Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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      Paul Oskar Höcker

      Die Rose Feuerzauber

      Ein Berliner Roman

      Saga

      Die Stammgäste aus Berlin, die das hübsche Kurbad Pyrmont in jedem Mai auf seiner Kurpromenade sah, waren wieder versammelt. Sie kannten einander alle nach Namen und Rangklasse, vielleicht sogar Steuerstufe. Aber einen Verkehr über die Standesgrenzen hinweg pflog man nicht. Die Damen der Garde, von der Exzellenz an bis zur jüngsten Sekondeleutnantsfrau, bildeten unter sich einen Ring, in den nur dem Adel vom Lande noch Zutritt gewährt wurde. Gelegentlich führte eine Hofdame der Kaiserin, die ihren kurzen Urlaub der Bade- und Brunnenkur widmete, ein paar Damen von ausländischen Diplomaten ein oder aus der Finanzwelt, aus den Kreisen hervorragender Industrieller. Für die Dauer eines grossen Wohltätigkeitsfestes verwischten sich dann die Grenzen ein wenig. Aber hernach lebte jeder Kurgästekreis wieder für sich.

      Der jedem Berliner bekannte Name Nidders war alljährlich mehrmals in Pyrmont vertreten. Im Mai erschien regelmässig Frau Trude Nidders. Sie hatte viele Jahre im Hause von E. F. W. Nidders, nach dem Tode von dessen Gattin, das Zepter geführt, war die Witwe eines Zahlmeisters und hatte an dem ungeheuren Reichtum ihres Schwagers E. F. W. keinen Anteil. Die alte Dame lebte hier in einer behaglichen Pension am grossen Park und suchte wohl kaum Anschluss, wie andere einsame Kurgäste. Trubel, Aufregungen, Verkehr, Bekanntschaften, grosse Sorgen und kleine Freuden waren ihr als dem vielverantwortlichen Hausfrauenersatz des mächtig emporstrebenden Kommerzienrats reichlich zuteil geworden. Aber diesmal hatte sie ihre Nichte mitgebracht, die Mittelste der drei blonden Töchter von E. F. W.

      „Das ist Fräulein Minna Nidders!“ erklärte einer dem andern auf der Kurpromenade.

      Minna war schlank, war hübsch und wendig, war vierundzwanzig Jahre alt. Und war eben eine der Erbinnen des Grossindustriellen E. F. W. Nidders.

      „Man nennt ihn in Berlin bloss mit den Anfangsbuchstaben seiner Vornamen. Wahrscheinlich heisst er Ernst Friedrich Wilhelm. Es gibt ja noch mehrere reiche Nidders in Berlin, den Rolf Nidders, den Heinrich, den Kompagnon von Pinneke, und was weiss ich. Aber E. F. W. hat doch den allergrössten Betrieb. Er fabriziert nicht nur die hunderttausend Röhren und Leitungen für Gas und Wasser und Kanalisation der Berliner, er führt die Riesenbauten in und über und unter der Erde auch mit seinem eigenen Arbeiterheer aus. Dabei hat er ganz klein angefangen. Mit fünfzehn Jahren ist er barfuss nach Berlin gekommen. Gerade ist er fünfundsechzig geworden. Jetzt haben wir 1895. Also in einem halben Jahrhundert hat er sich Berlin erobert. Zu seinem Jubiläum hat er den Roten Adler Dritter gekriegt. Tja, K.-O. drei besass er schon lange. Schade, dass er keinen Sohn mehr hat. Die beiden Jungen sind ihm vor acht Jahren an Scharlach gestorben. Waren dabei famose Bengels.“

      „Also muss Fräulein Minna Stammhalterin werden?“

      „Die jungen Herren von der Rennbahn nennen sie den ‚Grossen Preis von Berlin‘. Sie reitet besser als ihre Schwestern, sieht zu Pferde wie eine Prinzessin aus, hat ganz königliche Haltung, tatsächlich. Aber sie soll schon verlobt sein. Geben Sie sich also keine verlorene Liebesmühe, Herr Professor!“

      „Schade. Ich habe sie aber noch nie mit einem Herrn gesehn.“

      „Ihr Verlobter steckt natürlich zu Hause in der Arbeit. Kann ebensowenig aus Berlin heraus wie E. F. W.“

      „Und wer ist nun der Glückliche?“

      „Es soll ein Vetter sein. Vetter zweiten oder dritten Grades. Fritz Nidders. Dessen Vater ein Münchner Kindl geheiratet hatte. E. F. W. hat sich seiner angenommen, hat ihn nach England ins College geschickt, dann auf die Technische Hochschule. Der wird das Rennen wohl machen.“

      „Und die Schwestern?“

      „Sind ebenso blond, ebenso blauäugig wie Minna, natürlich ebenso reich, aber bei weitem nicht so fesch. Die Älteste, die Dora, schon mal geschieden, ist etwas füllig, bisschen träge, dabei sehr hochnäsig und aufgeblasen, und die Jüngste ist Martha, die sich jetzt mit dem jungen Pinneke verlobt hat. Ja, dem von den landwirtschaftlichen Maschinen Pinneke und Nidders.“

      Im Vorbeischlendern hörte Minna Nidders, deren Sinne alle sehr geweckt waren, ihren Namen. Flüchtig blickte sie über die Gruppe der Spaziergänger hin, die sofort verstummten. „Kennst du die Herren?“ fragte sie leise, fast ohne die Lippen zu bewegen.

