Die halbkugelförmigen Grabhügel unserer Vorfahren stellen den schwangeren Bauch der Göttin dar, aus dem wir wieder geboren werden. In vielen neolithischen Grabhügeln hat man neben ihrem Bauch auch die Gebärmutter und den Geburtskanal errichtet:
Über die Jahrhunderte hinweg haben Regen und Wind den Erdhügel abgetragen, der diese Anlage der Sieben Steinhäuser in der Lüneburger Heide, Niedersachsen, ursprünglich bedeckte.
Die Verstorbenen wurden in Grabkammern tief in der dunklen Erde bestattet, zu denen man durch lange Gänge gelangt. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für diese Art, wie die Menschen früher ihre Verbundenheit mit der Göttin durch sakrale Architektur sichtbar gemacht haben, ist der Grabhügel von Newgrange im Boynetal in County Meath in Irland (etwa 3500 v.d.Z.). Die hier Bestatteten wurden am Morgen der Wintersonnenwende wiedergeboren, wenn die Strahlen der aufgehenden Sonne durch ein eigens dafür über dem Eingang eingelassenes Fenster durch den Geburtskanal (Gang) kriechen und die Gebärmutter (Grabkammer) mit Licht füllen.
Noch älter sind die Bestattungsplätze in Lepenski Vir in Serbien (6500 – 5500 v.d.Z.). Der dreieckige Grundriss gibt den Schoß der Göttin, die Böden aus rotem Kalkstein ihr lebenspendendes Mondblut wieder. Während der Ausgrabungen wurden in diesen Gräbern mehrere Steine mit Vulvendarstellungen gefunden.14
Matrona nimmt uns auf nach dem Tod, birgt uns sicher in ihrem Bauch, bis es Zeit für uns wird, wiedergeboren zu werden. Im Rheinland und in der Eifel haben Archäologen große Matrona geweihte Kultzentren und Tempelanlagen ausgegraben. Zum Teil wurden sie rekonstruiert, so dass Matrona an ihnen heute wieder verehrt wird. Die Görresburg bei Nettersheim ist eine solche Anlage, die auf einem Gipfel liegt, wo der Wind weht und man das umgebende Land überblickt. Dieser Tempel der Matrona hält eine Ruhe, Zeitlosigkeit und Größe, die für jeden spürbar ist. Ganz ähnlich ist der Matronentempel von Pesch, im Volksmund Heidentempel genannt, nur dass dieser Gipfel bewaldet ist und das Heiligtum versteckter liegt, wodurch sich die Energie subtil von der auf der Görresburg unterscheidet. Die Anlage von Pesch hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, denn dies war der erste Matronentempel, den ich besuchte, als ich 2002 ins Rheinland kam. 2013 haben mein Mann und ich dort geheiratet.
Offen ist das Land und weit ist der Himmel über der Görresburg.
GöttinnenverehrerInnen legen ihre Weihegaben in Matronas Schoß, vor den Weihesteinen oder oben auf dem Altar ab, oder sie knoten ihre Gaben in die Zweige.
Still und verwunschen ruht der Matronatempel in Pesch, Nordrhein-Westfalen, im Licht der untergehenden Wintersonne geborgen im Wald.
Diese zwei Kultplätze sind nur die berühmtesten vieler solcher Tempel und liegen dicht beieinander. Man kann gut beide am selben Tag besuchen und sich in die subtilen Unterschiede in der Energie beider Orte einfühlen. Beide Tempelanlagen sind friedliche, positive Orte, die täglich von zahlreichen Göttinpilgerinnen und -pilgern besucht werden. Äpfel, Blumen, Räucherstäbchen, Münzen, Kerzen und bunte Bänder sind die Gaben, die sie hinterlassen. Das Zentrum der Matronenverehrung lag aller Wahrscheinlichkeit nach in der Bonna, der keltischen Stadt, die die Vorgängersiedlung des heutigen Bonns ist. Bei Ausbesserungsarbeiten der Krypta fand man unter dem Bonner Münster nicht weniger als 50 Weihesteine an die Matronen, die dort vermauert worden waren. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen für christliche Kirchen, die über älteren Plätzen der Göttinverehrung errichtet wurden.
