Ditte Cederstrand

Alle meine Kinder


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„Doch, kommt man mit“, sagte Luffe, „das wird kernig!“ Er legte die Hand auf Ries Arm. „Du bist schon ’ne Süße, du.“ – „Pfoten weg!“ fauchte sie und schlug ihm auf die Finger. „Au, verflixt noch mal!“ – „Ach du lieber Gott, rührt dieses Luxustierchen bloß nicht an!“ grinste Kurt, sagte aber zu Pusser: „Ihr könntet wirklich mitkommen.“ – „Du spinnst wohl, wo ich zur Frühschicht muß! Um vier aufstehn, du. Haut bloß ab!“

      „Was machen wir jetzt?“ fragte Pusser, als die Jungen losgegangen waren, und streckte sich auf dem Fell vor dem Kamin. „Was ist denn mit Kino?“ Rie sah auf die Uhr: „Wir könnten die Sieben-Uhr-Vorstellung gut schaffen, wolln wir?“ Pusser wußte nicht recht, was sonst? Was im Fernsehen? Sie sahen nach. „Ballett – dazu hab ich heut keine Lust.“ Man könnte ja hingehen und sich die ausgestellten Bilder angucken und mal sehen, ob da ein paar Leute wären. Aber da würde wohl keiner sein, die waren sicher alle weggefahren, Sonntagabend, puh, tot.

      Sie gingen nach oben und machten sich fertig. „Das ist ’ne verdammt gute Créme, was deine Alte da hat“, sagte Pusser und langte ordentlich hinein. Rie guckte nervös. „Paß mal ’n bißchen auf, du, sie hat mir heute nachmittag ein paar Takte erzählt.“ – „Was sagst du da?“ Pusser drehte sich auf dem Hocker um. „Was hat sie denn gesagt?“ fragte sie mit schmalen Lippen und verrieb die Créme auf Nase und Wangen. Rie gab das Gespräch wieder, brauchte dafür einen ganzen Wortschwall, sie bogen sich vor Lachen.

      „Aber werd nun wenigstens nicht noch frecher“, sagte Rie zum Schluß, „denn dann gibt es noch ein Unglück.“ – „Und was dann? Richtest du dich etwa nach denen?“ – „Denke nicht dran, und das hab ich auch gesagt – ‚wenn Pusser nicht herkommen darf, dann geh ich zu Pusser‘.“ – „Na ja“, sagte Pusser und kaute ein bißchen daran herum, während sie in den Spiegel sah, „na ja.“ Rie konnte sehen, daß diese Lösung nicht ganz nach Pussers Geschmack war, und wurde leicht verstimmt. In Wirklichkeit machte Pusser der Aufenthalt hier vielleicht den meisten Spaß. Sie schämte sich jedoch gleich – wie konnte sie auf so einen Gedanken kommen! –, sprang auf und rief: „Los, haun wir ab!“ und lief die Treppe hinunter.

      Im Foyer des Kinos standen nur ein paar Ausländer und ein paar Halbwüchsige. „Hab ich’s nicht gesagt?“ seufzte Rie und sah sich die Bilder an. „Nicht eine Seele!“ – „Sieht ja doll aus, nicht?“ sagte Pusser, „ich glaube, der ist kernig.“ – „Meinst du?“ erwiderte Rie.

      Eine kleine Schar von Ausländern kam hinzu. Rie zuckte zusammen. Da war er ja, der mit dem Blick. Er sah sie wieder an, sie wandte ihm den Rücken zu. „Wolln wir nun?“ fragte Pusser. – Rie tat, als ob sie im Zweifel wäre. Drinnen fingen die Reklamefilme an. „Ich weiß eigentlich auch nicht recht ...“, meinte Pusser zögernd. „Andererseits, wenn wir nun schon mal hier sind. Komm!“ Rie ging entschlossen zur Kasse. Der Fremde trat aus seiner Gruppe heraus und stellte sich gleich hinter ihr an. Sie spürte seine Nähe und merkte, daß er sie ansah. Als sie das Wechselgeld zusammensuchte und in das offene Portemonnaie fallen ließ, sah sie, wie eine schmale braune Hand das Eintrittsgeld hinschob. Er soll nicht direkt neben mir sitzen, dachte sie, lief in den Saal. Aber als sie zu ihrer Reihe kam und als erste hineingehen wollte, drängte sich Pusser vor, rief jemandem, der neben ihnen saß, „hej, hej“ zu und nahm mit dem üblichen Getöse Platz. Rie stand etwas unsicher da. „Wolln wir nicht tauschen?“ – „Warum denn?“ – „Ah, die da – der Hut“, stotterte Rie. Und Pusser schrie unverdrossen: „Nichts da – Hut runter, Madam!“ – „Pst!“ sagte Rie. Im selben Augenblick kam der Fremde in die Reihe; und um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, setzte sich Rie. Er nahm neben ihr Platz. Es wurde dunkel, und man zeigte die Vorschau für die nächsten Filme. Rie spürte die ganze Zeit den Mann neben sich. Als es wieder hell wurde, drehte sich Pusser herum, um etwas zu sagen, erkannte aber den Fremden, beugte sich vor und griff ihn beim Arm: „Hej, Aleksei!“ Der Mann grüßte auf eine eigenartig höfliche und fremde Art. Pusser war nicht diejenige, die eine Gelegenheit versäumte, Informationen von sich zu geben. „Ich und der ...“ – „Er und ich“, korrigierte Rie. „Was sagst du?“ – „Ach Scheiße, nichts.“ – „Ich und der, wir arbeiten zusammen, du, manchmal. Er ist Zwiebelkocher.“ – „So“, sagte Rie, „Zwiebelkocher?“ Unwillkürlich fing sie an zu schnüffeln. Pusser bog sich vor Lachen. „Ja, da hast du schon recht, das bleibt aber auch überall hängen. Puh, ich bin selbst an dem Fließband gewesen.“

