Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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Wenn er dich bittet, ihm behilflich zu sein, dann lasse ihn schalten und walten. Nur falls er die Bowle im letzten Augenblick wieder mit Kognak totschlagen will, wie schon im Winter einmal, dann greife rücksichtslos ein. — Dora hat mir versprochen, zu Minna nett zu sein. Hoffentlich seid ihr heute abend also, wenn Minna zum erstenmal wieder dabei ist, alle recht vergnügt.“

      ... Die Arbeit für Fritz war in der letzten Woche stark angestiegen. E. F. W. hatte ihm, da eine schlimme Regenzeit für Berlin gekommen war, das kleine Coupé zur Verfügung gestellt. Es folgte eine Fahrt, eine Besprechung der andern. Die Grosszügigkeit der ersten Anwandlung hielt bei den Zeichnungen nicht an. Als die Summe, die die Firmen Nidders für den Garantiefonds zu zeichnen bereit waren, in den Tageszeitungen genannt wurde, meldeten sich bei ihnen allen entsetzte oder doch besorgte Geschäftsfreunde, die über die Aussichten einer Berliner Ausstellung die erschütterndsten Nachrichten verbreiteten.

      Zufällig erfuhr Frau Jenny Nidders davon, dass Geheimrat Fresenius von E. F. W. zu einem Kegelabend eingeladen war. Sie meinte: Da wäre nun doch endlich eine gute Gelegenheit gewesen, einen freundschaftlichen Verkehr mit ihnen aufzunehmen; grosses Diner mit Frack und Claque verlange sie ja gar nicht ... Fritz hatte also Mühe, die Unterschrift von Heinrich Nidders unter die Zeichnungsurkunde schliesslich doch noch durchzusetzen.

      „Sie dürfen mich nicht missverstehen, lieber Herr Vetter!“ sagte Heinrich Nidders, indem er breit das seidene Futter seines Gehrocks umschlug und die neumodische Bügelfalte seiner Hose sehen liess. „Es ist kein Misstrauen, kein Ärger, keine Verstimmung, ich bin auch durchaus nicht ängstlich, im Gegenteil, wir fangen hier endlich ja auch schon an, uns als königliche Kaufleute zu fühlen, aber das Vertrauen zueinander könnte doch gerade bei persönlichen Begegnungen erstarken. Nun ja: My home is my castle ... Wenn Sie übrigens einmal ein besseres Geschäft anzubieten haben, vertraulich, lieber Herr Vetter, etwa eine Beteiligung irgendwo, dann geben Sie mir ruhig einen Wink! Haben Sie gehört, dass Witzleben nun doch mit Macht von den verschiedensten Seiten gestützt wird? Grosse Banken sollen dahinterstehen. Ich höre, es wird da draussen schon wieder lebhaft spekuliert. Quandtner müsste Positives wissen. Vielleicht lässt er so beim Kegeln ein paar Bemerkungen fallen?“

      Dieser Heinrich Nidders war für Fritz der lästigste Zuwachs, den ihm seine Bemühungen um die Garantiefondszeichner bisher eingebracht hatten. Die anderen Grosskaufleute und Grossindustriellen Nidders waren zwar auch Grossverdiener, dabei aber Köpfe von Format. Fritz hatte in England keine Ahnung von der geschäftlichen Riesenentwicklung gehabt, in die jetzt diese fast noch kleine preussische Residenz hineinwuchs.

      Die freudigste Überraschung seiner Werbefahrten durch Gross-Berlin war und blieb die Bekanntschaft mit Fränze Daus. Er hätte sich darüber gern einmal einem gutgesinnten Menschen anvertraut. Freunde, Kameraden besass er nicht; und im Hause E. F. W. durfte er aus seinem Innenleben ja schon gar keine Silbe verraten.

      Minnas Ankunft sah er fast mit Bedrückung entgegen. Ihre Schwestern schienen ebenso wie ihr Vater damit zu rechnen, dass er sich mit Minna ausspräche: da es nun schon für erforderlich angesehen wurde, dass er — als heimlich Verlobter — nicht mehr Tür an Tür mit ihr wohnte! Er befand sich in einer ganz seltsamen Verfassung. Minna war früher die einzige der drei Nidderstöchter gewesen, die ihm in den paar Ferienwochen nicht geradezu feindlich entgegengetreten war. Aber seit ein paar Tagen, je näher das Wiedersehen mit ihr rückte, steigerte sich in ihm der Trotz. Seine Heirat sollte für ihn kein Geschäft sein, keine Spekulation. Vielleicht hätte er den Widerstand in sich gar nicht so stark gefühlt, wenn er nicht da draussen an der Köpenicker Landstrasse diesem prächtigen jungen Geschöpf begegnet wäre. Seelisch gesund, unverbildet war sie, die Fränze Daus, von einer sauberen und doch bezwingenden Leidenschaftlichkeit. Und hübsch und jung und tapfer war sie. Die zwang das Leben, die befahl ihrem Schicksal. Geld hatte sie nicht, aber Unternehmungsmut besass sie. Keine der reichen Nidderstöchter konnte ihr das Wasser reichen.

