Michael Marcus Thurner

Perry Rhodan 3099: Die Kinder der Milchstraße


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wirkte sie allerdings zutiefst besorgt.

      »Was ist mit Perry?«, fragte Bull, der die schlechten Nachrichten erahnte.

      »Natürlich ist er wieder einmal nicht dort, wo er sein sollte.« Zorn und Sorge hielten sich in ihrer Stimme die Waage. »Er hat die RAS TSCHUBAI verlassen. Gemeinsam mit Zemina Paath, Gucky und zehn TARAS ist er an Bord des Golems gegangen.«

      »Wann?«

      »Er vor fast drei Stunden losgeflogen.«

      »Warum?«

      »Um Atlan zu retten.« Sichu erzählte Bull von dem Ultimatum, das ihnen Opt-Atlan geschickt hatte.

      »Dieser Idiot!«, schloss Sichu. »Ich hätte in meiner heimatlichen Galaxis bleiben und in Ruhe alt werden sollen. Aber nein – ich verliebe mich in einen Terraner, dessen Hauptziel ist, das Universum zu retten und sich dabei selbst immer wieder in höchste Gefahr zu bringen.«

      Die berauschend schöne Frau aus dem Volk der Ator wollte ihre Sorgen überspielen und stark wirken. Sie scheiterte kläglich.

      »Du weißt, dass man Perry nicht einfach so umbringt. Außerdem ist er nicht allein. Er hat einen phänomenalen Instinkt bei der Auswahl seiner Begleiter.«

      »Er ist trotzdem ein Idiot, Reginald.« Sichu wischte sich übers Gesicht – und erstarrte von einem Augenblick zum nächsten.

      Sie wandte sich von der Bildübertragungskamera ab. Bull bekam bloß ihren Hinterkopf zu sehen.

      Er verstand, was Sichu derart schockiert hatte, dass sie ihn vergessen hatte: TOIO lieferte soeben ebenfalls neue Bild- und Messdaten.

      Die Realitätsgezeiten der Bleisphäre hatten sich schlagartig verändert – und der Golem war verschwunden. Vermutlich mit Perry Rhodan, Gucky und Zemina Paath an Bord.

      *

      Bull vereinbarte einen Treffpunkt mit der RAS TSCHUBAI. Etwa 16 Milliarden Kilometer von der Bleisphäre entfernt, auf einer gedachten Linie zwischen ihr und dem Sternenrad. Er wechselte mit einer Space-Jet auf das andere Schiff über. Ein Transmittertransport war ihm angesichts der herrschenden Bedingungen zu riskant.

      Sichu umarmte ihn, sobald er die Zentrale betreten hatte. Es wirkte, als bräuchte sie Halt. Sie, die normalerweise Stärke und Selbstvertrauen ausstrahlte.

      Bull streifte Sichu unbeholfen eine silbrige Haarsträhne aus dem Gesicht, drückte die Ator aufmunternd, wandte sich ab und begrüßte Mitglieder der Zentralebesatzung. Allen voran Farye Sepheroa, Perrys Enkelin. Sie wirkte gefasst, vielleicht ein klein wenig zornig. Vermutlich wäre sie gerne mit ihrem Großvater an Bord des Golems gegangen. Cascard Holonder und Matho Thoveno gehörten zu den wichtigsten Leuten an Bord. Er kannte sie gut.

      Falsch: Er hatte sie gut gekannt.

      Bull fühlte sich fremd auf der RAS TSCHUBAI. Er hatte auf Terra und später auf Rudyn fast 500 Jahre durchlebt, die Rhodans Schiff übersprungen hatte. Es war erst vor zwei Jahren wieder in der Milchstraße aufgetaucht. Das, was er erlebt hatte, trennte ihn von den alten Bekannten, nicht sie von ihm. Aber sie bemerkten sehr wohl, dass er sich erst wieder anfreunden musste. Sogar mit Perry Rhodan, seinem besten und ältesten Freund.

      »Erzählt mir, was Perry vorhat«, verlangte Bull zu wissen. Sein Blick fiel auf ein Holo der Außenbeobachtung. Es zeigte das Nashadaan. Jenes sonderbare Raumschiff in Form eines sechseckigen Zylinders, das Zemina Paath gehörte. Es schwebte unmittelbar neben der RAS TSCHUBAI und wirkte, nun ja, unruhig. So, als wäre es auf dem Sprung.

      Sichu berichtete. Erst zögerlich, dann immer rascher werdend. Sie schilderte jene Unterhaltung, die Perry mit Opt-Atlan geführt hatte. Der hatte für seinen Rückzug aus der Milchstraße verlangt, dass Rhodan zu ihm an Bord käme.

