Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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sich zweimal wieder verlobt. Obgleich ein beträchtliches Erbe hinter ihr stand, schien es doch zu keiner Heirat mehr zu kommen. Dora war sehr anspruchsvoll und hochmütig, sie konnte sogar ganz unausstehlich sein. Gegen den entfernten Vetter Fritz, der drei Jahre jünger als sie war, schlanker als sie, auch sportlich gewandter, überall beliebt, war sie schon immer voreingenommen. Er galt in ihren Augen als Erbschleicher.

      Martha, die Jüngste des Hauses, hatte sich zu Weihnachten mit dem jungen Pinneke verlobt, dem Haupterben der Firma Pinneke & Nidders.

      Minna, die Mittlere der drei Blondinen, war die Hübscheste; sie passte auch dem Alter nach zu Fritz. In den wenigen Ferien, die sie alle zusammen an der Ost- oder Nordsee verlebt hatten, waren sie leidlich miteinander ausgekommen. Minna war sportlich veranlagt wie keine ihrer Schwestern, vor allem war sie eine gute Reiterin, sie hatte ein netteres Wesen, es fehlte ihr vor allem der masslose Gelddünkel der Schwestern. In vielen Kreisen galt es schon als abgemacht, dass aus den beiden ein Paar würde, noch bevor Fritz Nidders aus England heimgekehrt war.

      Wo immer er sich nun zeigte, schien man über ihn unterrichtet. Aber man war falsch unterrichtet. Man hielt ihn entweder für einen Mitinhaber der Firma E. F. W. Nidders oder doch mindestens für den selbstverständlichen Schwiegersohn des Kommerzienrats.

      Fritz legte öfters Wert darauf, diesen Irrtum aufzuklären. Zu dem alten Pinneke, der die Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen Pinneke & Nidders in Moabit leitete, sagte er einmal mit absichtlicher Betonung: „Nein, Herr Pinneke, ich bin ja mit sämtlichen Berliner Nidders nur ganz entfernt verwandt, ich bin von Hause aus ein ganz armer Teufel, und ich habe auch nicht die Absicht, etwa auf Kosten meines Onkels E. F. W. hier den Grosskaufmann und den feinen Kerl zu spielen. Wirklich nicht. Ich will arbeiten, geradeso, wie E. F. W. gearbeitet hat, der ja immer wieder so gern erzählt, wie er vor fünfzig Jahren barfuss durch die Tegeler Strasse hier in Berlin eingewandert ist. Heraufkommen will ich. Selbstverständlich. Aber ebenso wie E. F. W.: aus eigenem Können und aus eigener Kraft.“

      Pinneke sprach mit seinem Sohn darüber, gewissermassen mit erzieherischer Nebenabsicht, der berichtete es nicht ganz sinngetreu seiner Verlobten, Martha erzählte Dora davon, und als E. F. W. aus Doras Mund von dem stolzen Geständnis des jungen Mannes hörte, dessen Wohltäter er war, hatte es allmählich die Färbung einer ungezogenen Herausforderung erhalten.

      Der alte E. F. W. Nidders besass einen unternehmenden Kopf und grosse Menschenkenntnis. Er traute Fritz Besseres zu als Dora, Martha und Marthas Bräutigam. Die Jahre seines eigenen Aufstiegs vergass er nie. Das hinderte ihn nicht an selbstbewusstem Auftreten. In Westend hatte er sich eine grosse Villa bauen lassen. Seinen Töchtern hielt er Reitpferde. Auch ein paar Kutschen und Sportwagen waren da, korrekt bespannt.

      Der Verkehr im Hause schien ihm neuerdings zu entgleiten. Er begrüsste es nicht allzu freudig, dass Herr von Überling, der ihm die letzten Pferdekäufe sachverständig, wenn auch nicht eben billig besorgt hatte, ein so häufiger Gast war. Überlings Papa hatte stadtbekannte Schulden; der Leutnant selbst war aus seinem Regiment ausgeschieden, noch bevor der finanzielle Zusammenbruch ihn mit ins Unvermeidliche riss. Dora hatte eine Weile mit ihm geflirtet, das hätte ein Unglück geben können. Überling aber war so unvorsichtig, sich mehrmals mit einer leichten Operettenbekanntschaft zu zeigen. Der Klatsch vergrösserte das Abenteuer. Dora bekam darauf einen ihrer Anfälle. In der kleinen Reitbahn im Garten am Spreeufer ging die Freundschaft zwischen den beiden rasch auseinander. Aber da Minna noch einmal Reitunterricht bei ihm genommen hatte und sie sich von der älteren Schwester in keiner Weise abhängig machen wollte, blieb der Verkehr mit Überling noch eine Weile bestehen. Jetzt hatte E. F. W. seine Tochter Minna der Tante Trude für ein paar Wochen nach Pyrmont mitgegeben. So war der Reitunterricht beendigt, und es konnte wieder Ruhe im Hause einkehren ...

