Ditte Cederstrand

Alle meine Kinder


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macht, meinst du.“

      „Und all das gute Essen, du – und das gemeinsam genießen, die ganze Bande. Herrlich!“

      „Ich sage ja nicht, daß das nicht lustig sein kann. Aber jeden Sonntag dasselbe! – Hör mal“, kam er wieder, versuchte es noch einmal, „laß uns das machen – komm.“

      „Ich will aber nicht!“ erklärte sie und schob die Schublade zu. „Dieses eine Mal in der Woche sollte man wohl ein bißchen für sie dasein können.“

      Er schnitt eine Grimasse. „Uff!“

      „Wir fahren anschließend“, sagte sie, suchte die restlichen Sachen zusammen und ging zur Badezimmertür. Die war abgeschlossen. „Verflixt noch mal! Nie kann man rein!“ „Da kannst du mal sehn!“

      Sie setzte sich auf die Bettkante, wippte mit dem Pantoffel, blätterte wieder ein bißchen in der Morgenzeitung. Er ging zurück zur offenen Balkontür, sah hinaus, die Szillen auf dem Staudenbeet waren aufgesprungen. Frühling! – Er würde nun also irgendwas unternehmen. Konnte es nicht vertragen, daß aus selbstverständlichen Unternehmungen Zeremonien wurden. Wollte nun mal kein Gewohnheitstier sein! Ziemlich zahm schlug er vor: „Wir könnten zu Karl und Elsa fahren.“

      „Besser, sie kommen her.“

      „Oder wir könnten zusammen wegfahren, wir vier“, fuhr er fort. Sie erhob sich, sagte ärgerlich: „Du kommst nicht davon ab! Immer mußt du deinen Willen haben!“

      „Na, na, wirklich? Ich finde eigentlich, daß ich mich nach euch zu richten pflege. Und wenn ich nun ausnahmsweise mal –“

      „Aber ich hab doch gesagt, ich will nicht! – Ich liebe das Sonntagsfrühstück, wir tun das alle!“ Sie rüttelte wieder an der Tür. „Nun mach aber, daß du fertig wirst, Kurt!“ „Wo ich grade eben reingekommen bin“, tönte von innen Ries verdrossene Stimme.

      „Sie!“ Gunvor sank wieder ins Bett. „Dann dauert es noch eine Ewigkeit! – Gib mir mal ’ne Zigarette.“

      Er kam zu ihr und gab ihr Feuer, setzte sich einen Augenblick und legte den Arm um ihre Schultern. „Sei doch lieb. Ich muß dich heute mal ein bißchen für mich haben. Du und ich, ja?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab auch gar keine Lust.“

      „Na ja, dann ...“ Er richtete sich auf, sah auf die Uhr, stand auf und ging zur Tür. „Dann rufst du an?“ – „Anrufen?“ fragte sie. – „Ja, Karl und Elsa.“ – „Das kannst du genausogut selbst machen.“ – „Wo du doch sowieso dasitzt und wartest. Ich fahre jedenfalls weg.“ – „Bring mal gleich Schlagsahne mit.“ – „Darum kann sich wohl Rie kümmern. Ich hab wirklich keine Lust, in einem stinkigen Bäckerladen Wurzeln zu schlagen.“ – „Entschuldigung!“ – „Ja, ich finde also –“

      „Du liebe Güte. Im übrigen ist es ein starkes Stück, daß wir andern dafür büßen sollen, bloß weil du Harry nicht vertragen kannst. Denn du willst doch wohl nicht abstreiten, daß er der Grund dafür ist, daß du dir nichts mehr aus unsern herrlichen Sonntagen machst.“

      „Quatsch. Wenn mir jemand gleichgültig ist, absolut gleichgültig, dann ist es Harry.“

      „Guck mal an, wie du dich getroffen fühlst.“

      „Bist du vielleicht von ihm begeistert? Seine idiotischen Witzeleien, seine –“

      „Er ist der Mann unserer Tochter.“

      „So was wird einem angehängt, Gott sei’s geklagt!“ Gunvor ergriff wieder die Türklinke. „Rie, jetzt will ich aber rein!“

      Erik ging nach unten, pfiff ein bißchen zu laut.

      Rie fuhr mit dem Fahrrad zu Pusser, um sie abzuholen. Die lag noch in den Federn und faulenzte, rekelte sich und konnte sich nicht recht überwinden aufzustehen.

