Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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braunes Gesicht mit den hellen Augen, der jungen, leidenschaftlichen Überzeugung und dem seelisch sauberen Ausdruck lange ganz versonnen an. Ein wenig schmerzlich begleitete ihn dabei die Erinnerung an seine eigene Mutter, die in München als blutjunge Blumenfee ein kurzes Glück genossen hatte und dann in Krankheit und Armut versunken war. Nur ein Zufall, eine Schicksalslaune hatte ihn selbst vor dem Elend und dem Verkommen gerettet ... Hastig erhob er sich und gab der jungen Gärtnerin die Hand. „Ihr Pavillon muss ein Clou der Ausstellung werden, Fräulein Daus! Ich freue mich, dass ich Sie über all das hab’ reden hören. Nun will ich nur hoffen, ich darf Ihnen ein bisschen mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Er strich mit der Hand über das Päckchen Papiere der Firma Heinrich Nidders. „Aber die Wintergartenentwürfe, die hier abgebildet sind, wie finden Sie die, Fräulein Daus?“

      Sie prüfte seine Miene noch ein paar Augenblicke. „Ganz ehrlich? Obgleich sie auch von einem der berühmten Nidders stammen?“

      „Bitte, ganz ehrlich! Ja?“

      „Ich finde sie grauenvoll, Herr Nidders. Das ist so die schreckliche Berliner ‚Irotte‘. Onkel Julius war sich noch nicht ganz klar darüber, ob ich recht hätte. Er glaubt nämlich bisweilen noch an den Fachmann.“

      Nun lachte er herzlich. „Ach, liebes Fräulein Daus, wenn Sie diesen Fachmann einmal kennenlernen sollten, dann — — Nein, ich will nicht petzen. Haben Sie in der Schule auch die Petzer so gehasst? Ich sehr. Darum schweig ich lieber ... Aber mein Urteil über die Entwürfe ist ganz das Ihre. Das da ist kein Wintergarten, das ist Putz und Stuck, das ist Draht ... Also ist es einmal so weit, dass Sie mich als Berater brauchen können, dann rufen Sie mich! Ich komme postwendend. Honorarfrei, Fräulein Daus. Und ohne Provision. Sagen Sie das Herrn Bottschau ausdrücklich!“

      „Er wird Augen machen, der alte Herr. Und er wird mich fragen: Wieso und warum?“

      „Weil, weil — nun, weil wir beide doch als Fünfjährige so halb verlorene Berliner Unkrautpflänzchen waren, nicht? Und weil wir beide es doch jetzt mit Gottes und der guten Nidders Hilfe so herrlich weit gebracht haben! Haha!“

      Sie pfiff ihr Siegfriedmotiv. „Genügt mir noch lange nicht!“ sagte sie dann.

      „Mir auch nicht. — Entschuldigen Sie nur, dass ich noch nicht längst gegangen bin. Aber es war zu reizend hier. Ich darf doch ‚Auf Wiedersehen!‘ sagen?“

      „Sie haben mir versprochen, Onkel Bottschau zu helfen. Also: Auf Wiedersehen, Herr Nidders!“

      Ein Handschlag. Er kehrte zum Wagen zurück.

      Das ist ja ein Prachtmädel! dachte er. Auf der ganzen langen Fahrt bis nach Charlottenburg und Westend hing er noch dem und jenem nach, was sie gesagt hatte. Ihre Offenherzigkeit, ja Burschikofität hatte ihn erquickt, bezaubert. In dem ganzen grossen Kreis der jungen Damen, die er im Verlauf vieler Jahre kennengelernt hatte, war nicht eine einzige, die er mit ihr vergleichen konnte...

      Doch als er an diesem Abend vom Geschäft aus, wo er den Kommerzienrat nicht mehr angetroffen hatte, in die Westender Villa kam, vernahm er vom Stallmeister eine heimliche Botschaft, die ihn ein bisschen aufwühlte, wenn nicht erschreckte: Fräulein Minna Nidders brach ihren Aufenthalt in Bad Pyrmont bei Tante Trude vorzeitig ab — sie hatte der alten Dame bis zum Ende ihrer Kur dort Gesellschaft leisten sollen — und war morgen, wenn nicht schon heute in der Nacht hier zurückzuerwarten.

      Bei Tisch waren ein paar Geschäftsfreunde von E. F. W. aus Schottland da. Über Minna wurde also keine Silbe gesprochen. Weder Dora noch Martha erwähnten Fritz gegenüber das Kommen der Schwester. Das Hauspersonal schien eingeweiht: In Minnas Zimmer wurde Grossreinemachen abgehalten.

      Eine taktlose Bemerkung leistete sich Dora heute wieder. Als den fremden Gästen nach dem Abendessen die Freskogemälde in der Kegelbahn gezeigt wurden, die von berühmten Professoren der Königlichen Akademie stammten, sprach man über die Einteilung eines zweistöckigen Berliner Villenhaushalts im Gegensatz zu den englischen Häusern, die zwar schmaler, aber dafür viel höher gebaut seien. „Hier ist man deshalb noch oft gezwungen, sehr patriarchalisch zu leben“, sagte Dora in ihrem schlechten Englisch zu Mr. Maclean, „hier kommt es sogar vor, dass Braut und Bräutigam im gleichen Stockwerk wohnen, Tür an Tür, weil die Häuser so wenig Etagen haben.“

      Fritz merkte, dass Dora hier wieder an etwas erinnern wollte, das seit seiner Rückkehr aus London nicht mehr berührt worden war. Man hatte ihm die grosse Stube der vor acht Jahren verstorbenen Brüder eingeräumt, die neben Minnas Balkonzimmer lag.

