim auskehrt, wurde zum Hexenbesen, das heilige Tier der Göttin, die Katze, zum Begleittier der Hexe. Den Höhepunkt der Angst vor der Macht der Frauen und des Frauenhasses stellt die europäische Hexenverfolgung dar, die im 13. Jahrhundert begann und sich bis in 18. Jahrhundert hinzog. Heutzutage geht man von etwa 60.000 Opfern aus, von denen 75 Prozent weiblich waren. In Deutschland loderten die Feuer der Scheiterhaufen am schlimmsten, weshalb die kollektive Wunde der Greisin und die Angst vor einer starken Alten bei uns besonders tief geht: Allein in Deutschland wurden 25.000 Menschen, beinahe die Hälfte aller Opfer insgesamt, als Hexen hingerichtet.13

      Im Bild der Hexe lässt sich noch viel von der Göttin als Greisin finden, und es ist unsere Aufgabe, das Lebensalter als alte Frau und Greisin heute wieder als machtvolles, kraftvolles Lebensalter für uns zu beanspruchen. In unserer Gesellschaft wird noch immer vermittelt, dass wir nette, folgsame Mädchen sein sollen; dass Frauen einem oberflächlichen Schönheits- und Jugendbild entsprechen müssen; und es herrscht eine regelrechte Angst davor, alt zu werden, als ob dieser Lebensabschnitt geradezu furchtbar sei. Außerdem sind unsere Familien auseinandergezerrt, und unsere Alten werden in Pflegeheime verfrachtet. Wir müssen die Greisin und die Hexe zurückfordern, ihre Weisheit wie auch ihre Irrationalität, müssen ihre Verschrobenheit würdigen. Sie kann uns lehren, unangepasst zu sein und frei zu bleiben, um als Frauen gesund und kräftig zu werden und zu bleiben und unsere Töchter zu starken gesunden Frauen zu erziehen. Dies geht nur, wenn die Alten sichtbar sind: in den Familien, in den Medien und überall.

      Hier ist eine Frau, die sehr impulsiv geleitet wird

      Dies ist die Greisinnenpracht von Old Silverhead

      Sie durchschneidet die Rationalität mit ihrem Verstand, der wie schnelle Klingen ist

      Das unlogische Denken der Greisin erhält sie glücklich und gesund

      Die Vorsicht ist niedergerissen, es gibt nichts zu verlieren

      Sie wird sich dazu entscheiden, dem Unvorhersehbaren nachzujagen

      Dies ist die Greisinnenpracht von Old Silverhead.

       (nach Carolyn Hillyer)

      Es lebe die Greisin!

       Rückkehr in den Schoß der Göttin

      Matrona als Todesbotin hat per se nichts Erschreckendes, Bedrohliches. Wie die indische Kali ist sie eine Göttin, die beide Aspekte, Leben und Tod, Licht und Dunkel und alle Polaritäten verkörpert, und beide Seiten müssen gleichermaßen akzeptiert und geliebt werden. Anstatt Angst vor ihr zu haben und den Blick nur aufs Diesseits zu richten und jeden Gedanken an sie zu vermeiden, ist Matrona uns allen zugänglich, und wir können eine persönliche, intime Beziehung zu ihr pflegen.

      In Matronas heiligen Schoß kehren wir nach dem Tod zurück. Dieser Gedanke war in vorchristlicher Zeit weit verbreitet, als