aber dennoch an: „Naja, ist nicht so wichtig mit mir“, und schien getröstet zu sein, doch sie wußte, was sie wußte. „Aber sonst die Arbeiter, meine Mutter – ich weiß doch genau, wie meine Mutter ist, glaubt ihr nicht, daß ich das weiß? Und warum ist sie so? Weil nämlich alles so idiotisch ist, wie ich sage. Aber der größte Irrsinn ist, daß so was Wohlfahrt heißen soll! Was denn für eine Wohlfahrt – unsere nämlich nicht!“
„Hier zeigt der Neid allerdings deutlich sein häßliches Gesicht“, stellte Harry mit erhobenem Zeigefinger fest. „Aber jetzt will ich euch was sagen, das Prekäre ist, daß man bereits in einem allzu, allzu hohen Grad nivelliert hat. Was in diesen Jahren in diesem Lande vor sich geht, ist nichts weiter als ein einziger großer Nivellierungsprozeß. Eine umsichgreifende Verflachung und Angleichung, jawohl.“
„Ja aber, Angleichung“, sagte Gunvor, „das ist doch demokratisch.“
„Eben“, rief Karl, „gute Demokraten, das sind wir alle! Gib mir mal die Schlackwurst!“
„Man muß was tun, Vater“, sagte Rie. „Kannst du Pusser nicht woanders hinstecken?“
Pusser wandte sich zu ihr: „Uff, du verstehst auch überhaupt gar nichts.“
„Was verstehe ich nicht?“ fragte Rie verschnupft.
„Es geht doch nicht um mich, sondern um uns alle! Nicht nur um mich.“
„Aber das wäre doch sehr hübsch, nicht wahr, Pusser“, zog Kurt sie auf, „wenn wir dich nun so ein bißchen vergoldeten und eine neue Eliza aus dir machten.“
Das gab Erik einen kleinen Stich. Eine neue Eliza, zum Teufel, wie kam der Junge darauf? Aber eigentlich hatten sie Pusser ja in ähnlicher Weise hier im Hause aufgenommen und behandelt.
„Wozu soll ich denn ’ne Eliza oder sonst was werden, da hab ich doch nichts von – aber natürlich müßt ihr euch lustig machen, ihr könnt ja nichts anderes.“
„Nun sei mal nicht beleidigt“, sagte Erik.
„Ich bin überhaupt nicht beleidigt. Aber, puh, das sieht so einem wie Ihnen ähnlich, so was zu sagen!“
„So? So einer wie ich – bin ich so schlimm?“
„Hört, hört!“ lachte Elsa, „jetzt will er Komplimente hören.“
„Sich beliebt machen?“ Erik sah sie zum Schein ärgerlich an.
„Eben“, nickte Pusser, „so ein ...“, sie wollte etwas Deftiges sagen, verbiß es sich aber – „ein Schöntuer, der überall nur rumschmiert und rumläuft und was hören will.“ Und dann äffte sie ihn nach. „Das muß nun mal gehn, Leute. Aber, aber, das sind doch kleine Fische für euch, so wie ihr gebaut seid. Sicher geht das.“ Sie imitierte Eriks Fabrikstimme dabei so genau, daß er baff war. War man wirklich so? Sah man ihn so in der Fabrik?
„Ha! Da hast du’s aber gekriegt“, rief Kurt und schlug sich auf die Schenkel.
Erik zwang sich zum Lachen: „Hör mal, Pusser, weißt du was? Es könnte ja gut für mich sein, wenn ich so ein bißchen von diesem und jenem hörte, wir sollten vielleicht irgendwann mal einen kleinen Plausch machen.“
„Dann aber in der Arbeitszeit!“
– Es entstand allgemeines Gelächter. Als es sich etwas gelegt hatte, sagte Gunvor ablenkend: „Habt ihr gestern das Fernsehstück gesehn?“ Elsa und Karl hatten es gesehen.
„Das war ja was Merkwürdiges“, fand Karl.
