Ursula Isbel-Dotzler

Unheimlich


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Das ist hübsch, sage ich dir! Ein schwedisches Heidelberg, sozusagen. Komm, sehen wir uns erst mal das Haus an.“

      Ich war einverstanden. Alte Häuser hatten schon immer eine besondere Anziehung auf mich ausgeübt, und dieser Pfarrhof war bestimmt mehr als zweihundert Jahre alt. Wir brachten unser Kaffeegeschirr in die Küche, wo Frau Märta gerade die Fenster putzte.

      Es war eine ziemlich kahle Küche, blitzsauber zwar, aber nicht besonders anheimelnd. Eine Wand war von oben bis unten weiß gekachelt, und über dem Holztisch hing eine Lampe, die wie ein Nachttopf ohne Henkel aussah.

      Dafür gab es ein hübsches Wohnzimmer mit abgewetzten Ledermöbeln und einer Terrassentür, hinter der man ein Stück des verwilderten Gartens sah. Eine Steinfigur stand zwischen den Bäumen. Auf den Stufen, die zum Rasen führten, wuchs Moos.

      Kristin schaltete den Fernseher ein, aber er ging nicht. „Typisch!“ murmelte sie.

      Ich warf einen Blick auf die Schallplattensammlung im Schrank. Kristin beugte sich über meine Schulter.

      „Nichts als klassische Musik“, sagte sie düster, ließ sich dann in den Ohrenbackensessel fallen, der am Fenster stand, und streckte die Beine aus. Der Wind trug den Duft von Tannen und Harz durch die offene Terrassentür. Die Bäume rauschten. Vielleicht, dachte ich, hatte Professor Zetterlund doch gewußt, was er tat, als er von Stockholm hierher übersiedelt war.

      „Komisch, diese holzgetäfelten Wände!“ sagte Kristin in meine Gedanken hinein. „Hast du bemerkt, daß die Seitenwände im Eßzimmer und im Wohnzimmer ganz mit Holz verkleidet sind? Ob’s hier so was wie ein Priesterversteck gibt?“

      Sie stand auf, ging zur Wand und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen das dunkle Holz.

      „Ein Priesterversteck?“ wiederholte ich und starrte sie an. „Was soll denn das sein?“

      „Ach, ich weiß nicht, ob’s hier in Schweden Priesterverstecke gegeben hat. In England war das jedenfalls früher üblich. Zumindest hab ich’s gelesen. Ich glaube, es hat was mit Glaubensverfolgung zu tun. Irgendwann wurden bestimmte Religionen von der Regierung oder vom König nicht geduldet, und die Priester wurden verfolgt. Also mußten sie sich verstecken. Dazu gab’s Wandschränke mit Geheimtüren, Geheimgänge und kleine Räume hinter Wandvertäfelungen, in die sich die Priester verkrümeln konnten, wenn es brenzlig wurde. Interessant, wie?“

      „Ja, sehr“, sagte ich. „Davon hab ich noch nie etwas gehört. Und du meinst, daß es hier im Haus so was geben könnte?“

      „Warum nicht?“ Kristin klopfte gegen eine andere Stelle der Vertäfelung. „Immerhin sind die Wände paneeliert, oder wie man da sagt. Hinter einer dieser viereckigen Füllungen könnte vielleicht ein Hohlraum sein.“

      Das leuchtete mir ein. Ich fing auch an zu klopfen, denn wie Kristin war ich der Meinung, daß man es am Klang hören mußte, falls es hinter der Vertäfelung irgendwo hohl war. Da wir im Augenblick sowieso nichts Besonderes vorhatten, war das eine angenehme Abwechslung.

      Als wir eine Weile geklopft hatten, tat sich die Tür auf, und Märta erschien. Sie sagte etwas, und Kristin hörte auf zu klopfen und gab Antwort. Daraufhin machte die Haushälterin ein seltsames Gesicht, äußerte noch etwas und verschwand aus dem Wohnzimmer.

      „Was hat sie gesagt?“ fragte ich.

      „Daß wir mit dem Klopfen aufhören sollen, weil es meinen Vater bei der Arbeit stören könnte“, erwiderte Kristin. „Außerdem hat sie gefragt, warum wir das machen, und ich habe ihr erklärt, daß wir nach einem Priesterversteck suchen.“

      „Deshalb hat sie so ein merkwürdiges Gesicht gemacht. Sie hält uns wahrscheinlich für verrückt.“

      „Hm, ich weiß nicht. Jedenfalls hat sie dann noch gesagt, von einem Priesterversteck wüßte sie nichts, aber in diesem Haus wäre alles möglich.“

      Das war eine ungewöhnliche Bemerkung. Wir zerbrachen uns eine Weile den Kopf, wie Märta das gemeint haben konnte.

