Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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seine schwierige Aufgabe heranzugehen.

      Auf einem dieser geschäftsdiplomatischen Gänge, die ihn von Charlottenburg nach Moabit, nach Tegel im Norden und nach der Schlesischen Strasse im Südosten Berlins führten, lernte er auch Fränze Daus kennen, deren Mutter eine geborene Nidders war.

      Der Chef der Firma Heinrich Nidders & Co. war ein Spiesser, ganz das Gegenteil von seinem Vetter E. F. W. Er hatte reich geheiratet und zählte zu jenen Grundstücksspekulanten, die in den achtziger Jahren aus dem Aufblühen des Berliner Westens rund um den Nollendorfplatz märchenhafte Gewinne zogen. Gegenwärtig schien die Ausdehnung stillzustehn, und Heinrich Nidders hörte sofort zu wagen auf. Es war ja auch wohl unmöglich, dass das weite Sandgebiet hinter dem Bahnhof Zoologischer Garten über seinen jetzigen übertriebenen Preis hinaus noch gesteigert werden könnte. Die Strassen waren schon eingeteilt, aber nur ganz vereinzelt wurde gebaut. Die Ländereien, die daran anschlossen bis zu den alten Landgütern hin, etwa dem stillgelegten Rittergut hinter Witzleben, von dem jetzt so oft die Rede war, sie hatten alle nur kärglichen Boden, taugten weder für Bauern- noch für Gartenbetrieb, und dass die städtische Entwicklung sie je erreichen würde, daran zweifelten die Eingeweihten. Für Industriezwecke sollte die Gegend vorläufig nicht hergegeben werden.

      Heinrich Nidders bildete auch in seinem äusseren Auftreten ein Gegenstück zu E. F. W. Er war ziemlich beleibt, hatte ein feistes, glattes Kinn, feuchte Lippen, picklige Gesichtshaut und stets etwas verklebte Augen. Sein Bestreben, nach der neuesten Mode gekleidet zu gehen, war auffallend. Aber der Farbensinn fehlte ihm. Und von seinem Schneider liess er sich nicht beraten. Er war schon mehrmals in London und Paris gewesen und wusste allein, was der elegante Herr von 1895 trug. Am liebsten zeigte er sich in grauem Gehrock und grauem Zylinder, weil er die Herren auf der Rennbahn in Epsom so gesehen hatte, was ihm einen tiefen Eindruck hinterliess.

      Da Fritz Nidders ihm seine erste Frage, ob er England kenne, bejahte, versuchte Heinrich sogleich, seine englischen Sprachkenntnisse, die nur sehr gering waren, zusammenzuholen. Wohl mehr der hübschen Schreibhilfe halber, die in seinem Privatbüro sass. Er brach aber rasch wieder ab.

      Die Aussprache mit diesem drolligen Chef gab dem jungen Fritz Nidders einen guten Einblick in das vielbelächelte Berlin der alten Gründerzeit. Mit wenig Wagemut recht viel einheimsen und das Gewonnene aufhäufen, ohne irgendwem damit zu nützen, das schien ihm der Lebensgrundsatz dieser Leute.

      Heinrich Nidders hatte nur den einzigen Ehrgeiz, in der Berliner Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Zu den grossen Wohltätigkeitsfesten erschien er stets. Seine Frau war dann pompös gekleidet. Auf seinem Schreibtisch hier in der Schlesischen Strasse stand eine Photographie von ihr in Balltoilette, tief ausgeschnitten, beinahe wie in Hofrobe, mit grosser Schleppe und mächtigem Reiherfederaufputz auf dem Kopf. Jeder Besucher musste Frau Jenny sehen. Ein nüchternes Gesicht mit ausdruckslosen Augen und ewig gekränkten Mundwinkeln.