„Bist du verrückt, Mann, das war doch kernig! – Merkwürdig?! Hö ...“
Gunvor unterbrach scharf: „Kurt, ich habe nicht nach deiner Meinung gefragt! Vielleicht würdest du Karl ausreden lassen!“ – Erik sagte: „Da siehst du’s.“ – „Was seh ich?“ fragte sie. „Hab ich nicht gesagt, daß man unter diesen Bedingungen kein Gespräch führen kann?“ – „Nun fang doch nicht wieder damit an!“ – „Was ist denn, Mutter?“ fragte Marianne und steckte eine Olive in den Mund. „Nichts.“ Gunvor wandte sich an Karl. „Ganz einfach war es natürlich nicht.“
„Ja aber, warum muß es denn immer so ein heillos verschrobenes Zeug sein?“ fragte Karl, „so ist die Wirklichkeit doch nicht.“
„Viel schlimmer“, stöhnte Luffe.
Karl sah ihn wütend an. „Das ist sie bei Gott nicht! Und ich könnte fuchsteufelswild werden, wenn man immer wieder mit all dem Quatsch kommt, daß es das reine Elend ist und daß wir alle Roboter sind und vieles andere – zum Kotzen. Es geht uns prima, und manchmal könnten wir uns darüber auch ein bißchen freuen.“
„Da hätten wir also die Sonntagspredigt!“
„Kurt!“ ermahnte Gunvor.
„Ja, ich kann nun mal beim besten Willen nicht einsehen“, wandte sich Karl an Gunvor und Elsa, „was der ganze Trübsinn soll; so verrückt ist das Dasein nämlich nicht, und diese verkrachten Individuen, die man uns in modernen Stücken vorführt, die sind einfach krank, unnormal!“
„Normal, Karl“, sagte Rie, „was bezeichnest du als normal?“
„Ja, das ist Wortklauberei! Hör auf damit! Jeder Mensch weiß doch, was normal ist. Ein gesundes und aufgewecktes Individuum mit intaktem Verstand.“
„Verstand wofür?“ fragte Kurt.
„Zum Teufel, um mit dem Leben und seinen mehr oder weniger lächerlichen Seiten auf adäquate Weise fertigzuwerden.“
„Also Verstand, daß man sich’s bequem macht“, sagte Luffe.
„Ja, du lieber Gott, das auch. Das ist wohl nicht zu verachten. Sich so einrichten, daß man meint, es gehe einem gut.“
„Ja, den Verstand habt ihr, das muß man schon sagen“, meinte Rie. „Du sagst das so mit Vorbehalt“, meinte Elsa, „ist daran vielleicht was nicht richtig?“
„Nein, nein“, gab Rie zu, „das wohl nicht, aber ...“
„Herr im Himmel!“ stöhnte Kurt und zog die Augenbrauen hoch. „Daß man so anspruchslos sein kann! Das meinst du doch, Rie, nicht wahr?“
„Ich weiß überhaupt nicht, was mit euch los ist“, sagte Erik mit einer Stimme, die alle übertönte. „Ihr seid die ganze Zeit mit Kritik geladen. Rückt doch raus damit, was nicht stimmt, Herrgott noch mal!“
„Nein, Vater, so ist das nun auch nicht“, wandte Rie ein, „es ist nur ...“
„... nur ihre verdammte Besserwisserei“, unterbrach Kurt. „In der Tat“, bemerkte Elsa, „läßt es sich ja nicht vermeiden, daß wir das eine oder andere besser wissen als ihr, weil wir ein paar Jahre länger gelebt und gesehen und gefühlt haben.“
„Aber es ist euch überhaupt nicht aufgegangen, daß jetzt alles anders ist.“
„Jetzt?“ brauste Karl auf. „‚Jetzt‘ gilt doch sowohl für euch als auch für uns, nicht wahr? – Ich meine, ihr könnt uns ja nicht einfach abschieben, bloß weil wir ein bißchen früher angefangen haben.“
„Und wie Erik sagt – ihr könnt nicht mal erklären, was ihr meint“, pflichtete Elsa bei.
„Etwa nicht?!“ rief Pusser.
Elsa schüttelte den Kopf. „Ihr tut es ja nicht, ihr werdet wild und macht ein gewaltiges Geschrei, aber mit uns reden, nein. – Übrigens sagt ihr auch zueinander nichts.“
Kurt und Pusser sperrten Mund und Nase auf. Rie fuhr hoch.
„Wir sagen nichts? Nee, jetzt ...“, sie sah die andern jungen Leute an.
„Da kann was dran sein“, meinte auch Erik. „Man hat ja gewisse, wie soll man das nun nennen, Mitteilungsversuche hier zu Hause und zum Beispiel im Kinderzimmer in der Fabrik mitangehört, was Pusser?“
„Bei dem Krach,