Gabriela Keller

Bereit für den Untergang: Prepper


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Nachrichten, persönlichen Schlüsselerlebnissen und Popkultur, vor allem Katastrophenfilmen oder Serien, mitunter kommt eine Auswahl an Verschwörungstheorien dazu. Kern dieser Erzählungen ist immer der Zweifel – an der Regierung, am politischen System, der Haltbarkeit der gesellschaftlichen Ordnung. Auf die Frage, wie man sich am besten gegen das Chaos rüstet, gibt es viele Antworten: Horte Konserven, halte Hühner, bevorrate Samen, besorg dir Waffen, kaufe Goldmünzen, lerne, von Kräutern und Pilzen zu leben. Die Krisen sind in diesen Geschichten immer verheerend und zugleich praktisch zu bewältigen.

      Die Erkundungen führen ins Herz der deutschen Mehrheitsgesellschaft und bis in die äußersten rechten Extreme, und sie zeigen, dass beides mitunter an denselben Stellen zu finden ist. Auch hier steht der Prepper symptomatisch für den Bundesdurchschnitt, weil rechte und rechtsextreme Ideologien eben längst auch in der Mittelschicht verbreitet sind.

      Was also macht den Prepper aus? Im Grunde handelt es sich um einen Dachbegriff für Menschen, die oft wenig mehr gemein haben, als dass sie sich auf Krisen vorbereiten. Auch geht längst nicht jeder Prepper davon aus, dass die Welt, wie wir sie kennen, auf den Untergang zusteuert. Aber wer sich länger mit ihnen unterhält, ihre Online-Posts verfolgt, ihre Bücher studiert, ihre Videos ansieht oder ihre Diskussionen im Internet mitliest, merkt: Die meisten von ihnen glauben, dass Deutschland begonnen hat, ins Chaos zu gleiten.

      Wer sich mit Preppern unterhalten will, braucht Ausdauer und ein gewisses Maß an Frustresistenz. Viele von ihnen geben grundsätzlich keine Interviews, das Misstrauen gegenüber Journalisten sitzt tief. Einerseits fürchten sie, als Spinner lächerlich gemacht oder für Nazis gehalten zu werden. Andererseits lehnen sie Anfragen zum Teil brüsk oder mit hämischen Kommentaren ab, noch häufiger werden E-Mails gar nicht beantwortet. Generell gehen die meisten Prepper nicht gerne an die Öffentlichkeit, manche agieren klandestin. Unter ihnen verbreitet ist die Sorge, dass im Fall der Krise Plünderer vor ihrer Tür stünden, wenn bekannt ist, dass bei ihnen umfangreiche Lager warten. Es gibt eine überschaubare Anzahl von Preppern, die häufig in den Medien auftauchen; sie haben aus dem Thema meist ein Geschäftsmodell entwickelt und stehen daher nur bedingt für die Szene. Die Menschen, die in diesem Buch zu Wort kommen, habe ich in Preppergruppen im Internet gefunden, auf Facebook, Reddit oder in spezialisierten Foren. Manche haben eigene Websites, YouTube-Kanäle oder Profile in den Sozialen Medien, einige Ratgeber-Bücher veröffentlicht. Zusätzlich zu den direkten Gesprächen habe ich monatelang anonym in offenen und geschlossenen Chatgruppen auf Telegram und WhatsApp recherchiert und verfolgt, wie sich der Austausch entwickelt, welche Nachrichten aufgegriffen werden und wie die Prepper ihre Strategien immer neu kalibrieren. Ich habe an Survival-Workshops und Prepper-Kursen teilgenommen, bin auf dem Bauch über matschige Wiesen gerobbt, habe Vorratslager und Bunker besichtigt, Selbstversorgerhöfe besucht, rechtsextremen Apokalyptikern beim Fantasieren vom Zusammenbruch der Gesellschaft zugehört, Armbrustschießen geübt und gelernt, wie man Fallen baut, um im Fall akuten Nahrungsmangels Ratten erlegen zu können.

      Die meisten Personennamen in diesem Buch sind geändert, mit Ausnahme der Personen, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen. Bei Passagen, die ich aus Sozialen Medien zitiere, sind Rechtschreib- und Grammatikfehler korrigiert; manche Posts habe ich der besseren Lesbarkeit wegen leicht redigiert. So ist dieses Buch Ergebnis einer Art Deutschlandreise unter dem Motto der Krisenvorsorge: Uns begegnen Menschen im Norden und im Süden, im Osten und im Westen, in der Stadt und auf dem Land, viele Männer, ein paar Frauen, ältere und jüngere. Wir treffen sie im Wald und in der Innenstadt von Berlin, bei militärisch-taktischen Schulungen, an ihren Rückzugsorten und in Marzahner Plattenbauten, in geschlossenen Gruppen im Internet und in Straßencafés. Ein geographischer Schwerpunkt liegt auf Ostdeutschland, aber das hat vorwiegend praktische Gründe. Es gibt Prepper in allen Regionen Deutschlands und in allen Bildungs- und Einkommensschichten, vom High-End-Vorsorger bis zum Hartz-IV-Prepper.

