Ursula Isbel-Dotzler

Unheimlich


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rettete mich mit einem Satz auf die Vortreppe.

      „Eine Katze“, sagte Kristin. „Zieh mal an der Klingelschnur links von der Tür.“

      Ich zog daran. Schrilles Gebimmel erklang, aber im Haus rührte sich nichts.

      Ich setzte mich auf die oberste Treppenstufe. Kristin zerrte ihrerseits an der Klingelschnur. Die Glocke schepperte bösartig.

      Dann hörten wir Schritte im Haus. Die Tür öffnete sich. Ein Mann mit gelockten grauen Haaren, einem Bart und runder Brille stand auf der Schwelle. Er sah uns fassungslos an.

      „Hallo, Vater“, sagte Kristin. „Du hast natürlich vergessen, daß wir heute kommen wollten. Da sind wir jedenfalls.“

      4

      Trotz meiner Müdigkeit wachte ich mitten in der Nacht auf und konnte lange nicht wieder einschlafen. Doch vielleicht war es gerade die Übermüdung, die mich wachhielt. Jeder Muskel meines Körpers war angespannt. In meinen Armen und Beinen kribbelte es so, daß ich nicht stilliegen konnte.

      Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere. Im Bett nebenan schlief Kristin selig. Ich hörte ihre ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge. Im Haus war es sehr still; fast zu still für ein Großstadtmädchen wie mich. Ich war an die vielfältigen Geräusche gewöhnt, die in der Stadt selbst nachts nie ganz verstummen – fernes Verkehrsrauschen, Geräusche aus Nachbarwohnungen, Funkstreifensirenen. Diese Laute waren mir von Kindheit an vertraut, und die ungewohnte Stille beunruhigte mich.

      Ich lag im Bett und begann Schafe zu zählen. Als ich bei zweihundertsiebenundzwanzig angekommen war, gab ich es auf. Meine Beine waren so heiß; ich drehte die Bettdecke um, knüllte das Kopfkissen zusammen, legte mich auf die andere Seite. In meinem Kopf kreisten die Gedanken wie ein Mühlrad, das sich nicht anhalten läßt.

      Ich konnte einfach nicht zur Ruhe kommen. Im Geist ging ich noch einmal den Weg durch den Wald zum Pfarrhaus, glaubte das Schlingern der Fähre zu spüren und das stundenlange, schier endlose Schaukeln des Busses. Dann dachte ich an Kristins Vater. Er war sehr freundlich zu mir gewesen. Vermutlich erleichterte es ihn, daß ich mitgekommen war und Kristin Gesellschaft leistete.

      Ich fragte mich, wie er hier so einsam leben mochte. Freilich hatte er seine Arbeit als Archäologe, die ihm sehr wichtig war, wie ich von Kristin wußte. Doch warum hatte er sich entschlossen, aus Stockholm fort und hierher zu übersiedeln, in ein einsames altes Pfarrhaus im Wald?

      Doch irgenwie paßte dieses Haus auch wieder zu Professor Zetterlunds weltfremder Art. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er Abend für Abend über seinen Büchern im Studierzimmer saß und arbeitete. Kristin hatte mir erzählt, daß er auch oft unterwegs war, in Griechenland und Ägypten. Zuletzt hatte er Ausgrabungen in Gotland geleitet, bei denen man auf Wikingersiedlungen gestoßen war.

      Professor Zetterlund war sicher ein interessanter Mann, aber irgendwie wirkte er auf mich auch fremd und unnahbar. Das Verhältnis zwischen ihm und Kristin war nicht besonders herzlich. Allerdings sahen sich die beiden ja nur selten, und vielleicht konnte Professor Zetterlund seine Gefühle für seine Tochter einfach nicht zeigen. Er und Kristins Mutter hatten sich scheiden lassen, als Kristin noch ein Baby war; damals war Zetterlund in seine Heimat Schweden zurückgekehrt, und er und Kristin hatten sich nie länger als ein paar Wochen im Jahr gesehen.

      Ich wollte mich wieder auf die andere Seite wälzen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und lauschte.

      Die Stille im Haus hatte mich beunruhigt. Jetzt wurde sie von einem Geräusch unterbrochen, und das beunruhigte mich noch mehr. Es war sehr leise oder sehr fern, ein Huschen und Tappen wie von bloßen Füßen.

      Das Geräusch verstummte, noch ehe ich Zeit hatte, genauer hinzuhören. Eine Weile herrschte völlige Stille. Dann erklang ein sachtes Schleifen, als würde irgendwo tief im Haus ein Gegenstand über die Dielen gezerrt.

