Ursula Isbel-Dotzler

Unheimlich


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dir.“

      Ich überlegte eine Weile. „Und wenn er aufs Land gezogen ist, weil hier das Leben billiger ist als in der Stadt?“

      „Ha!“ sagte Kristin. „Geld hat er genug. Er weiß sowieso nicht, wie er alles ausgeben soll, was er verdient! Meine Mutter sagt immer, sie hätte nie einen Menschen gekannt, der so wenig mit seinem Geld anfangen kann wie er.“

      Ich gab es auf. „Frag ihn doch einfach mal, weshalb er nach Lilletorp gezogen ist“, riet ich ihr.

      Kristin warf mir einen überraschten Blick zu. „Ja, das ist eine Möglichkeit, Frankie. Aber ich weiß nicht, ob er’s mir sagen wird. Er ist so verschlossen. Ich weiß ja kaum etwas über ihn. Dabei ist er mein Vater!“ Sie seufzte. „Wie findest du ihn eigentlich?“

      „Oh, ich glaube, er ist ein interessanter Mensch“, sagte ich vorsichtig. „Ungewöhnlich, meine ich…“

      Sie unterbrach mich. „Mit einem Wort, du findest ihn ziemlich seltsam“, erwiderte sie und lachte. „Das ist er auch, aber ich mag ihn trotzdem.“

      „Klar“, erwiderte ich. „Außerdem ist es kein Wunder, daß er seinen Beruf liebt. Es muß ja auch aufregend sein, alte Sachen auszugraben und Bücher darüber zu schreiben. Fast, als wäre man ein Schatzgräber oder so…“

      Ich hatte es mir wirklich schon immer großartig vorgestellt, an „verdächtigen“ Stellen zu graben, auf Bauwerke oder Gräber zu stoßen, die seit Jahrhunderten verschüttet waren, oder ungeheuer alten, wertvollen Schmuck und Gebrauchsgegenstände zu finden.

      Wir unterhielten uns auch später noch über dieses Thema, als wir mit den Fahrrädern nach Lilletorp fuhren. „Stell dir vor, jemand leitet eine Ausgrabung bei einem alten Pharaonengrab, und auf der Mumie liegt ein Fluch!“ schrie mir Kristin über die Schulter zu. „Das soll’s schon gegeben haben, du. Irgendwann ist mal ein ganzer Schwarm Wissenschaftler gestorben, die so eine Mumie ausgegraben hatten.“

      „Blödsinn!“ schrie ich zurück. „Das war sicher alles nur Zufall. Die wären bestimmt auch ohne die Mumie gestorben.“

      „Wer weiß? Sie sind nämlich alle eines gewaltsamen Todes gestorben – innerhalb von ein paar Jahren nach der Ausgrabung, glaube ich“, behauptete Kristin und fuhr eine wilde Linkskurve. Ein Vogel schreckte aus dem Gebüsch auf und flüchtete krächzend.

      „Frag mal deinen Vater, was er von der Sache hält!“ rief ich.

      „Hab ich schon, vor einem Jahr. Er findet’s natürlich Unsinn.“

      Ich nickte zufrieden. Vor uns tauchte Lilletorp auf, eine kleine Ansiedlung im Sonnenschein, umgeben von ein paar roten Bauernhöfen. Ein Hahn krähte, die Kirchenglocke läutete, und ein Bauer fuhr mit dem Traktor übers Feld.

      Wie erwartet, war in Lilletorp nichts los. Zwei Hausfrauen kamen mit vollen Einkaufstaschen aus dem Laden, ein Hund streunte über die Straße, vor dem Postamt unterhielten sich drei Männer. Wäsche hing in einem Vorgarten zum Trocknen, jemand mähte Gras, und eine alte Frau goß Blumen.

      Kristin schnitt eine Grimasse. „Stinklangweilig!“ sagte sie und schleuderte ihre langen Haare mit einer Kopfbewegung zurück.

      Auf dem Bürgersteig vor dem Krogen waren Tische und Stühle aufgestellt. Wir setzten uns in die Sonne, gaben die Taschenlampe zurück und bestellten Eis, was auf schwedisch „glass“ heißt, wie Kristin mir erklärte. Ich konnte auch schon „Goddag“ und „tack“ sagen und wußte, daß es in Schweden als wohlerzogen und höflich gilt, nach dem Essen „tack för maten“ zu sagen, was „Danke fürs Essen“ bedeutet.

      Wir löffelten unser Eis und bestellten hinterher noch zwei Portionen, weil uns nichts Besseres einfiel. Ein paar Autos und ein Fuhrwerk tuckerten an uns vorbei die Hauptstraße entlang. Ein kleiner Junge starrte uns mit offenem Mund an.

