Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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Türvorhang. Sie hatte dasselbe weissblonde Haar wie Dora und Martha, aber nicht deren wasserblaue Augen. Mit „Vergissmeinnicht, in Milch gekocht“ hatte sie als Backfisch die Augenfarbe ihrer Schwestern bezeichnet. Minnas Nase war schlank und gab ihrem Gesicht etwas Aristokratisches. Sie hatte auch sichtbare, etwas dunklere Wimpern, während die Augen beider Schwestern fast wimpernlos wirkten. In ihren Bewegungen lagen Schwung und Sicherheit. Man merkte ihr die gute Reiterin, auch die flotte Tänzerin an.

      „Brauchst keine Angst zu haben, Fritz! Die schlafen schon alle im Hause. Hat Pa mit dir geredet? Nicht? Mir hat er einen grossen Speech versetzt. Also er denkt noch immer, wir sollen heiraten, du und ich. Aber das ist doch Unsinn. Du magst mich hoffentlich ebensowenig als Frau wie ich dich als Mann. Gib dir gar keine Mühe, Fritz, etwa aus Höflichkeit zu widersprechen! In fünf Minuten muss volle Klarheit zwischen uns sein. Ich bin dir gut, Fritz. Hab’ dich immer gerngehabt. Aber eine Ehe zwischen uns? Unmöglich! Das hat für mich noch seine besonderen Gründe. Du erfährst alles. Bloss deine Hand musst du mir jetzt geben und mir heilig versprechen — — Ach, ‚heilig‘ ist Quasselei! Anständiger Kerl bist du immer gewesen ... Wir müssen einen Pakt schliessen, Fritz. Willst du? Oder willst du nicht?“ Sie hatte ihn auf seinen Stuhl niedergedrückt und sich auf den Rand des Schreibtischs gesetzt. Da ihr kalt geworden war, zog sie den Morgenrock mit beiden Händen eng am Hals zusammen. „Rede doch einen Ton, Fritz!“

      „Was soll ich dir versprechen? Dass ich dir keinen Heiratsantrag machen werde, davor bist du vollkommen sicher. Jetzt sicherer als je.“

      „Hab’ ich dich gekränkt? Dann verzeih mir, Fritz! Ich bin in einer verteufelten Lage. Pa ist ja kaum mehr ernst zu nehmen. Er hat sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, dass sein Schwiegersohn hier sein Nachfolger werden wird. Ist ja trostlos. Doras Mann ist nach Südamerika ausgerückt. Und der kleine Pinneke ist eben Pinneke. Goldene Mittelmässigkeit. Nun sollen wir zwei alles retten ... Fritz, du denkst vielleicht, ich wär’ geradeso ein kühles und berechnendes Frauenzimmer wie etwa Dora oder auch Martha? Darin täuschst du dich. Ich bin anders, ganz anders. Jawohl, du! Und ich liebe! Und für den Mann, den ich liebe, würde ich durchs Feuer gehen. Aber der ist ganz und gar kein Kaufmann. Passt nicht hierherein. Und Pa ist natürlich darüber entsetzt. Ich hoffe, dass er dir jetzt nicht weiter zusetzen wird, wo ich ihm die ganze Wahrheit gesagt habe. Bedenkzeit und so, das ist alles vergebens. Ich will Bert zum Manne haben. Wir sind füreinander geschaffen. Ja, er hat Schulden und allerlei andere kleine Schönheitsfehler. Er war bisher sehr leichtsinnig, glaub’ ich. Vielleicht auch flatterhaft. Weil er mich noch nicht gekannt hat. Jetzt flammt es in ihm. Er ist ein neuer Mensch geworden. Ich werde ihm helfen, Pa mag sich auf den Kopf stellen. Aber alles wird leichter, wenn ich mit dir einig bin.“

      „Ich habe dir doch keinen Zweifel mehr gelassen, Minna. Meine Person kannst du aus deinem Schicksal also völlig ausschalten.“

      „Auch, wenn Pa dir grosse Versprechungen macht —? Ja, sei mir nicht gleich bitterböse, Fritz! Hier im Hause wird das Wort ‚Geld‘ mit vier grossen Buchstaben geschrieben. Ich dachte lange Zeit, du machtest keine Ausnahme von den Nidders. Wärst wohl auch die erste.“

      „Doch nicht. Mein Vater zum Beispiel hat ein ganz armes Ding geheiratet und dafür den Zorn seiner ganzen Familie in Kauf genommen.“

      „Richtig. Das Münchner Kindl. Und du?“ Sie nahm seine Hand und presste sie auf ihr Knie. „Weisst du, ein paarmal in den letzten Wochen hab’ ich mir ausgedacht: Am Ende hat mein Schicksal sich die Pointe vorbehalten, dass der gute Fritz sich auch schon anderweit verliebt und heimlich verlobt hat. Du: Stimmt das? Sag doch! Du bist doch ein hübscher Bengel, Fritz. Eine grundehrliche Haut obendrein. Sollst zu allem auch noch ein fabelhaft geschickter und moderner Geschäftsmann sein. Reiten kannst du, kutschieren, schwimmen. Bloss im Tennis bist du schwach. Tausend nette Mädel gibt’s in Berlin W, die glücklich werden könnten mit dir. Und du mit einer von ihnen. Es braucht ja nicht mal ein Münchner Kindl zu sein. Hast du Lotte von Briest eigentlich wiedergesehn? Die schwärmt noch immer für dich. Riesenvermögen steht dahinter. Und liebes, forsches Ding ist sie. Nee, mein Junge, brauchst mir kein Geständnis zu machen, wenn du nicht magst! Ich will dich nicht quälen. Also ehrlich, Fritz: Ich wünsche dir aus ganzem Herzen, dass dich die Liebe geradeso anpackt wie mich. Denn dann weiss ich: Alles, was Pa sagt, ist in den Wind geredet.“ Nun standen die Tränen in ihren Augen, aber sie lachte ihn an. Für ein paar Sekunden presste sie seine Hand an ihre Wange. „Hilfst du mir, Fritz?“