      Als E. F. W. mit seinem Neffen über die Frage sprach, ob sich die Firma an der Ausstellung beteiligen sollte, und Fritz seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, dass die Nidders hier in Berlin zu gar keiner Einigkeit zu bringen seien, meinte er: „Das Übel ist nicht berlinisch, sondern echt deutsch. Jeder will seinen eigenen Kopf durchsetzen. Erst wenn eine Gefahr sie anpackt, so wie siebzig, dann stehen sie zusammen.“ In der Erinnerung zeigte er ein bitteres, doch überlegenes Lächeln. „Oder wenn sie glauben, dass ein Zuwachs aus der Provinz der Familie zur Last fallen könnte. Ich habe das am eigenen Leibe erfahren, Fritz. Kein Nidders hat mir geholfen, als ich mit meinen fünfzehn Jahren und meinem dürftigen Felleisen auf dem Buckel hier eingezogen bin. Voller Angst haben sie vor mir die Türen zugeschlagen, die Nidders. Siehst du: Mit dieser Gewohnheit der Nidders wollte ich brechen, als ich hörte, wie schlecht dir’s in München ging.“

      Fritz Nidders verstand. „Ich schätze deine Hilfe gerade deswegen um so höher ein. — Weisst du eigentlich, dass ich dich bewundere, Onkel E. F. W.?“

      Der Kommerzienrat, der kurz und gedrungen am Fenster seines Büros stand, strich seinen gestutzten, etwas spitzen Kinnbart. Mit seinen wasserblauen Augen blickte er den Neffen prüfend durch die scharfe Goldbrille an. „Das sollst du gar nicht aussprechen, Fritz! Zwischen Männern wirkt das fremd. Notabene: Du hast dich da neulich mit Pinneke senior unterhalten. Der hat dich wohl kaum richtig verstanden. Entsinnst du dich noch? Was hast du ihm da eigentlich anvertraut? Ich fürchte fast, es ist etwas Ähnliches gewesen. Wie?“

      Fritz vertrug ein solches Verhör nicht. Der alte E. F. W. vergass manchmal, dass sein Schützling jetzt im Mai schon vierundzwanzig wurde. Natürlich hörte Fritz aus allem, was noch folgte, dass Dora, Martha und der junge Pinneke wieder einmal Unfrieden stiften wollten. Er zog also eine Lehre daraus. „Dass deine Firma sich an der Ausstellung beteiligen muss, halte ich für selbstverständlich, Onkel E. F. W. Die ganze Konkurrenz ist schon im Arbeitsausschuss tätig. Es tut mir also leid, dass du dich nicht selbst hast hineinwählen lassen.“

      „Ich hasse diese Schwatzbuden. Das sind Eitelkeitsmärkte mit Reklametrommeln. Gute Leistungen sind billiger und dauerhafter.“

      Im modernen Geschäftsleben stand E. F. W. nur immer als Beobachter im Hintergrund. Fritz begegnete stets Schwierigkeiten, wenn er ihn zu tätiger Anteilnahme an Dingen bewegen wollte, die nicht unmittelbar mit dem Fabrikbetrieb zusammenhingen. „Der Garantiefondszeichnung kann sich ein Haus wie E. F. W. Nidders unmöglich entziehen, Onkel. Es stehen schon mittlere Firmen mit dreissigtausend Mark auf der Liste.“

      E. F. W. strich sich über seinen kurzen grauen Bart. „Ich denke an eine viel höhere Summe. Aber alle Nidders sollen gemeinsam dafür zeichnen.“

      „Zu gleichen Teilen?“

      „Bewahre. Zeichnet Pinneke dreissig, dann zeichnet Heinrich Nidders wahrscheinlich fünfzig und Rolf Nidders fünfundsiebzig. Mit fünfundneunzig kann ich dann die Viertelmillion rundmachen. Der Name Nidders mit der Zahl. Keine Silbe mehr. Draussen braucht niemand den Prozentsatz zu wissen. Aber mir genügt: Die Nidders kennen ihn. Denn diese Selbsteinschätzung wäre einmal ganz vorteilhaft und erziehlich so unter uns Pfarrerstöchtern. Du verstehst?“

      „Selbstverständlich!“ Fritz begriff, dass E. F. W. vor allem einmal dem Vater von Marthas Verlobtem die richtige Rangordnung beibringen wollte. „Hast du nach der Richtung schon irgendwelche Schritte getan?“

      „Das soll dir überlassen bleiben, Fritz.“ Der Kommerzienrat zog die schmiedeeiserne Truhe mit den Zigarren heran. „Setze dich, Fritz! Rauche, wenn dir’s Spass macht! Wir wollen die Sache kurz besprechen.“

      Lange Sitzungen gab es im Büro des Kommerzienrats nie. Er duldete in seinen Geschäftsräumen keine gepolsterten Stühle. Auch im Herrenzimmer der Villa hatten seine Töchter nur mit Schwierigkeiten die neu aufgekommenen Klubsessel durchgesetzt. Er rauchte keine Havanna — kannte auch keine Handschuhe, einen Pelz schon gar nicht. Betont volksmässig trug er sich. Zunächst seiner Arbeiter halber, denen er bei jeder Fabrikfeier nachdrücklich auseinandersetzte, wie er das Werk E. F. W. Nidders ganz aus eigener Kraft geschaffen hatte. Im Jahre achtundvierzig hatte er seinen damaligen Lehrherrn aus recht verzweifelter Lage befreit. Seine Belohnung war die, dass er hernach beim Meister arbeiten durfte. Der Betrieb, mit dem er selbständig angefangen, war jammervoll winzig gewesen. Aber von Jahr zu Jahr war er gewachsen. Heute stand E. F. W. an der Spitze von allen Nidders in Berlin. Und das sollten ihm die anderen Träger des alten Namens