kleine Figuren, Amulette mit Runenzeichen, die man früher für zauberkräftig hielt – lauter wunderbare Dinge von unschätzbarem Wert.“ Professor Zetterlund seufzte. „Immerhin waren die Fundstücke schon fotografiert und registriert. Wir haben also wenigstens Bildmaterial davon. Der Raub ist damals durch alle skandinavischen Zeitungen gegangen.“
„Hat man den Dieb je gefunden?“ fragte Kristin.
Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Nein, bis jetzt nicht. Vielleicht hat er im Auftrag eines leidenschaftlichen Sammlers gehandelt, wer weiß. Es wurde sogar vermutet, daß einer von uns – ich meine, ein Mitglied des Ausgrabungsteams – die Fundstücke an sich genommen hätte. Aber das ist natürlich barer Unsinn.“
„Hm“, sagte Kristin. „Archäologen sind auch bloß Menschen; was weiß man? Du hast das Zeug doch wohl nicht im Keller versteckt, wie?“
Sie grinste ihren Vater wie ein Kobold an. Der Professor fand wohl, daß seine Tochter manchmal einen etwas seltsamen Humor hatte, denn er lachte nicht.
„Was redest du da für dummes Zeug!“ sagte er ungewöhnlich scharf. „Laß mich das nie wieder hören, verstehst du! Natürlich weiß ich, daß du es nur im Spaß meinst, aber mit solchen Dingen scherzt man nicht, Kristin. Wenn jemand dich so reden hört! Du könntest mich in ernste Schwierigkeiten bringen!“
Kristin kicherte unbeeindruckt. „Ach, natürlich würde ich so was nie vor anderen Leuten sagen“, beteuerte sie. „Aber wer dich kennt, würde das von dir sowieso nie glauben, Vater. Trotzdem – ich finde, das Pfarrhaus wäre genau der richtige Ort, um einen Schatz zu verstecken. Mit dem Schweinepastor als Schatzwächter, das würde doch gut passen…“
„Was für ein Schweinepastor?“ fragte ihr armer Vater verdutzt.
„Der, der hier herumspukt“, sagte Kristin, als wäre das eine vollendete Tatsache.
Professor Zetterlund sah noch immer verständnislos drein. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Er sagte mit leichtem Lächeln: „Ach, ihr habt den Dorfklatsch vom Spuk im Pfarrhaus gehört? Wer hat euch davon erzählt? Übrigens sind sich die Leute hier nicht einig, ob nun der Pastor, seine arme Frau oder das kleine Kind hier umgeht.“ Und er lachte zum erstenmal herzlich, seit ich ihn kannte.
Es tat mir gut, ihn lachen zu hören. Es war so offenkundig, daß er das Gerede vom Spuk für baren Unsinn hielt. Das beruhigte mich ein wenig.
Kristin erwiderte: „Zwei Jungen aus Lilletorp haben uns davon erzählt. Der eine sagt, seine Ur-Urgroßmutter – oder vielleicht war’s auch die Ur-Ur-Urgroßmutter – hätte im Pfarrhaus als Hausmädchen gearbeitet und wäre wegen des Spuks weggelaufen. Hier sollen schlimme Dinge passiert sein. Ein Pastor soll seine Frau so gequält haben, daß sie ihr Kind und sich selbst getötet hat.“
Wieder lief mir ein Schauder über den Rücken. „So“, sagte Kristins Vater, „ihr habt schon junge Leute aus dem Dorf kennengelernt? Das freut mich. Was die Sache mit Pastor Sigurdsson betrifft, so stimmt es wirklich, daß er ein grausamer Mann war. Ich habe Aufzeichnungen darüber gelesen. Seine Frau lag eines Tages tot in ihrem Bett; man konnte nicht feststellen, ob sie eines natürlichen Todes gestorben war oder sich das Leben genommen hatte. Ihr einjähriges Kind war spurlos verschwunden.“ Er schwieg und trank von seinem Sherry.
„Wirklich eine traurige und rätselhafte Geschichte“, fuhr er dann fort. „Kein Wunder, daß die Leute in dieser Gegend davon aufgewühlt waren und noch lange Zeit danach darüber gesprochen haben. Auf dem Land werden solche Ereignisse ja von Generation zu Generation überliefert. Auch der Glaube an Spuk und Zauberkraft ist noch nicht ganz verlorengegangen – zum Glück, würde ich sagen.“
„Du glaubst also nicht, daß es hier wirklich spukt?“ fragte Kristin. Es klang enttäuscht.