      Ich hielt den Atem an. Das schleifende Geräusch wurde schwächer und verklang schließlich ganz. Es hörte nicht plötzlich auf; vielmehr war es so, als würde sich derjenige, der das Geräusch verursachte, immer weiter entfernen.

      Mit klopfendem Herzen lag ich da und starrte zum Fenster. Hinter den dunklen Scheiben zeichneten sich die noch dunkleren Umrisse eines Baumes ab. Nun war alles wieder totenstill wie zuvor.

      Nur langsam wich meine Erregung. Ich dachte, daß es wohl eine natürliche Erklärung für die Geräusche gab. Möglicherweise war Kristins Vater aufgestanden und hatte irgend etwas ganz Harmloses getan.

      Ich stützte mich auf den Ellbogen und sah zu Kristin hinüber. Ihr Gesicht war im Dunkeln verborgen, doch ihre Atemzüge klangen unverändert gleichmäßig. Sie schlief friedlich und hatte nichts von allem gehört.

      Ich sagte am nächsten Morgen kein Wort von den nächtlichen Geräuschen – weder zu Kristin noch zu Professor Zetterlund. Erstens fürchtete ich, mich lächerlich zu machen, und zweitens war ich bei hellem Tageslicht selbst überzeugt, daß alles eine ganz natürliche Ursache haben mußte. Vielleicht waren einfach Mäuse im Haus oder Siebenschläfer auf dem Dachboden. Schließlich stand das Pfarrhaus mitten im Wald, da gab es wohl allerhand heimliche Bewohner.

      Kristins Vater hatte schon gefrühstückt und unsere Koffer aus dem Dorf geholt, als wir auftauchten. Er saß noch mit der Morgenzeitung am Tisch, begrüßte uns und fragte, wie wir geschlafen hätten.

      Professor Zetterlund sprach ein überraschend akzentfreies Deutsch, was ich darauf zurückführte, daß er fast zehn Jahre in Deutschland gelebt hatte. Später stellte ich fest, daß es viele Schweden gibt, die sehr gut deutsch sprechen.

      Die Haushälterin des Professors konnte jedoch kein Wort Deutsch. Sie war eine kräftige Frau mit dünnen blonden Haaren und wasserblauen Augen, sie hieß Märta. Zum Frühstück brachte sie uns Kaffee; sie hatte auch frisches Brot aus dem Dorf mitgebracht. Ihre Miene verriet nicht, ob sie sich über unseren Besuch freute oder ob sie uns für eine lästige Mehrbelastung hielt.

      „Was hat sie eben gesagt?“ fragte ich Kristin, als Frau Märta und Professor Zetterlund das Zimmer verlassen hatten.

      „Ach, das übliche. Daß sie hofft, daß wir uns hier wohl fühlen“, sagte Kristin mit vollem Mund.

      „Wohnt sie auch im Pfarrhaus?“ fragte ich.

      „Ich glaube nicht. Vermutlich lebt sie in Lilletorp. Als du im Bad warst, habe ich sie mit dem Fahrrad hier ankommen sehen.“

      Frau Märta war also jedenfalls vergangene Nacht nicht durch die Gänge getappt. Ich dachte, daß Professor Zetterlund vielleicht eine in einen Teppich gewickelte Mumie durchs Haus geschleppt und in ein geheimes Untersuchungslabor gebracht hatte, und konnte mir nur mit Mühe das Lachen verbeißen.

      „Was grinst du so?“ fragte Kristin mißtrauisch.

      Ich sagte: „Ach, mir ist nur gerade etwas eingefallen.“ Und ehe Kristin weitere Fragen stellen konnte, fügte ich hinzu: „Was machen wir heute?“

      Sie seufzte. „Du, das hab ich mir auch schon überlegt. Gibt’s hier überhaupt etwas zu tun?“

      „Wir könnten einen Waldspaziergang machen und Pilze suchen“, schlug ich ohne große Begeisterung vor.

      Kristin stieß ein Schnauben aus. Ich fuhr fort: „Oder wir könnten uns im Dorf noch ein bißchen umsehen.“

      „Das können wir, aber es dauert bestimmt keine Stunde, dann kennen wir jedes Haus. Und was machen wir dann?“

      „Keine Ahnung“, sagte ich. „Was macht man so in Schweden?“

      „Oh, in den Städten gibt’s vieles, was interessant ist. In Stockholm zum Beispiel gibt’s einen Vergnügungspark, der Gröna Lund heißt, und…«

      Ich unterbrach sie. „Wir sind aber nicht in Stockholm.“

      „Dann fahren wir eben mal hin!“

      „Nein, danke“, sagte ich. „Fürs erste hab