      „Beeil dich mal“, sagte Rie. „Mutti war sauer. Wir dürfen nicht allzuspät kommen. Wir sollen mit helfen.“

      „Sie kann ja die andern anstellen.“

      „Die waren noch nicht da.“

      „Na, aber Marianne kommt doch.“

      „Marianne? Du spinnst wohl! Die verläßt sich doch darauf, daß alles fertig ist, wenn Ihre Gnaden geruhen, sich zu zeigen. – Wenn man von der Ehe so wird, na dann prost ...“

      „Ja, igittigitt – so werden wie die!“ Pusser lief es kalt den Rücken runter, und sie fügte hinzu: „Sonst geht’s ihr ja verdammt gut, so einer wie der!“ Sie schlenderten die Hauptstraße entlang. Rie schob das Fahrrad. Die Straße war voller Menschen. Einige lungerten am Kiosk herum, andere gingen zum Bäcker. Familien waren auf dem Wege zum Sonntagsessen. Vor der großen Eisbude sagte Pusser: „Läßt du was springen?“ – „Was willst du haben?“ fragte Rie und schob das Fahrrad über die Bordsteinkante. Scharen von jungen Leuten standen herum. Einige riefen „Hallo“ und „Hej“. Links von der Bude die Halbstarken der Stadt und ein paar Burschen aus der Fabrik in legeren Pullovern und Niethosen. Rechts die Ausländer in schwarzen Sonntagsanzügen und strahlend weißen Hemden.

      Pusser stieß Rie an und konnte sich kaum halten vor Lachen: „Gott, haben die sich in Schale geschmissen, wie die Pfingstochsen!“ Sie wollten sich totlachen. Pusser grüßte zu einigen hinüber und antwortete auf die Zurufe der Jungen. Einer von ihnen kam mit einer deftigen Bemerkung, aber Pusser zahlte mit gleicher Münze zurück. Das Gelächter schwoll an. Der Bursche, der es einstecken mußte, versuchte die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, indem er einen Ausländer nachahmte, einen verschlafenen Spanier mit einem gewaltigen Bärtchen über der Oberlippe, der Eis in sich hineinschlang. Er zog eine Show ab, wand sich und verrenkte die Hüften, hatte schließlich das Gelächter ganz auf seiner Seite. Rie und Pusser lachten wie alle andern und konnten sich kaum noch halten. Es dauerte eine Weile, bis sich die Gruppe auf der anderen Seite darüber klar wurde, daß sie der Gegenstand der Belustigung war. Sie verschlangen die jungen Mädchen mit den Augen. Pusser, die beide Gruppen von der Fabrik her kannte, schoß Spitzen ab, über die der Haufen links in schallendes Gelächter ausbrach, während unter den Ausländern eine gewisse Unruhe entstand. Auch Rie war ganz aus dem Häuschen, die Tränen kullerten ihr über die Wangen, sie bog sich vor Lachen. Das mußte man gesehen haben! Allmählich begriffen die Fremden, standen jedoch immer noch todernst da wie dunkle Schatten und leckten ihr Eis. „Eine richtige Begräbnisgesellschaft“, japste Pusser. Rie mußte natürlich quietschen über diesen Vergleich. „Begräbnis! Hihihi!“

      Ein paar Ausländer versuchten mitzulachen, aber dadurch wurden die andern noch unbeherrschter.

      Ein Paar Augen aus der Gruppe der Ausländer ließen Rie plötzlich zusammenfahren. Ernste Augen, die sie mit Verwunderung oder – war das möglich? – Geringschätzung ansahen. Verächtlich? Was bildete sich solch ein Kerl denn ein? – Ihr verging das Lachen völlig, und sie wandte den Blick ab. Legte das Geld für das Eis hin und zog Pusser am Arm: „Komm jetzt!“

      „Ist wohl nicht so wild“, antwortete Pusser und amüsierte sich. „Wir sollten zum Frühstück dasein, nicht wahr?“ Das kam fast ein bißchen scharf. Als Pusser jedoch vor lauter Lachen nichts zu hören schien, sagte sie weiter: „Aber du hast vielleicht keine Lust mehr?“

      Pusser fuhr herum: „Was ist denn mit dir los? Natürlich. Los, ab!“

      Rie schob das Fahrrad vorwärts, Pusser winkte mit großen Handbewegungen und pflanzte sich auf den Gepäckträger. „Los gehts!“

      Rie schien zu überlegen, setzte sich jedoch auf den Sattel und begann zu treten. Als das Fahrrad über die Bordsteinkante holperte, drehte sie sich um und sah zurück – die Augen folgten ihr. Sie warf den Kopf in den Nacken und jagte den Abhang hinunter, in einem Tempo, daß Pusser aufkreischte.

      Auf dem Bahnhofsplatz kam ihnen Kurt mit einem anderen Langhaarigen entgegen. Pusser stieß Rie an. „Was ist denn das für einer? Den hab ich noch nie gesehn.“

      „Keine Ahnung. Er schleppt wohl was