Ihr Vater lächelte. „Ich habe nie etwas bemerkt. Allerdings schlafe ich nachts auch sehr fest, weil ich meistens ein Schlafmittel nehme“, fügte er hinzu. „Falls der Geist des Pastors oder seiner unglücklichen Frau also hier zu mitternächtlicher Stunde umgeht, würde ich es wahrscheinlich gar nicht merken.“ Er zwinkerte mit den Augen.
Wir schweigen eine Weile und lauschten auf die Geräusche des Sturmes. Der Wind hatte etwas nachgelassen, doch der Regen peitschte mit unverminderter Heftigkeit gegen die Scheiben. Es blitzte nicht mehr. Man hörte nur noch ab und zu ein schwaches Donnergrollen aus der Ferne.
„Allerdings“, sagte der Professor unvermittelt, „gibt es Wissenschaftler, die daran glauben, daß alte Häuser, in denen einmal etwas Furchtbares geschehen ist, diese Amosphäre der Angst und des Schreckens nie wieder ganz verlieren, sondern sie gewissermaßen speichern. Menschen, die empfänglich für solche Schwingungen sind, sollen diese Angst und den Schrecken noch Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte später spüren. Angeblich hat es Leute gegeben, die in ein fremdes Haus kamen und von unerklärlichem Grauen ergriffen wurden. Bei näheren Nachforschungen stellte sich dann manchmal heraus, daß in diesem Haus ein Verbrechen begangen worden war – meist schon vor langer Zeit.“
Er verstummte, zündete seine Pfeife an und begann nachdenklich zu rauchen. Wieder stieg Angst in mir auf. Kristin sagte etwas, doch ich hörte nicht zu. War nicht auch das Pfarrhaus solch ein Haus, in dem Schreckliches geschehen war und das die Atmosphäre des Grauens „gespeichert“ hatte? Ich war sicher, daß ich dieses Grauen spüren konnte, daß ich es von Anfang an gespürt hatte.
Plötzlich drang Kristins Stimme wieder in mein Bewußtsein vor. „Frankie hat Angst“, sagte sie laut.
Ich sah verwirrt auf und begegnete Professor Zetterlunds Blick. Er sah mich an, und ich merkte, daß er gütige Augen hatte.
„In einer Nacht wie dieser sollte man nicht von Spuk und Verbrechen reden“, sagte er sanft. „Der Sturm ist vorüber, und in ein paar Stunden dämmert der Morgen. Dann sieht alles anders aus.“
8
Der Sturm hatte sich wirklich ausgetobt, als wir am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, doch er hatte schlechtes Wetter mitgebracht. Der Himmel hing schwer und bleiern über dem Land, ein kühler Wind wehte, und die Sonne versteckte sich hartnäckig hinter den Wolken.
„Kein Badewetter“, sagte Kristin seufzend. „Und dabei ist heute Stens und Magnus’ letzter Ferientag. Ob sie überhaupt kommen werden?“
Wir sahen uns zweifelnd an. Im Garten rumorten Frau Märta und ein alter Mann. Sei räumten die herabgefallenen Äste und Zweige weg, harkten das Laub zusammen und zerhackten die umgestürzte Birke. Aus dem Arbeitszimmer kam Schreibmaschinengeklapper; Professor Zetterlund saß schon an der Arbeit.
„Seltsam, die Geschichte mit den gestohlenen Ausgrabungsstükken“, sagte Kristin nach einer Weile. „Ob die Sachen wohl jemals wieder auftauchen werden?“
„Keine Ahnung“, erwiderte ich. „Wem gehören solche Funde eigentlich?“
„Dem Staat“, sagte Kristin. „In diesem Fall dem schwedischen Staat. Wenn wir beispielsweise hier im Garten des Pfarrhofs zu graben anfangen und einen Sack voll alter Goldmünzen finden, gehört der Schatz nicht uns, sondern dem schwedischen Staat.“ Sie lachte. „Natürlich setzt das voraus, daß man dumm genug ist, so einen sagenhaften Fund zu melden.“
Ich war froh, als wir uns auf den Weg nach Lilletorp machten. Seit der vergangenen Nacht war mir das Pfarrhaus richtig unheimlich. Wir radelten ein Stück durch den Wald, mußten aber bald absteigen und schieben, da der Weg voll abgebrochener Äste war. Ein paar Bäume waren umgestürzt, und in eine alte Esche, die am Waldrand stand, hatte der Blitz eingeschlagen.
In Lilletorp waren gerade ein paar Arbeiter damit beschäftigt, ein Dach zu reparieren, das der Sturm abgedeckt hatte. Vor dem Krogen standen Magnus und Sten und warteten schon auf uns. Ihre Mopeds hatten sie diesmal nicht mitgebracht.
„Kein Badewetter“, sagte Sten genau wie Kristin beim Frühstück und grinste. „Wir hatten schon verdacht, ihr kommt nicht.“
„Gedacht