      Tante Trude lächelte. „Irgendein paar alte Kurveteranen. Einer davon führt den Ehrennamen ‚Rang- und Quartierliste‘. Der wird es wohl gewesen sein. Ich komme sonst selten zum Frühkonzert her. Aber du sollst doch nicht den lieben langen Tag in der Pension bei mir sitzen. Musst doch etwas vom Badeleben hier geniessen.“

      Minna lachte kurz auf. „Man wird taumelig, so aufregend ist es. Etwa wie der Bummel im Berliner Zoo beim Nachmittagskonzert, wenn die Franzer oder die Maikäfer spielen.“

      „Ich höre am liebsten die Kürassiere. Wenn die ihre Fanfarenmärsche blasen, dann fühle ich mich wieder jung. Ich bin doch in der Kaserne aufgewachsen. — Mein Gott, Mädel, wie weltenfern du manchmal dreinsehen kannst!“

      „Bin’s gar nicht, Tante Trude.“ Sie nahm den Arm der alten Dame. „Aber wollen wir jetzt nicht heimgehen? Du bist doch brav deine vierzig Minuten gewandert.“

      Tante Trude kniff ein Auge zu. „Du schwindelst, Mädel! Willst bloss rasch wieder hören, ob Post angekommen ist.“

      „Post —! Die paar Einladungen und Ansichtskarten und Drucksachen!“ Sie atmete auf. „Heiss ist es heute, nicht?“

      „Doch gar kein Staub. Gut gepflegte Promenaden haben sie hier. Zum Glück dürfen keine Schleppen mehr getragen werden.“

      „Fussfrei möchte man gehen. Sieh doch nur: Sämtliche Damenröcke berühren den Erdboden. Deswegen tragen wir ja alle die fürchterlichen Stosskanten. Und wie die immer durchgerieben sind!“

      „Na, mein Kind, du hast dir in deinem jungen Leben noch keinmal Mühe geben müssen, deine Stosskanten zu stopfen oder zu erneuern!“

      „Nun wirst du mir sicher gleich wieder erzählen, liebe Tante, dass du in der Kaserne aufgewachsen bist, dass du als Stubenmädchen deine Laufbahn hast anfangen müssen ... Tante Trude, ich halte es nicht mehr aus ... Nein, um Gottes willen, ich will dich ja nicht kränken!“

      „Du hast noch nicht gefrühstückt, Minna, bist hungrig, das gibt dir schlechte Laune. Nur für drei Minuten muss ich mich hier noch hinsetzen.“

      Minna sagte rasch: „Ich gehe voran und bestelle alles.“

      „Ach, mein Kind, allein möcht’ ich dann doch nicht — —“

      Also fügte sich Minna. Aber in ihr zitterte alles vor Ungeduld. Dort vorn war soeben der Briefträger in die Ahornallee eingebogen. Vielleicht hatte er endlich Nachricht von Bert gebracht? Bert musste ihr doch antworten, ob es ihm gelang, sich wenigstens für einen einzigen Tag von Berlin frei zu machen. War er nicht selbst der Leiter vom Tattersall? Konnte er nicht eine wichtige Abhaltung erfinden? Wenn er den ersten Frühzug nahm, kam er mittags hier an. Mit Tante Trude wollte sie dann schon fertig werden. Sie ging einfach zur Bahn, als ob sie einen vergessenen Brief dort in den Zug zu werfen hätte, wie zufällig begegnete sie auf dem Perron Bert von Überling, sie wanderten gemeinsam durch den Kurpark irgendwohin durch den Wald ... Und auf Tante Trudes kleinem Tischchen lag ihr beschwichtigender Entschuldigungszettel ...

      Von den Kurgästen, die hier vorbeikamen, flatterten in den Musikpausen allerlei Gesprächsfetzen herüber. Minna sah den Menschen immer schon an, worüber sie sprachen, bevor sie noch ein Wort von ihnen vernommen. Die Backfische, die unnatürlich hell kicherten und sich dabei Arm in Arm hin und her schoben, hatten sich natürlich ein Erlebnis aus der Tanzstunde zu erzählen. Die vier Herren und drei Damen, die immer wieder stehenblieben, sprachen gewiss über die Berliner Königlichen Schauspiele. Richtig: Da fielen schon die Namen Rosa Sucher, Ida Hiedler, Betz und Bulss. Mit schwärmerischen Augen sprach die blasse Dame von Matkowsky. Ein ganzes Programm lag in diesem Ausdruck. Minna erwärmte sich mehr für Kainz, den sie im Deutschen Theater als Hamlet zusammen mit der Agnes Sorma als Ophelia gesehen hatte. Aber was ging sie jetzt überhaupt das Theater an?

      „... Und wenn’s durchgeht, dass wir in Berlin