      Jemand bog auf einem Moped um die nächste Ecke, kam die Straße entlanggefahren und hielt vor dem Gasthaus. Es war ein großer Junge mit weißblonden, ziemlich langen Haaren und einem Sonnenbrand auf der Nase.

      Kristin und ich beobachteten ihn aus den Augenwinkeln. Er stellte sein Moped ab, setzte sich an einen der Tische nicht weit von uns, streckte die langen Beine aus und starrte in die Luft.

      Kristin und ich wechselten einen Blick. Nicht schlecht, sagte der ihre, und ich war sicher, daß sie sich bald etwas einfallen lassen würde, um mit dem blonden Schweden ins Gespräch zu kommen. Ich sah förmlich, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.

      „Ich wollte dir doch von dem Fest in Stockholm erzählen, bei dem ich letztes Jahr mit meiner Cousine war“, sagte sie plötzlich sehr laut und vernehmlich auf deutsch. „Das hättest du erleben sollen, Frankie! Die schwedischen Jungen sind ganz nett, aber furchtbar schüchtern, das kannst du mir glauben. Meinst du, die fordern einen zum Tanzen auf? Nie im Leben! Das müssen die Mädchen tun. Es geht einem wirklich auf den Geist.“

      Sie machte ein harmloses Gesicht. Ich spähte zu dem blonden Jungen hinüber. Man merkte genau, daß er zuhörte. Er war rot im Gesicht, aber nicht nur von der Sonne.

      „Aber vielleicht“, fuhr Kristin nachdenklich und mit erhobener Stimme fort, „sind sie auch nur einfach faul und denken, die gebratenen Gänse müßten ihnen in den Mund fliegen.“

      Ich wußte nicht, ob ich lachen oder verlegen werden sollte. Wieder schielte ich zu dem jungen Schweden hinüber. Er stand auf, reckte sich und ging zu seinem Moped, ohne noch etwas bestellt zu haben.

      „Und manche“, fügte Kristin besonders laut hinzu, „sind so unheimlich feige, daß sie gleich die Flucht ergreifen, wenn sie irgendwo ein Mädchen sehen!“

      Und sie machte ein triumphierendes Gesicht. „Kristin!“ zischte ich vorwurfsvoll. Da drehte sich der blonde Junge zu uns um und sagte in ziemlich gutem Deutsch: „Bei manchen Mädchen ist das auch kein Wunder, wenn man die Flucht ergreift!“

      Das saß. Diesmal wurde Kristin rot. Ich hätte mich am liebsten verkrochen, aber Kristin faßte sich schnell wieder und brach in ihr ansteckendes Gelächter aus.

      Da mußte der große Blonde auch lachen, und ich fing ebenfalls zu kichern an. Dann setzte er sich zu uns und sagte, daß sein Name Sten wäre, und wieso es uns ausgerechnet nach Lilletorp verschlagen hätte.

      „Mein Vater wohnt hier“, erklärte Kristin. „Er ist Schwede, aber ich besuche ihn nur während der Ferien. Sonst lebe ich bei meiner Mutter. Ich heiße Kristin, und das ist meine beste Freundin Frankie.“

      „Ja so“, sagte Sten überrascht. „Dein Vater wohnt hier! Wie heißt ihm? Ich kenne allen Leuten in Lilletorp.“

      „Er wohnt nicht direkt in Lilletorp, sondern im Wald, im alten Pfarrhaus.“

      „Ach, Professor Zetterlund ist dein Vater!“ Sten schien beeindruckt. „Ich wußte gar nicht, daß er ein deutschen Tochter hat. Ihr kommt doch aus Deutschland, nicht?“

      Kristin nickte. „Ja, aus München. Meine Eltern sind geschieden, und ich verbringe meine Ferien immer in Schweden. Diesmal ist Frankie mitgekommen – zum Glück, denn es ist teuflisch langweilig hier, findest du nicht?“

      „Ziemlich“, erwiderte er. „Aber man kann mindestens an die See fahren, zum Schwimmen.“ Die Wirtin kam, und er bestellte eine Cola.

      „Oh, prima!“ sagte ich. „Das wär doch was, Kristin. Ist es weit von hier?“

      „Das kommt darauf an“, sagte Sten und musterte mich. „Mit dem Moped braucht es ungefähr eine Stunde.“

      Kristin stöhnte. „Dann ist man mit dem Fahrrad wahrscheinlich zwei Stunden unterwegs. Das gäbe hin und zurück vier Stunden Strampelei – nein, danke!“

      „Vielleicht könnten wir euch mal am Moped mitnehmen, meine Freund und ich“, sagte Sten zögernd. „Natürlich nur, wenn ihr wollt.“

      Kristin strahlte. Sie sah so zufrieden aus wie eine Katze,