Michael Marcus Thurner

Perry Rhodan 3099: Die Kinder der Milchstraße


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um dort etwas zu tun.

      Irgendetwas.

      Im Kommandantensessel der THORA zu sitzen und Däumchen drehen zu müssen ... Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.

      »Alle Manöver geglückt«, hörte er Holger Bendissons sonore und stets freundlich klingende Stimme. »Rücktritt in den Normalraum. TOIO schickt Fehlermeldungen im unteren Segment des Marginalbereichs.«

      Der Marginalbereich. Dieser Begriff hatte sich im Bordjargon eingebürgert.

      Bei Myriaden von Schaltungen, Mess- und Arbeitsprozessen, rechnerisch-positronischen Entscheidungen oder protokollarischen Datenaufzeichnungen an Bord kam es immer wieder zu Diskrepanzen oder Ungenauigkeiten am Rand der rechnerischen Wahrnehmung. Eine Niete, die ein bordinterner Wartungsroboter als lose meldete, wurde ebenso dazugezählt wie geringfügigste Abweichungen bei raumtrigonometrischen Berechnungen. Diese Fehler wurden addiert, zusammengefasst und mit Argusaugen beobachtet. Von TOIO selbst, aber auch von unzähligen, an Bord installierten Kontrollrechnern.

      Die THORA war vollständig einsatzbereit. Bull atmete erleichtert durch. Das Schiff war auf einem Ultratender der ANDROMEDA-Klasse gewartet und überprüft worden, nachdem es sich längere Zeit in der Gewalt der Cairaner befunden hatte.

      Verunglückte, verzerrte Funksprüche trudelten ein, Taststrahlen berührten sie. Nahe der Bleisphäre und des Sternenrads herrschte energetisches Chaos. Die Ortungsabteilung meldete Schwierigkeiten, der Funk ebenso.

      Die Nachricht, dass die THORA in M 13 angekommen war, würde sich trotzdem schnell unter den Hunderttausenden Schiffen verbreiten, die sich in einem vergleichsweise winzigen Raumbereich drängten.

      »Ich will mit Perry und mit Markul agh Fermi sprechen«, verlangte Bull. »In genau dieser Reihenfolge.«

      »Verstanden«, meldete Harla Nellison, die Leiterin der Funkabteilung. »Es wird allerdings etwas dauern.«

      Er rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, während er wartete und weitere Ortungsmeldungen eintrudelten. Die THORA wurde von mehreren Schiffsverbänden aufgefordert, exakte Kennungen bekannt zu geben und zu erklären, was das Flaggschiff der Liga ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort zu suchen hatte. Immerhin war bereits die Pseudo- oder auch Opt-THORA – von der man neuerdings als dem Golem sprach – mit Opt-Atlan und seiner Besatzung aus cairanischen Bioplikaten präsent.

      Die Funkverbindung war schlecht. Oft musste das positronische Schiffsgehirn TOIO improvisieren und Mutmaßungen anstellen, was der Absender eigentlich sagen wollte. Strahlungsinterferenzen bereiteten Probleme. Welche Wechselwirkungen auch zwischen dem Sternenrad und der Bleisphäre geschahen – sie zeigten Auswirkungen.

      Im Funkverkehr klang immer wieder Angst durch. Die Arkoniden und Haluter, die vereinzelt patrouillierenden Cairaner, Naats und Ladhonen – sie alle waren übernervös. Und das hatte einen guten Grund.

      Dieser Grund wurde ihnen allen in Holos an ihren Arbeitsplätzen gezeigt: Das cairanische Sternenrad raste auf die Bleisphäre zu. Auf jenen linsenförmigen Bereich, der das Arkonsystem umgab und silbrig-grau schimmerte. Keinem Messgerät war es bislang gelungen, die Bleisphäre zu erforschen oder zu erkunden, was im Inneren der Zone vor sich ging.

      »Ein Weißes Loch mit mehreren bewohnten Welten in seiner Begleitung wird von einer Zone aus unerklärlichem Nichts wie magisch angezogen«, sagte Bull leise zu sich selbst. »Da ist die Katastrophe vorprogrammiert.«

      »Wie bitte?«

      »Es ist nichts.« Bull zwang sich zu einem Lächeln. »Verzeih einem alten Mann, der zu Selbstgesprächen neigt.«

      »Dieser cairanische THORA-Nachbau wurde identifiziert und lokalisiert«, meldete Harla Nellison. »Allerdings hat das Schiff sich ... verändert.«

      Neue Holos entstanden vor Bulls Gesicht. Sie zeigten ein absurdes Objekt, das nur noch vage Ähnlichkeit mit dem Nachbau der THORA besaß. Zwei cairanische Augenraumer klebten an gegenüberliegenden Seiten des Ringwulstes und gaben dem Schiff die vage Anmutung eines Gesichts mit weit abstehenden Ohren.