      Rie hatte aber keinen unangenehmen Geruch wahrnehmen können, und sie bemerkte, daß die braunen Hände, die er in seinem Schoß gefaltet hielt, sauber und gepflegt aussahen. Er rückte ein bißchen auf seinem Stuhl hin und her und lächelte etwas verlegen über Pussers Gequatsche, das er offensichtlich nicht verstand. „Er ist Grieche“, erklärte Pusser und konnte auch noch erzählen, daß er nicht die Bohne von ihrer Sprache verstehe, das sei doch zum Piepen, wo er schon so lange hier sei? „Wie lange?“ fragte Rie. „Ein paar Monate bestimmt.“ Dann begann der Film. Rie mußte die ganze Zeit an den Blick denken, mit dem er sie beim erstenmal angesehen hatte. Sie wollte es ihm erklären; aber was sie da erklären sollte, darüber dachte sie nicht näher nach, sie meinte nur, daß irgendeine Erklärung nötig sei. Er mußte verstehen, daß sie gar nicht so war, er durfte nicht glauben, nur weil sie sich gerade diesmal ein bißchen albern und gänschenhaft benommen hatte, daß ..., aber er verstand ja nichts, nicht mal die Sprache. Wie sollte man denn ... Nein, sie wollte überhaupt gar nicht mehr an ihn denken, sollte der doch glauben und denken, was er wollte. Trotzdem spürte sie es, wenn er den Blick von der Leinwand abwandte und sie ansah. Sie fühlte sich unsicher; müßte sie nicht eigentlich böse werden, sich das hier verbitten – aber wie das, wenn er nichts verstand? Sie setzte sich gerade hin und sah unnahbar aus.

      In der Pause, die mit Rücksicht auf den lokalen Schokoladenverkauf gemacht wurde, drängten sich die Leute hinaus ins Foyer. Pusser alberte herum, wie üblich. Rie fand den Haufen auf einmal etwas zu laut. Sie knuffte Pusser, wollte sie ein bißchen über ihn ausfragen, überlegte sich das jedoch. Wer konnte dafür garantieren, daß Pusser nicht auch daraus was zum Albern machte; das Gelächter, das sie beim Mittagessen angeschlagen hatten, genügte. Sie entfernte sich ein Stück von der Gruppe, tat, als ob sie die Szenenfotos studiere. Sie spürte, wie der Fremde an ihr vorbei ins Freie ging. Er blieb draußen auf der Treppe stehen und zündete sich eine Zigarette an. Ein zweiter Ausländer kam zu ihm. Sie sprachen nicht miteinander, standen nur da und sahen auf die Straße. Sie sah zu ihnen hinüber. Im gleichen Augenblick wandte er sich um, und wieder trafen sich ihre Blicke, aber diesmal – sie spürte so etwas wie Triumph – lächelte er, und aus lauter Erleichterung – natürlich war es nur das –, aus Erleichterung darüber, daß er begriff, daß sie nicht so – so war, wie er wohl geglaubt hatte, lächelte sie zurück, drehte sich dann aber gleich um und ging langsam zu ihren Leuten.

      Als sie wieder in den Saal gingen, stand er an die Wand gelehnt und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Pusser, die mit beneidenswerter Selbstverständlichkeit alle die Brokken „Ausländisch“ die sie im Laufe der Zeit in der Fabrik aufgeschnappt hatte, durcheinandermischte, beugte sich wieder über Rie, sah den Fremden an, schob den Arm unter Ries, lächelte, wie Rie fand, ihr allersüßestes Katzenlächeln, verdrehte die Augen unter dem blonden zerzausten Haar, deutete zuerst auf Rie, dann auf sich selbst und sagte: „Amigo, amigo.“ Amigo, dachte Rie, das ist doch nicht griechisch, aber der Mann verstand Pusser offensichtlich, er nickte zurück und sagte dann: „Nome amici?“

      „Gott!“ rief Pusser begeistert aus und knuffte Rie in die Seite, „er hat’s kapiert!“ Und zu ihm, ganz langsam: „Rie Fenskov.“

      „Rie Fenskov“, wiederholte der Fremde mit starkem Akzent, machte eine leichte Verbeugung, reichte die Hand, erst etwas zögernd, dann aber mutiger, und sagte: „Aleksei Papaphokio.“

      „Was hast du gesagt?“ schrie Pusser. Er lächelte. Rie, die sich wegen Pusser wieder etwas verlegen fühlte, gab ihm schnell die Hand – ein kurzer, vorsichtiger Händedruck, dann zog sie ihre Hand hastig wieder zurück. Er wiederholte den Namen. „Du meine Güte“, sagte Pusser, „wie kann man bloß so heißen!“

      Der Film begann wieder.

      Eigentlich komisch,