Susan Anne Mason

Ein neuer Anfang für die Liebe


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Jon. Wie es scheint, sind du und Emmaline hier untergekommen. Ich hoffe nur, dass es auch noch ein Zimmer für mich gibt“, sagte Quinn und bemühte sich um einen möglichst unbeschwerten Ton.

      Doch Jonathan erwiderte sein Lächeln nicht. Stattdessen erfüllte ein Ausdruck von Mitleid sein Gesicht. „Ich hasse es, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, doch leider nimmt Mrs Chamberlain nur Frauen auf.“ Dann zeigte er mit dem Kopf in Richtung Hintergarten, woher er eben gekommen war. „Ich selbst habe eine Kammer oberhalb der Garage, aber auch nur, weil sie gerade übergangsweise auf der Suche nach einem Gärtner war.“

      „Oh“, entgegnete Quinn, der seinen Optimismus so schnell verloren hatte, wie sich eine Wolke vor die Sonne schieben konnte. „Ich nehme auch nicht an, dass sie mir eine andere Pension empfehlen könnte?“

      „Auf der College Street gibt es eine Herberge vom CVJM. Das wäre mein nächstes Ziel gewesen, wenn Mrs C mir nicht letztlich das Gärtnern angeboten hätte.“

      „Und wie weit ist die College Street von hier entfernt?“, fragte Quinn, erschöpft bis auf die Knochen. Er fühlte sich, als wäre er ewig unterwegs gewesen. An das letzte warme Abendessen oder eine wirklich erholsame Nacht konnte er sich nicht mehr wirklich erinnern.

      „Das weiß ich nicht. Aber komm hoch auf die Veranda, ich sehe mal nach, ob Mrs C hier irgendwo in der Nähe ist. Du siehst aus, als könntest du ein Glas kühle Limonade vertragen“, sagte Jonathan, während er das Tor weiter öffnete und Quinn auf das Anwesen winkte.

      „Das wäre wirklich freundlich. Danke“, bedankte sich Quinn und folgte seinem Freund auf die wohnliche Veranda.

      Jonathan zeigte auf einen der Korbstühle. „Setz dich doch. Ich bin gleich wieder zurück.“

      Nur wenige Minuten später öffnete sich die Eingangstür des Hauses und eine mollige alte Dame eilte eifrig heraus, gefolgt von Jonathan, der ein Tablett mit Getränken trug.

      „Guten Tag, junger Mann. Ich bin Harriet Chamberlain und Sie müssen Mr Aspinall sein. Jonathan und Emmaline haben in den höchsten Tönen von Ihnen gesprochen.“

      Sogleich sprang Quinn auf. „Ja, Madam. Danke. Aber nennen Sie mich gern Quinten.“

      Da funkelten ihre blassgrauen Augen. „Was für ein schöner englischer Name. Ich hatte mal einen Cousin, der so hieß.“

      „Sie kommen auch aus England?“, erkundigte er sich, obwohl er es bei ihrem noch leicht vorhandenen Akzent auch hätte erahnen können.

      „Ja. Als junges Mädchen bin ich nach Kanada gekommen, aber das ist schon einige Monde her.“ Kurz legte sich ein Schatten über ihr Gesicht, doch dann lächelte sie wieder. „Emmaline ist gerade außer Haus. Es wird ihr leidtun, Sie verpasst zu haben.“

      Jonathan reichte Quinn ein Glas und die drei setzten sich.

      „Wie ich gehört habe, nehmen Sie keine Männer auf“, sagte Quinn, nachdem er mit einem großen Schluck beinahe das halbe Getränk geleert hatte.

      „Leider nein. Aber die CVJM-Herberge hat angemessene Preise. Und es ist ein Haus mit gutem Ruf. Es wird Ihnen dort gut gehen.“

      „Danke. Ich müsste nur noch wissen, wie ich dorthin komme. Toronto ist wirklich eine große Stadt.“

      „Die gefühlt täglich größer wird“, ergänzte Mrs Chamberlain mit einem Lachen. „Wie lange werden Sie hierbleiben?“

      „Das kommt ganz darauf an, wie schnell ich meine Geschwister finde“, erwiderte Quinn und legte die Stirn in Falten, während sein Blick die von Bäumen gesäumte Straße entlangwanderte. „Ich muss eines von Dr.-Barnardos Kinderheimen ausfindig machen. Das auf der Peter Street.“ Natürlich kannte er die Adressen von dem kleinen Stück Papier inzwischen auswendig.