      Der Kommerzienrat hörte die Wendung, die von den Fremden kaum verstanden wurde, schweigend mit an. Ganz nebenbei bemerkte er beim Gutenachtsagen zu Fritz: „Vom nächsten Ersten ab beziehst du kein Taschengeld mehr, Fritz, sondern Gehalt. Nimm dir dann irgendwo ein eigenes Quartier! Zu den Mahlzeiten erwarte ich dich immer. Bist du am Kommen verhindert, geschäftlich oder weil du anderes vorhast, dann lass es durch den Jungen oder den Diener die Haushälterin wissen, damit das Gedeck nicht unbenutzt dasteht und jeder fragt, wer fehlt und warum. Das Jungenzimmer kann für die Whistpartien eingerichtet werden. Zeichne gelegentlich selbst einen Plan. Oder besprich die Sache mit Baurat Sierke. Der trifft freilich kaum den Geschmack unserer Damen. Vielleicht gelingt es dir eher.“ Er gab ihm die kurze, rauhe, immer etwas zurückhaltende, wenn nicht abwehrende Hand. „Der Zustimmung von Minna bist du doch sicher, denke ich.“

      Aus dem Ton von E. F. W. konnte man so leicht nicht klug werden. Lag hier eine bestimmte Frage vor? Etwa eine Aufforderung? Hatte E. F. W. ernsthaft mit Dora oder Martha oder gar mit Pinneke über den Plan gesprochen, der früher manchmal so halb im Scherz berührt worden war: dass er und Minna füreinander bestimmt seien?

      Minna kam am Abend nicht, kam auch weder am Mittwoch noch am Donnerstag. Ein Depeschenwechsel mit Tante Trude folgte. Endlich traf die telegraphische Nachricht aus Pyrmont ein, dass Minna Freitag abend zu Tisch zurück sein würde.

      Der Kommerzienrat suchte seine Verärgerung zu verbergen. Aber auch in den verschiedenen geschäftlichen Auseinandersetzungen, die es in der Fabrik gab, zeigte er sich wenig zugänglich. Die Buchhalter und Ingenieure, die Werkführer und Lagerinspektoren wussten jede Muskelbewegung in seinem Gesicht zu deuten. Wer ihm heute ausweichen konnte, der tat es.

      In den Tagen, in denen der Geschäftsbesuch aus Schottland ihn sehr in Anspruch nahm, hatte Fritz keine Gelegenheit gefunden, sich zu einer eingehenden Besprechung zu melden. Heute liess E. F. W. ihn rufen.

      Er war überrascht, dass Fritz den Auftrag, der mit zahlreichen Besuchen in ganz Berlin verknüpft gewesen war, bereits prompt erledigt hatte. Für die feine Kritik, die Fritz an verschiedenen Konkurrenten, Vettern und Namensvettern übte, hatte E. F. W. ein ebenso feines Lächeln. Es freute ihn, dass sämtliche Nidders auf seinen Vorschlag eingingen. Die Garantiesumme hatte sich noch erhöht. Einstimmig wurde ihm der ehrenvolle Auftrag, die Vertretung der Firmen Nidders zu übernehmen, d. h. seinen Notar mit dem Entwurf eines Vertrages zu betrauen. „Nun gebe nur das gütige Geschick“, sagte E. F. W. trocken, „dass der Garantiefonds niemals auch nur mit einem halben Prozent in Anspruch genommen werden muss. Sonst setzen die sich alle wieder auf die Hinterfüsse und strengen Prozesse an.“

      „Es wird gewiss in der ganzen Geschäftswelt einen glänzenden Eindruck machen“, meinte Fritz, „dass von den Nidders allein über eine Viertelmillion garantiert wird. Und zeichnet Rolf Nidders wirklich seine achtzigtausend, worüber er sich morgen nach der Börse entscheiden will — —“

      „Er ist zweifellos an der Geländespekulation in Witzleben beteiligt“, warf der Kommerzienrat ein.

      „— — dann sind es im ganzen sogar zweihundertneunzigtausend Mark.“

      E. F. W. strich sich den kurzen Graubart. „Füllen wir es zu dreihunderttausend auf! Das ist eine runde Zahl. Und es ist dieselbe Summe, die von der Stadt Berlin aufgebracht wird. Das heisst: nicht etwa für den Garantiefonds, sondern als richtiger barer Zuschuss. Stadtrat Mensing hat mich eigens deswegen aufgesucht. Dachte, ich würde ebenso erschrocken sein wie er. Die politischen Drahtzieher sind schon wieder in allen Lagern an der Arbeit. Es kann einem beinahe den Geschmack verderben ... Übrigens habe ich für heute abend nach dem Essen Kegeln angesetzt. Bisschen Bewegung