      „Klingt fast, als würde es hier spuken“, sagte ich nach einigem Hin und Her.

      Kristins Gesicht hellte sich auf. „Spitze!“ sagte sie entzückt. „Dann wäre wenigstens etwas los. Ich dachte schon, wir verkümmern hier vor Langeweile.“

      Nach so einer Art von Abwechslung sehnte ich mich keineswegs. „So darfst du nicht reden, Kristin!“ sagte ich streng. „Ich hab nichts gegen Horrorfilme, aber ich bin durchaus nicht wild darauf, meine Ferien in einem Spukhaus zu verbringen. Da hört für mich der Spaß auf, das kann ich dir sagen!“

      Kristin lachte. „Unsinn, Frankie. Du weißt doch genau, daß es keine richtigen Gespenster gibt. Aber es könnte doch sein, daß hier irgend jemand aus der ländlichen Bevölkerung meinen Vater vergraulen will und im Pfarrhaus herumgeistert. Dann könnten wir die Sache aufklären und hätten ein Abenteuer.“

      „Ich verzichte auf solche Abenteuer“, sagte ich. „Außerdem, wer sollte deinen Vater von hier vergraulen wollen? Er lebt doch ganz friedlich vor sich hin und tut keinem etwas zuleide.“

      „Es gibt Bauern, die mögen keine Fremden in ihrer Gegend“, behauptete Kristin. „Also hör mal, Frankie, ich sage dir folgendes: Ich werde mich in den nächsten Tagen mal ganz harmlos an Märta heranmachen und sie ein bißchen aushorchen. Vielleicht kriege ich sie dazu, daß sie etwas ausplaudert.“

      Ich hatte ganz das Gefühl, daß Kristins Phantasie wieder einmal mit ihr durchging. Doch die Sache hatte sie aufgemuntert, das sah ich an ihren rosigen Backen und ihren glänzenden Augen.

      „Na gut. Aber wenn hier wirklich jemand herumgeistert, will ich nichts davon wissen!“ sagte ich.

      Kristin erwiderte: „Wenn’s um Spuk geht, kann man sich nicht heraushalten.“

      Ich sollte bald begreifen, daß sie recht hatte.

      5

      Zum Glück hatte Professor Zetterlund zwei Fahrräder für uns ausgeliehen, so daß wir etwas ungebundener waren und den Weg ins Dorf nicht jedesmal zu Fuß zurücklegen mußten. Ich hatte Kristins Vater gar nicht so viel Sinn fürs Praktische zugetraut; doch abgesehen von den Fahrrädern benahm er sich genau wie ein zerstreuter Professor in Romanen, vergrub sich in seine Arbeit, starrte während der Mahlzeiten geistesabwesend vor sich hin und wußte offenbar mit zwei so unwissenschaftlichen jungen Mädchen wie Kristin und mir nicht viel anzufangen.

      Und doch hatte ich das Gefühl, daß Kristin ihm wichtig war. Die Art, wie er sie ansah, verriet, daß sie ihm viel bedeutete. Wahrscheinlich war sie sogar der einzige Mensch auf der Welt, der ihm wirklich nahestand. Kristin hatte Schwierigkeiten, ihn zu verstehen; auch das merkte ich. Nicht das, was er sagte, meine ich, sondern seine Lebensweise, seine Arbeitswut und seine weltfremde Art.

      Sie selbst war so ganz anders als er. Wenn ich die beiden nebeneinander am Tisch im Pfarrhaus sitzen sah, wunderte ich mich immer wieder, wie zwei Menschen sich äußerlich so ähneln und doch so grundverschieden sein können. Sie hatten die gleichen hohen Backenknochen und etwas schräg gestellten blauen Augen, die gleiche feine, kurze Nase, die sich auf eine ganz besondere Weise zu kräuseln schien, wenn sie lachten. Nur kam es kaum jemals vor, daß Professor Zetterlund lachte, während Kristin keine Gelgenheit dazu versäumte. Ich kenne nur wenige Menschen, die so gern lachen wie Kristin – und nur wenige, die so ernst und verschlossen wirken wie Professor Zetterlund. Und doch waren sie Vater und Tochter, und ich glaube, sie gaben sich beide redliche Mühe, einander zu verstehen.

      Was Kristin vor allem nicht begreifen konnte, war, warum ihr Vater seine Wohnung in Stockholm aufgegeben hatte und in dieses einsame Haus auf dem Land übersiedelt war. Auf meine Bemerkung hin, viele Leute würden doch jetzt aufs Land ziehen, sagte sie immer wieder, er wäre nicht einer von denen.

      „Ein Land-Freak ist er nicht, Frankie“, sagte sie ernsthaft, und das Wort „Freak“ erschien mir in Verbindung mit dem Professor so komisch, daß ich lachen mußte.

      „Vielleicht