      Mrs Chamberlain horchte auf, ihr Gesicht verlor an Farbe und auf ihrer Stirn erschienen Sorgenfalten. „Das ist ein Name, den ich schon sehr lange nicht mehr gehört habe.“

      „Sie kennen den Ort?“

      „O ja, durchaus.“ Ihr Mund formte eine schmale Linie, die Quinns leise Hoffnungen sogleich im Keim erstickte. „Die meisten Kinder werden dorthin geschickt, wenn sie vom Schiff kommen.“

      Ein Unheil verkündendes Schaudern erfüllte Quinn. „Warum klingt das, als bedeutet es nichts Gutes?“

      Da sah Mrs Chamberlain zu Quinn. „Das Haus an sich ist nicht das Problem. Den Kindern geht es dort gut. Problematisch wird es meist erst da, wo man sie als Nächstes hinvermittelt.“

      „Warum?“, hakte Quinn nach und stellte sein nun leeres Glas auf dem Korbtisch neben sich ab.

      „Die meisten Kinder werden an Farmen aus der Gegend vermittelt, um dort zu arbeiten. Das ist kein einfaches Leben. Und leider werden viele von ihnen noch schlechter behandelt als das Vieh in den Ställen.“

      „Woher wissen Sie das alles?“

      Mit starrem Blick sah sie nach vorn und einen Augenblick lang dachte Quinn, sie hätte seine Frage gar nicht wahrgenommen. Aber dann wandte sie sich wieder an ihn. „Vor vielen Jahren sind meine Schwester und ich mit ebenso einem Schiff zusammen mit vielen anderen Kindern nach Kanada gekommen. Uns zwei hat man in das Mädchenheim in Peterborough gebracht.“

      Sogleich erstarrte Quinn auf dem Stuhl. „Dort wurde auch meine Schwester hingeschickt.“

      Sanft legte Mrs Chamberlain eine Hand auf die von Quinn. „Ich bete, dass Ihre Schwester bessere Erfahrungen macht als Annie und ich“, sagte sie und Tränen traten in ihre Augen. „Ich habe es lebend herausgeschafft. Meine Schwester traurigerweise nicht.“ Dann presste sie die Lippen zusammen und suchte in ihrer Schürzentasche nach einem Taschentuch.

      „Das tut mir sehr leid“, bekundete Quinn und sein Hals schnürte sich zu. „Wie alt waren Sie damals, wenn ich fragen darf?“

      „Ich war neun. Meine Schwester zwölf. Wir haben gekämpft, um nicht voneinander getrennt zu werden, aber niemand wollte zwei Mädchen auf einmal aufnehmen. Also haben sie uns auf unterschiedliche Farmen vermittelt, Hunderte Meilen voneinander entfernt.“ Sie knüllte das Taschentuch in den schwieligen Händen zusammen. „Es war schrecklich hart. Noch vor der Dämmerung mussten wir aufstehen und alle Morgenarbeit erledigen – Kühe melken, Eier einsammeln, Holz klein hacken, um damit das Feuer für den Herd anzuzünden. Aber immerhin waren die Farmer, die mich aufgenommen haben, einigermaßen anständig. Nicht wie bei Annie.“

      „Man hat sie nicht gut behandelt?“ So ungern er nachfragte, so sehr fürchtete er die Antwort.

      Mrs Chamberlain schüttelte den Kopf. „Zweimal ist Annie abgehauen, aber jedes Mal hat die Polizei sie wieder zurückgebracht. Es schien sie nicht zu kümmern, woher all die blauen Flecken an ihrem Körper stammten. Der Farmer hat den Polizisten erklärt, sie wäre ungehorsam gewesen und hätte die Strafe verdient. Und sein Wort hat ihnen genügt.“ Die alte Dame tupfte sich die Augen ab. „Wenn das doch bloß der schlimmste Teil gewesen wäre …“

      Quinn warf Jonathan einen Blick zu, da er bisher nichts gesagt hatte. Der Ausdruck von Abscheu auf dessen Gesicht spiegelte Quinns eigene Gefühle wider. „Ist sie unter der Hand des Farmers gestorben?“, fragte Quinn leise.

      „Nicht direkt, aber es ist dennoch seine Schuld. Er hat sie nicht nur schlecht behandelt, er hat sie auch geschwängert.“ Sie hielt inne. „Und dann hat Annie sich erhängt. Sie war erst fünfzehn – das war einfach alles zu viel für sie“, erklärte Mrs Chamberlain, während eine Träne ihre Wange hinunterlief. „Ich weiß, dass ich nicht viel für sie hätte tun können. Aber ich wünschte, sie hätte sich wenigstens nicht so allein gefühlt. Ohne eine andere Wahl.“

      Quinn schüttelte den Kopf und die Limonade begann ihm sauer im Magen zu liegen. „Ihr Verlust tut mir schrecklich leid. Ich hoffe und bete, dass es meiner Schwester besser ergeht.“

      „Das tue ich auch“, erwiderte sie und sammelte sich wieder. „Vielleicht haben sich die Bedingungen über die Jahre hinweg zum Besseren gewendet. Nichtsdestotrotz