      Etwas Draufgängerisches stieg nun in ihm auf. Zum erstenmal fühlte und sah er das goldene Gitter, das ihm seine Freiheit nahm. Gerade die wichtigste Frage in seinem Dasein sollte nicht sein Gefühl entscheiden, lediglich die Dankbarkeit gegen seinen Gönner E. F. W.? Er sollte eine Frau nehmen, die ihm innerlich fremd war? Nein, nein, nein!

      Auch der Hochmut dieser Schwägerinnen reizte und peinigte ihn jetzt. Was war denn diese bequeme, immer fülliger werdende Dora, wenn etwa ein Bankkrach sie ihres Reichtums beraubte? Was war sie innerlich und äusserlich? Er hatte sie gestern früh gesehen, als sie verschlafen ins Badezimmer ging, noch nicht geschminkt, das weissblonde Haar noch nicht frisiert. In dem kostbaren Schlafrock sah sie fast grotesk aus; stark gepolstert war sie, auffallend klein, weil ihr die hohen Absätze der Tagesschuhe noch fehlten. Ihm gegenüber brachte sie nicht einmal ein bisschen Eitelkeit auf, weil er für sie nicht mitzählte. Martha wieder versuchte, ihn durch törichtes Gehabe in Unruhe zu versetzen. Ich hasse sie, alle beide! sagte er zu sich. Und Minna — würde er hassen lernen, wenn sie erst verlobt, verheiratet wären ...

      Als er sie am Abend zwischen den Gästen traf, war sie ganz kameradschaftlich zu ihm, scheinbar unbefangen. Es machte ihr Spass, mit ihm englisch zu sprechen. Vielleicht gerade deswegen, weil man das im Hause Nidders nicht liebte. „Sei doch kein Frosch, alter Boy!“ sagte sie und gab ihm einen heimlichen kleinen Rippenstoss, als er immer wieder deutsch antwortete.

      Mit ihrer ältesten Schwester sprach Minna kein Wort. Dora spielte heute abend die Überempfindliche. Sie konnte den Lärm auf der Kegelbahn nicht vertragen. In dem mit Butzenscheiben versehenen Kneipraum sass sie in einem der neuen amerikanischen Schaukelstühle und wippte mit kurzen Stössen auf und nieder. Niemand kümmerte sich schliesslich um sie, weil die boshafte Kritik, die sie an allem übte, die Stimmung zu verderben drohte.

      Minna gab sich forsch, neckte sich mit allen Herren, bewies wieder ihr Kegelspieltalent, brachte es zweimal auf „Alle neune“ und hatte unbedingt die Absicht, die Heldin des Abends zu sein.

      E. F. W. hatte an solchen zwang- und harmlosen Empfängen meist die grösste Freude. Er sprach dann auch der Bowle tüchtig zu. Aber als die Gäste aufgebrochen waren, wurde es wieder fröstlig um ihn. Mit ein paar kurzen Bemerkungen kanzelte er Dora wegen ihres läppischen Benehmens ab.

      Dora weinte. Sie liess sich von Martha ein Schlafpulver bringen, da sie sonst in ihrem leidenden Zustand kein Auge würde zutun können.

      Minna gähnte übertrieben, rieb sich die Augen mit beiden Handrücken und erklärte, sie sei so todmüde, dass sie erst am andern Morgen auspacken werde. Flüchtig wünschte sie gute Nacht und zog sich zurück.

      Als Fritz in sein Zimmer kam, war er entschlossen, das Haus noch vor Monatsschluss zu verlassen; die Atmosphäre hier war ihm heute unerträglich geworden.

      Unbehagen strömte auch der Raum aus, in dem er hier einquartiert war. Aus dem Schlafzimmer des Ehepaares waren nach dem Tode der Frau Nidders die dicken, schweren Tür- und Fensterportieren, die E. F. W. niemals hatte leiden können, entfernt worden; man hatte sie vorläufig in der „Jungenstube“ untergebracht, auch alle Teppiche, die niemand mehr mochte. Ein mächtiger Perserteppich hing über der Doppeltür, die zu Minnas Zimmer führte. Der schrankartige Zwischenraum dort war vor vielen Jahren einmal ausgepolstert worden, weil Minna sich über den Lärm ihrer Brüder beklagte. Das Zimmer sei jetzt wie eine Gummizelle, hatte Martha einmal bemerkt.

      Fritz setzte sich an den Schreibtisch. Auf einem Block Zeichenpapier hatte er die Masse des Raumes, den er ausgemessen, niedergeschrieben. Ein paar architektonische Zeichnungen waren dabei skizziert. Er wollte die Vorschläge für den Umbau möglichst bald dem Kommerzienrat vorlegen. Als er sich umwandte, um den Abstand der Verbindungstür von der Ecke des Zimmers zu überprüfen, erschrak er; denn der grosse Perserteppich bewegte sich plötzlich.

      Lautlos öffnete sich jetzt die Tür vom Nebenzimmer. Minna trat rasch und leise ein. Sie winkte ihm zu, keinen Laut zu geben. Dann liess sie den Teppich wieder vorsichtig über die Tür fallen.

      Er war aufgestanden. „Minna —?“

      Sie lauschte. Im ganzen Hause war es totenstill. Hier hätte man aber auch Schritte oder Stimmen von draussen kaum gehört. „Ich muss dich sprechen, Fritz. Schliess nach der Diele ab! Leise! Den Riegel! Niemand braucht zu wissen —“