      „Wenn Pa mich fragen sollte, wie ich über eine Ehe mit dir dächte, dann — dann würde ich schlechter und härter über dich urteilen, als ich jetzt in Wirklichkeit von dir denke.“

      Sie schob ihren Mund auf seine Hand und küsste sie.

      Er zuckte zusammen. „Das sollst du doch nicht, Minna!“

      „Ach, egal. Ich bin dir dankbar, Fritz. Du musst mir aber auch zu Geld verhelfen, Fritz. Irgendwie. Ich muss Bert retten. Und es muss rasch sein.“ Aus ihrer Ärmeltasche im Morgenrock zog sie einige Papiere. „Ich habe mein Bankkonto bei Breuer. Das Erbe von Ma ist doch unter uns dreien geteilt worden. Dora hat wohl schon alles verputzt. Ich war auch nicht eben sparsam. Aber wieviel ich noch habe, bring’ ich nicht heraus. Da sind doch auch noch Aktien. Sieh einmal den letzten Kontoauszug nach! Morgen brauch’ ich das Geld. Spätestens übermorgen.“

      „Wenn ich dir helfen soll, Minna, dann muss ich auch Gelegenheit haben, dir zu raten.“

      „Du würdest mir ja doch nur abraten. Zuraten gewiss nicht. So viel Geschäftsmann ist jetzt wohl selbst der Junge vom Münchner Kindl.“

      „Minna, du weisst, dass du mich da vor eine schwere Verantwortung stellst ...“

      „Verantwortung? Trage ich selbst. Es handelt sich nicht um Geld von Pa, sondern um das meinige. Seitdem ich mündig bin, kümmert er sich nicht mehr darum. Es ist für ihn wohl nur eine Lappalie.“

      „Er erfährt aber schliesslich doch einmal, dass ich meine Hand im Spiel gehabt hab’, und ich empfinde es ihm gegenüber als nicht ganz fair.“

      „Ach, fair! Wenn er uns zusammenkuppeln will, uns beide, die wir gar nicht zueinander passen und die wir uns aufs heftigste dagegen sträuben — ist das etwa fair? Für ihn ist Geschäft eben Geschäft. Mach mir doch keine Umstände! Sprech’ ich mit Breuer, dann bringt der seine Witzchen an, trifft Pa in irgendeiner Sitzung und klatscht ihm sofort alles unterm Siegel der Verschwiegenheit ... Nein, Fritz, du brauchst mir zunächst mal bloss auszurechnen, was das Zeug da alles zusammen noch wert ist.“

      „Willst du denn alles abheben?“

      „Darüber entscheide ich mich, wenn ich weiss — —“ Sie wurde plötzlich von einem Schüttelfrost gepackt. „Du, Fritz, mir ist hundeschlecht. Ich muss ins Bett. Die Tür bleibt auf. Sieh dir hier alles an, rechne zusammen, und dann kommst du zu mir, Fritz! Sei doch mein guter — alter — Kamerad!“ Die Zähne klapperten ihr hörbar aufeinander. Ganz hilflos war sie jetzt.

      Er legte die Papiere auf den Schreibtisch, half ihr beim Sichaufrichten und Gehen und führte sie zur Verbindungstür. Der enge Schacht innerhalb der Doppeltür war zur Hälfte mit Hutschachteln und Kartons ausgefüllt. Wie ein Häuflein Unglück schlich sie dazwischen durch, nun doch wohl voller Angst, dass es Lärm geben und dass eine der Schwestern oder jemand von den Hausangestellten es hören könnte ...

      Als Fritz eine halbe Stunde später ebenso vorsichtig ins Balkonzimmer eintrat, lag Minna im Bett. Sie schien sich mitsamt dem Kleid und dem Morgenrock hingelegt zu haben. Ihre Backen waren rot, ihre Augen fieberglänzend. „Du bist krank, du hast Fieber. Hat es Sinn, jetzt noch über diese Geschäftssachen zu verhandeln?“

      „Wieviel hab’ ich noch?“

      „Die Aufstellung reicht nur bis zum ersten April. Hast du seitdem abgehoben?“

      „Paar hundert. Es müssen aber doch noch Wertpapiere auf der Bank liegen?“

      „Ist alles beliehen. Du hast ohne Zinsen etwa siebenunddreissigeinhalb Mille bei Breuer.“

      „Mehr nicht?“ Sie drehte den Kopf rechts und links herum, immer wieder, ganz verzweifelt. „Ich brauche fünfundachtzigtausend