      »Und mein ganz persönlicher Lieblingsidiot ist natürlich auf diesen Vorschlag eingegangen.«

      »Er hatte aber immerhin einen Plan«, sagte Farye Sepheroa.

      »Das behauptet er immer. – Was ist dann geschehen?«

      »Er ist mit Zemina Paath, Gucky und zehn TARAS an Bord einer Space-Jet gegangen und im Schutz eines ganzen Pulks Richtung Golem geflogen.«

      »Hat er ihn erreicht und ist an Bord gegangen?«

      »Das wissen wir nicht genau. Zwischenzeitlich hat der Golem auf die vielen Space-Jets gefeuert. Vermutlich hat er mit einem Angriff gerechnet. Und dann? Du siehst ja selbst, wie schlecht die Bedingungen für Funk und Ortung sind. Das energetische Spektakel hat unsere Suche nach Spuren von Perrys Space-Jet eingeschränkt.«

      Bull dachte nach. »Gucky hätte Zemina und den alten Sturkopf in Sicherheit teleportiert, wenn die Lage prekär geworden wäre. Ich gehe davon aus, dass ihnen das Andockmanöver geglückt ist.«

      »Wie wir alle«, sagte Sichu leise. »Aber jetzt ist der Golem verschwunden, nachdem er die Futuroskopen an Bord geholt hat. Die falsche THORA ist weg, irgendwo zwischen den Realitätsgezeiten in der Bleisphäre verschollen. Wer weiß, was dieser verrückte Opt-Atlan nun treibt ...!«

      »Beschäftigen wir uns nicht mit den vielen Wenns, Abers und Vielleichts. Was wir wissen, ist nur wenig: Das Sternenrad driftet unaufhörlich auf die Bleisphäre zu. Wir wissen nicht, was geschehen wird, sobald das Weiße Loch Emlophe damit kollidiert – und ob es überhaupt kollidiert oder es einfach durchdringt. Wir müssen unseren Fokus auf dieses Problem richten.«

      »Und Perry?«, hakte Farye Sepheroa nach. »Den sollen wir einfach so seinem Schicksal überlassen?«

      »Ich habe es vor langer Zeit aufgegeben, ihn für seine Alleingänge zu verurteilen. Ich könnte ihn jedes Mal erwürgen, wenn er solche Hasardstücke abliefert. Aber ich weiß auch, welche Instinkte Perry hat. Ich bin mir sicher, dass er noch lebt. Vermutlich hat er längst den Golem geentert und sucht nach einem Weg, um unseren Atlan zu befreien.«

      Würden Sichu und Farye seine Lüge durchschauen? Würden sie an seiner Stimme, seinen Blicken, seinem Auftreten erkennen, dass er sich seiner Sache keinesfalls sicher war?

      Nein. Die beiden Frauen wollten glauben. Sie nickten ihm dankbar zu, wandten sich ab und widmeten sich wieder ihren Arbeiten.

      Das Sternenrad trudelte unaufhörlich auf die Bleisphäre zu.

      »Die Anziehungskraft ist zu groß«, sagte Holonder. »Der point of no return ist längst überschritten. Keine Macht des Universums kann die Kollision jetzt noch verhindern.«

      Bull gab sich unbeeindruckt. »Wir bekommen das hin. Wie immer.«

      2.

      Perry Rhodan: Orientierung

      Citius, altius, fortius. Oder: schneller, höher, stärker.

      Dies war das Motto, das Pierre de Coubertin im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1894 alter Zeitrechnung ausgegeben hatte.

      De Coubertin hatte damit, ohne es zu ahnen, dem Wettkampfgedanken auf Terra einen Schub gegeben, der noch Tausende Jahre später einen Nachhall finden würde.

      Immer noch strebten die Menschen nach dem Himmel. Sie wollten die Ersten auf einem unbekannten Planeten sein oder ihren Namen als Gründer einer neuen Kolonie in den Sternkarten verewigt wissen. Sie liebten die Spitzenposition.

      Früher mehr als heutzutage, sinnierte Perry Rhodan. Es schien ein stark ausgeprägter Spieltrieb zu sein, der in den Genen der Terraner verankert war. Bei Arkoniden und anderen Völkern wurden die Möglichkeiten einzelner Individuen oftmals vermessen und optimal ausgenützt; manchmal spielten bei der Auslese auch Standesdünkel eine Rolle. Bei den Terranern kamen andere Faktoren zum Tragen.

      Für Terraner schien, mehr als für andere, das Motto zu gelten, dass man die eigenen Grenzen überwinden müsse.

      Grenzen wurden dabei als variabel verstanden und nicht als absolut; es gab Kulturen, die eine vollkommen entgegengesetzte Position einnahmen, denen selbst die Annäherung an