über dem Eichsfeld, westliches Thüringen, ist weiß vor Hitze, verlässt ein schmaler Mann mit Brille und grauen Haaren den Weg und steuert hinein in den Wald. Gepanzert in beigefarbenes Gore-Tex arbeitet er sich vorwärts über einen Hang, sucht mit Nordic-Walking-Stöcken Halt zwischen den Wurzeln. Er keucht und wankt unter dem Gewicht eines riesigen Rucksacks.
Der Mann, nennen wir ihn Stephan, hat 150 Euro für diesen Workshop gezahlt, in dem er lernen soll, in Notsituationen zu überleben. Der Kurs geht nur anderthalb Tage, doch Stephan ist ausgerüstet wie für Wochen in der Wildnis. 25 Kilo wiegt sein Rucksack. Der IT-Fachmann aus Köln, Anfang 60, will in der Lage sein, auch längere Zeit in der Natur durchzustehen. Deswegen ist er ja hier.
»Ich hatte neulich zu Hause einen Stromausfall«, sagt er. »Da habe ich mich mit meiner ganzen Hightech-Ausrüstung plötzlich ziemlich einsam gefühlt.« Die elektrischen Geräte liefen nicht mehr, aber das war noch nicht alles, zur selben Zeit sei wegen einer Baustelle in der Nähe auch noch das Wasser ausgefallen. »Ich war ein bisschen entsetzt, wie schnell man in so einer Situation mit seinem Latein am Ende ist.«
Im Februar 2020 war das, »und dann kam gleich Corona«. Für den Informatiker veränderte sich in diesem Moment etwas Wesentliches: Er merkte, wie abhängig er von der technischen Infrastruktur ist – und wie störungsanfällig die Systeme sind. Stephan kam sich linkisch vor, unfähig zu handeln, und er beschloss: So soll es nie wieder laufen. Er sagt: »Ich habe eine schlechte Figur gemacht und mich gefragt: Wie kann ich es in Zukunft besser machen?«
Er ist etwas zurückgefallen, der Rest der Gruppe wird im Grün zwischen den Baumstämmen vor ihm kleiner und kleiner. Wo sein Rucksack sitzt, bilden sich große Schweißflecken. Stephan hat einen Großeinkauf im Outdoorhandel hinter sich: Er hat Essgeschirr dabei, Campingkocher, Pfannen, Messer, Haken, Taue, Matten. Seine Hose und sein Hemd sehen aus wie frisch aus der Verpackung gezogen, sogar die Faltkniffe zeichnen sich noch deutlich ab.
When Shit Hits the Fan
In der Geschichte des Informatikers, der sich an diesem Samstag durch den Wald irgendwo in Thüringen müht, geht es um mehr als ein Wochenende im Wald. Es geht um ein diffuses Gefühl der Unsicherheit, das bis weit in die Mittelschicht gedrungen ist, um die Schwachstellen der modernen, technisierten Welt, die Wechselwirkung zwischen Konsumgesellschaft und Existenzangst sowie die Frage, was der Mensch in all seiner Bedrängnis tun kann, um der Furcht vor dem großen Chaos um uns herum etwas entgegenzusetzen. Es geht um die Krisen, die auf Deutschland zukommen, und die Leute, die sich für sie rüsten. Der Begriff »Prepper« ist abgeleitet vom englischen »to prepare« und bezeichnet Menschen, die sich vorbereiten auf den Tag, an dem nichts mehr so ist wie vorher. Im Prepperslang heißt das TEOTWAWKI, »The end of the world as we know it«, das Ende der Welt, wie wir sie kennen, oder: SHTF: »Shit hits the fan« – wenn also die Scheiße auf den Ventilator klatscht. »Man kann das Ganze auch wie eine Lebens-, Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung sehen«, schreibt der Prepper und Autor Sebastian Hein in seinem Buch »Prepper, Krisenvorsorge, Survival Guide«: »Natürlich hofft jeder, dass man selbst oder die Hinterbliebenen diese Leistungen niemals in Anspruch nehmen müssen, dennoch hat man diese Versicherung und sorgt so für mögliche Ereignisse dieser Art vor.«
Lange Zeit tauchten Prepper in den deutschen Medien nur als politisch verwirrte Sonderlinge, Zwangsneurotiker mit Hang zur Weltuntergangsstimmung oder potenziell waffenhortende Neonazis auf. Das änderte sich schlagartig im Februar 2020, als die Covid-19-Pandemie von China aus nach und nach auf alle Kontinente übergriff. Die New York Times titelte in jener Zeit: »Sie haben sich auf das Schlimmste vorbereitet. Jetzt ist jeder ein Prepper«. Eine Überschrift im Guardian lautete: »Wir haben Prepper und Survivalisten ausgelacht. Bis die Pandemie zuschlug.« Kaum ein deutscher Haushalt, der sich in den ersten Tagen der Pandemie nicht zumindest ein kleines Lager mit Lebensmitteln und Hygieneprodukten angelegt hat. Die Aussicht, im Falle einer Quarantäne die Wohnung nicht mehr verlassen zu können, trieb auch eher sorglose Gemüter, die sonst kaum mehr im Kühlschrank haben als Senf, Butter, eine halbleere Flasche Gin und eine angebrochene Packung Büffelmozzarella, zur Vorratshaltung. Es war eine Ausnahmesituation, wie sie für die meisten Menschen im wohlhabenden Mittel- und Westeuropa bisher unvorstellbar schien. Bilder aus den Krankenhäusern in Italien und Spanien wirkten wie Szenen aus einem Endzeitfilm: überlastete Intensivstationen, halbnackte, künstlich beatmete Patienten, die Zimmer und Flure füllen, daneben Ärzte in Schutzanzügen, Krankenschwestern, die am Schreibtisch kollabieren – plötzlich war das alles Wirklichkeit.