      1 Trendsresearch: https://tinyurl.com/yd8ua2en

      2 The Atlantic: https://tinyurl.com/ycf2zrn

      3 Taz: https://tinyurl.com/y8mwcd2b

      I. Doomer, Retreater, Survivalisten: Prepper-Typen und welche Krisen sie kommen sehen

      »Menschen leiden, Menschen sterben.

      Und unsere Ökosysteme sind dabei zu kollabieren.

      Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens.«

      (Greta Thunberg)

      Es ist Samstag, der 7. März 2020, in England landet Premierminister Boris Johnson mit Covid-19 auf der Intensivstation, die OECD ruft die Währungsunion zur Ausgabe von Coronabonds auf, die Stadt New York stellt sich auf Notbegräbnisse sein, in Berlin steigt die Zahl der Infizierten auf 3834, und irgendwo in Deutschland tippt ein Telegram-Nutzer eine Reihe von Aufforderungen in seinen Kanal namens »Prepper_Deutschland«: »Achtung!!!«, schreibt er: »Ändert die Spielregeln!!! Vernetzt Euch!!! Baut Alternativen zu unserem System auf!!!« In den Tagen danach folgen auf dem Kanal allerhand nützliche Hinweise für den Ernstfall: Ein PDF mit Erste-Hilfe-Sofortmaßnahmen, Links zu YouTube-Filmen über pflanzliche Heilmittel, Tipps für den Notfallvorrat zu Hause, Hinweise zum Verhalten auf Demonstrationen und ein Aussaatkalender. Zwischen Krisenkochtipps und einer Liste der schönsten Wanderwege sind Links zu Videoclips von rechtsextremistischen Bloggern ­gestreut, die ihre »Ratschläge für den Zusammenbruch« anbieten, dazu die Bitte, all das gerne weiterzuverbreiten, »um möglichst vielen Personen in dieser Corona-Krise (Pandemie) eine Hilfestellung zu geben«.

      In atemlosen Sätzen diktiert der anonyme Kanalbetreiber seinen rund 3000 Abonnenten eine stichpunktartige Anleitung für die Zeiten der Covid-19-Pandemie auf die Handy-Displays. Der alarmistische Sound, die Abzweigungen zu Nazi-Kanälen und der latent staatsfeindliche Unterton der Posts sind in der Szene nicht selten. Sie charakterisieren auch nicht alle Prepper. Was aber alle von ihnen teilen, ist eine Annahme: Die Katastrophen kommen auf uns zu, aber wer die richtigen praktischen Vorkehrungen trifft, kann sie überstehen.

      Prepper sehen viele Arten von Gefahren voraus: Naturkatastrophen, Finanzkollapse, Aufstände, Bürgerkriege, Sonnenstürme, Invasionen, Terroranschläge, Unfälle in Atomkraftwerken und Chemiewerken oder eben Pandemien. »Es gibt viele wunde Punkte in dieser Gesellschaft«, sagt einer, der sich ein Rückzugsgehöft in Brandenburg eingerichtet hat. »Anfangs waren diese Überlegungen bei mir angstbetont, aber Angst ist ein kraftvoller Motivator. Und wenn man sich mit der Materie beschäftigt, geht die Angst auch weg.«

      Eine der häufigsten Fragen in Prepper-Chats ist: Auf welches Szenario bereitest du dich vor? Die Frage dient nicht nur zum Abgleich von Taktiken und Strategien, sie ist auch Startpunkt für den Austausch von Narrativen: Mit viel Gespür für Dramatik und Spannungsbögen erzählen Prepper einander Geschichten vom Verlauf hypothetischer Krisen und von ihren praktischen Lösungen. Manche proben ihre Szenarien allein oder mit Gleichgesinnten, und wenn sich die politische Situation verändert, werden die Geschichten angepasst oder umgeschrieben. Darin stehen staatliche Institutionen vor der Auflösung, während der Prepper selbst sich bereit macht, das Vakuum zu füllen: Wer sich vorbereitet hat, weiß, was zu tun ist. Die Geschichten kommender Katastrophen und passender Überlebenstaktiken stützen sich auf Medienberichte, Nachrichten, Endzeitfiktion, Verschwörungsnarrative und historische Ereignisse; oft greifen Fantasie und aktuelle Nachrichten ineinander. Das Storytelling ist ein zentraler Faktor beim Prepping, und zu dieser imaginären Komponente passt, dass oft nicht nur Sachbücher oder Medienberichte als Grundlage der Strategien dienen, sondern Katastrophenfilme und Endzeitthriller. Erstaunlich viele der Vorsorger beziehen sich zum Beispiel auf die Zombie-Apokalypse in der Serie »The Walking Dead«.

      Eine der wichtigsten Inspirationsquelle für die Prepper­szene ist ein fiktives Werk: der Thriller »Blackout« des österreichischen Schriftstellers Marc Elsberg. Das Buch, ein internationaler Bestseller, erzählt eindrücklich und detailliert von den verheerenden Folgen eines europaweiten