Die Tore zwischen den Welten
Die Nacht von Samhain, die Nacht vom 31. Oktober auf den ersten November, ist eine Zeit außerhalb der Zeit: Bei Sonnenuntergang stirbt das alte Jahr, das neue Jahr wird erst zum Sonnenaufgang geboren. In der Dunkelheit der Nacht gedenken wir unserer Verstorbenen. Es heißt, dass sich in dieser Nacht die Schleier zwischen den Welten heben, die Tore sich öffnen und wir in die Anderswelt reisen können. Die Seelen unserer Vorfahrinnen und Vorfahren können uns besuchen. Wir stellen Kerzen in die Fenster, die unseren Verstorbenen den Weg weisen sollen, und decken beim Essen ein Gedeck mehr auf. Wir dekorieren Kürbislaternen mit dem Gesicht der Greisin und zünden Ahnenlichter an für diejenigen, die im vergangenen Jahr gestorben sind und sich nun auf die Reise in die Anderswelt machen.
Samhain ist eine gute Zeit, um das, was uns nicht länger dient, in den Schoß der Greisin, in den Kessel der Göttin zu geben, damit es gewandelt wird. Es ist eine gute Zeit, um Intentionen für das kommende Jahr zu säen, die den Winter über in der Dunkelheit ruhen und befruchtet werden, um im Frühjahr aufzulaufen, im Sommer zu reifen und im Herbst geerntet zu werden.
Die Greisin verehren
Zu Samhain besuche Matronas Tempel in der Eifel, ihre Weihesteine in Köln und Bonn und die Blanke Helle in Berlin, bete zur Greisin und bringe ihr Weihegaben. Besuche Höhlen und verbringe Zeit in der Dunkelheit in Meditation. Mach weitere Orte von Matrona, Hel und Baba Yaga ausfindig. Entzünde Ahnenlichter auf den Gräbern der Verstorbenen oder in deinem Garten. Fühle ihre Nähe und bedanke dich für alles, was du von ihnen bekommen hast. In einem feuerfesten Kessel entzünde ein Feuer und übergib den Flammen alles, was in deinem Leben überholt ist und dir nicht mehr dient. Feiere den stillen Beginn eines neuen Jahres.
Kinder haben eine ganz eigene Offenheit der Göttin gegenüber und gehen an ihren Orten ganz natürlich mit ihr in Verbindung.
DIE MUTTER DER LUFT
Die Mutter der Luft ist Perchta, die Göttin der Wintersonnenwende, Anführerin der Wilden Jagd und stilles Auge des Wirbelsturms. Sie ist das Mysterium der Mitternacht, der Moment zwischen Ausatmen und Einatmen. Sie ist das Alte Winterweib, das Land, das im Winter unter Eis und Frost still daliegt. Sie ist die Knochenfrau, die Todesgöttin Ana, die die Toten hält und die Weisheit der Ahnen bringt, die Steinfrau und die Vogelfrau. Ihre Gaben an uns sind Stille, Klarheit und Vision.
An einem klaren Wintertag ruht das Land gehüllt in eine Decke aus funkelnden Eiskristallen, darüber erstreckt sich der Himmel.
Zu Mittwinter nimmt die Göttin ihre Gestalt als Mutter der Luft an. Sie ist der Atem des Lebens, der wilde Wintersturm und die milde Brise. Perchtas Farben sind das Grau von Steinen, des Winterhimmels und der gefrorenen Erde und das Silber der Sterne und des Eises. Ihre Himmelsrichtung ist der Norden, ihre Tiere Greifvögel wie Eule, Falke und Bussard, aber auch das Rotkehlchen, Meise und Fink und die anderen Singvögel, die im Winter nicht nach Süden ziehen, sondern bei uns bleiben und die wir füttern. Die mythologischen Geschöpfe der Mutter der Luft sind die Luftdrachen, ihre Symbole sind Steine, Knochen und Federn. Sie ist die Efeufrau und Hülsefrau: Die immergrünen Winterhölzer sind ihre Pflanzen. Manchmal bleiben die leuchtenden roten Beeren von Eibe, Weißdorn und Hülse (Stechpalme) bis tief in den Dezember an den Zweigen wie Tropfen des Lebensblutes der Göttin, mitten im Tod. Sie ist die Alte Winterfrau, die zur Wintersonnenwende in Grau und Silber erscheint, den Farben von Frost, Eis und Rauhreif. Ihre langen weißen Haare wehen im Wind, wenn sie über das Land schreitet, das tief in der Winterruhe daliegt. Sie hat nicht nur einen Feiertag sondern