Diese Eindrücke sitzen tief und haben das Sicherheitsgefühl sehr vieler Menschen erschüttert. Zu der Angst vor dem Virus selbst kamen die wochenlangen, weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Auch war in der Anfangsphase des Lockdowns nicht klar, inwiefern sich die Krise auf die Versorgungslage auswirken würde: Durch die Medien gingen Bilder von ratlosen Kunden vor leeren Supermarktregalen, verzweifelten Müttern auf der Suche nach Milchpulver, kilometerlangen Schlangen feststeckender Lkw an den Grenzen. Die Zeitungen berichteten von Hamsterkäufen und Lieferschwierigkeiten, Alltagswaren wie Backhefe oder Klopapier waren über Wochen kaum zu bekommen.
Die Generationen, die nach dem Krieg geboren wurden, hatten so etwas noch nie erlebt. In normalen Zeiten besteht das einzige Problem darin, sich zwischen Dutzenden Varianten von Klopapier zu entscheiden: Teures Markenprodukt oder die Discounter-Variante? Recycling oder extraweich? Dreilagig oder vierlagig? Herzen oder Bärchen? Aber dies waren keine normalen Zeiten. Mit einem Mal war die Sorge vor Engpässen und zeitweisen Notlagen real. Die Tage im Februar haben deutlich gemacht, dass auch in Deutschland Warenströme ins Stocken geraten und vorübergehende Knappheiten entstehen können.
Unter Terrorismusverdacht
Prepper wissen das schon lange. Die amerikanische Serie »Doomsday Preppers« – die erfolgreichste Serie des Kanals National Geographic, die hierzulande auf Netflix zu sehen ist, mag dazu beigetragen haben, ihr Image in der Öffentlichkeit als paranoid-schizophrene Bunkerfreaks zu formen. Seitdem im August 2017 in Mecklenburg-Vorpommern die Gruppe »Nordkreuz« aufflog, ist das Thema außerdem eng mit Rechtsextremismus verknüpft. Die gut 50 Mitglieder der Gruppierung hatten sich auf einen Zusammenbruch der Gesellschaft an einem Tag X vorbereitet; einzelne von ihnen horteten nicht nur Lebensmittel, sondern auch Munition und fertigten Listen mit Namen von linken Politikern und Flüchtlingshelfern an. Die Medien schrieben von Todeslisten; dieser Eindruck liegt zumindest nahe. Zwei der Mitglieder stehen deshalb unter Terrorismusverdacht. Ihnen wird vorgeworfen, die Ermordung politischer Gegner geplant zu haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat«. Das Prepper-Milieu ist seither unter Pauschalverdacht geraten. Aber wer bei dem Begriff nur an Flecktarn-tragende Randfiguren mit Waffendepot denkt, greift viel zu kurz: Längst und nicht erst seit der Corona-Krise zieht sich die Bewegung bis in die Mitte der Gesellschaft.
In Amerika, wo das Phänomen private Krisenvorsorge seinen Ursprung hat, machte der Trendforscher Gerald Celente schon im Winter 2010 »Neo-Survivalismus« als neue Bewegung aus. Celente zufolge ist ein neuer Typus entstanden, der wenig gemein hat mit dem oft assoziierten gewehrschwingenden Hinterwäldler, der sich zu Hause verbarrikadiert: »Jeder neue Schrecken bringt eine neue, andere auf Überleben fixierte Gruppe hervor, und so erweitert sich das Spektrum von den paramilitärischen Stereotypen und schließt nun besorgte Bürger auf allen sozioökonomischen Ebenen ein.«1 Survivalismus, schreibt Celente weiter, also das Überleben in Notsituationen, avanciere damit zum Mainstream.
In den USA hat das Thema freilich noch eine ganz andere Dimension: Prepping ist dort eine Milliarden-Dollar-Industrie, und laut einer Umfrage von 2013 würden sich dort 3,7 Millionen Menschen selbst als Survivalisten bezeichnen2 – die Begriffe Prepper und Survivalist liegen in Amerika dicht beieinander, wobei Survivalisten die militarisierte, im Wald den Break-out trainierende Fraktion bezeichnet und Prepper mehr diejenigen, die sich auf Vorratslager und Bunker beschränken.
Jetzt sind wir alle Prepper, – oder zumindest setzte sich zu Beginn der Krise der Eindruck durch, dass es klug sein kann, sich auf härtere Zeiten vorzubereiten. Die Corona-Pandemie hat private Krisenvorsorge auch in Deutschland zu einem Massenphänomen gemacht: Dosenbrot-Verkäufer berichteten von einem rapiden Zuwachs der Nachfrage, Anbieter von Fertignahrung und Notfallausrüstung kamen mit den Bestellungen