      Oder einem mit brennenden Augen, die seitlich aus dem Kopf wachsen, dachte Bull.

      »Was geht dort vor sich?«, fragte Bendisson.

      »Ich bin dran«, sagte Nellison knapp. »Andere terranische Einheiten, mit denen wir Kontakt aufgenommen haben, wissen auch nicht so recht, was vor sich geht.«

      Hektik brach aus. Bull erhielt einen Schwall von Funk- und Ortungsdaten übermittelt. Holos, die taktische Angriffs- und Verteidigungsmanöver darstellten, leuchteten reihenweise um ihn auf.

      »Was ist mit der RAS TSCHUBAI?«, hakte Bull nach.

      »Ich versuche mein Bestes.«

      Er konzentrierte sich erneut auf die eingehenden Informationen. »Beiboote der Pseudo-THORA kehren zu ihrem Mutterraumer zurück, wobei sie von cairanischen Schiffen verfolgt und diese wiederum von der Pseudo-THORA attackiert werden. Was, zur Hölle, hat das zu bedeuten?«

      Schweigen. Niemand wusste etwas zu sagen. Auch TOIO nicht.

      »Ich finde die RAS TSCHUBAI derzeit nicht. Das energetische Störfeuer ist zu massiv. Aber ich könnte dir ein Gespräch mit agh Fermi anbieten ...«

      »Danke, Harla. In ein Holo, bitte.«

      Die Bildverbindung war angesichts des stellaren Umfelds zwischen Bleisphäre und Sternenrad überraschend gut und stabil. Das Gesicht des arkonidischen Flottenkommandanten blickte Bull unvermittelt entgegen. Der Arkonide wirkte jung für das Amt eines Mascanten, unverbraucht – und ein klein wenig genervt. Seine Augen tränten.

      »Reginald Bull«, sagte er und nickte knapp. »Unter anderen Umständen würde ich mich gerne mit dir unterhalten, aber nicht jetzt. Ich muss mich um meine Flotte kümmern. Ich schleuse sie soeben aus dem Sternenrad aus, bevor ...«

      »Ein kluges Vorgehen und sicherlich wichtig, aber nicht wichtiger als dieses Gespräch«, unterbrach Bull grob. »Ich halte mich kurz: Was hat es mit diesem Kampf der Cairaner gegen die Pseudo-THORA auf sich?«

      Dem Arkoniden war anzumerken, dass er sich über Bulls forsches Auftreten ärgerte. »Die Lage ist komplex, wie du weißt. Etliche Schiffe der Baronien und der Liga stehen im Inneren des Sternenrads, neben Einheiten der Cairaner und Ladhonen. Hoffentlich bleibt uns ausreichend Zeit an den Lichtschleusen, um das Sternenrad wieder zu verlassen. Die Cairaner wissen nicht so recht, wie sie das Abdriften des Sternenrads in Richtung Bleisphäre aufhalten sollen ...«

      »Schön und gut, agh Fermi, aber das weiß ich bereits. Auch, dass Perry wieder mal im Fokus steht.« Und ich, wie so oft, am Rand des Geschehens, fügte er in Gedanken hinzu. »Ich möchte wissen, was die Pseudo-THORA vorhat. Warum wenden sich die Cairaner gegen deren Beiboote?«

      Ein Signal traf ein, demzufolge der Arkonide auf eine gesicherte Frequenz gewechselt hatte. »Ein Mann mit deiner Erfahrung weiß selbstverständlich, wann es Zeit ist, ein nichtöffentliches Gespräch zu führen«, sagte der Mascant. »Aber ich möchte, offen gestanden, deine Erfahrung nutzen.«

      Bull verstand. Agh Fermi wollte sich vor den Zuhörern auf seinem eigenen Schiff und der THORA keine Blöße geben. Er war überfordert. »Du willst meinen Rat?«

      Weiteres Tränensekret sammelte sich in den Augenwinkeln des Arkoniden. »Die Beiboote der Pseudo-THORA bringen bleisphärengeborene Futuroskope zu ihrem Mutterschiff. Sie sind bereit, den angeblich optimierten Atlan bei seinen Zielen zu unterstützen.«

      »Woher weißt du das?« Bull fühlte sein Herz schneller schlagen.

      Die Futuroskope waren präkognitiv geprägte Wesen. Sie waren in der Lage, in die Zukunft zu blicken. Die Gabe dieser Wesen bedeutete einen immensen Machtzuwachs. Wer auf die Dienste der Futuroskope zurückgreifen konnte, hatte jederzeit einen enormen Wissensvorsprung.

      »Dieser Opt-Atlan – so nennt sich Atlans Doppelgänger tatsächlich ganz offen – machte gar keinen Hehl daraus, dass er die Futuroskope mit auf seine Reise ins Innere der Bleisphäre nehmen möchte. Er hat einige von ihnen aktiv gesucht