      Heinrich Nidders glaubte endlich den Augenblick gekommen, in dem er dem grossen E. F. W. menschlich, gesellschaftlich nähertreten könnte. Die drei blonden Töchter des Kommerzienrats hatte er oft mit einem gewissen Neidgefühl betrachtet, wenn sie zu Pferd mit eleganten Sportsleuten durch den Tiergarten trabten oder wenn eine von ihnen den Selbstfahrer lenkte, auf dem Rücksitz ein Groom mit verschränkten Armen. Vielleicht nahm Jenny nun doch das Reiten auf? Dem Reitklub, in dem die Töchter von E. F. W. Quadrille ritten, müsste man dann als Mitglied beitreten ...

      Ja, in der Garantiefondsgeschichte würde er mit sich reden lassen. Sehr hübsch, die Anregung von E. F. W., dass alle Nidders geschlossen vor die Front träten. Je nach der Höhe der Zeichnung belief sich dann der Prozentsatz der Zahlungsverpflichtung bei einer etwaigen Inanspruchnahme des Garantiefonds. „Vorläufig steht ja das alles nur auf dem Papier, bleibt es hoffentlich auch im Ernstfall“, meinte Heinrich, „aber die Höhe, die mein Vetter da für meine Beteiligung vorschlägt, geht eigentlich über meine Absichten hinaus. Ich dachte so an zehn, fünfzehn ...“

      Mit verbindlichster Miene, ganz diskret, vertraute Fritz dem Herrn im grauen Gehrock an, mit welchen Summen die übrigen Firmen Nidders einzuspringen gedächten.

      Ein paar Augenblicke blieb Heinrich der Atem weg. „Teufel, Teufel! Hm. Da möcht’ ich doch erst noch mit meiner Frau ... Ach nein, Jenny versteht das nicht so recht; Männersache ... Gut, ich will mir’s überlegen. Nein, Sie können eigentlich schon bestimmt damit rechnen. Und ich werde ja bald einmal E. F. W. persönlich sprechen. Meinen gehorsamsten Gruss! Sie haben aber noch gar nicht meinen Kognak versucht, Herr Nidders. Drei Sterne, bitte sehr. Vormittags gar nicht? Aber das ist doch gerade schick! In London zum Beispiel ...“ Er sprang rasch ab, schlug im Hinausbegleiten lieber noch ein neues Thema an, vielleicht nur aus Verlegenheit, um die geschäftliche Konversation weltmännisch überlegen abzuschliessen. Da gäbe es übrigens noch mehrere Familien Nidders im Berliner Geschäftsleben, die man vielleicht mit heranziehen könnte. Natürlich müsse man sorgfältig auswählen. Zufällig habe er von seinem Vertreter gehört, dass da eine leistungsfähige Gärtnerei an der Köpenicker Landstrasse bestehe, Julius Bottschau, gegenüber dem neuen Treptower Park, und dieser Herr Bottschau habe nämlich auch eine Nidders zur Frau gehabt ... „Nur für den Fall, dass Sie sich mal den Treptower Park selbst ansehen wollen, Herr Nidders. Sehr schöner Ausflugsort für die Berliner. Die kleineren Leute tapern da ja meistens zu Fuss hin. Ah, famos, Sie haben auch einen eigenen Wagen? Ja, ich lasse mir jetzt Gummiräder einsetzen. Meine Frau hat das schon immer gewollt. Die Damen sind in gewisser Hinsicht etwas empfindlich ...“ Er verzog das Gesicht, als habe er einen diskreten, aber sehr guten Witz gemacht.

      Fritz Nidders empfahl sich, nahm dem Jungen die Zügel ab und fuhr noch weiter dem Osten zu. Dem holprigen Pflaster folgte eine ungepflegte Landstrasse, auf der dick der Sand lag. Da ein scharfer Aprilwind einsetzte, flogen Sand- und Staubwolken mit. Sehr gespannt war Fritz Nidders auf die neue Bekanntschaft nun nicht mehr; Heinrich Nidders schien ihm doch der possierlichste Abschluss dieser „Vetternstrasse“.

      Als er das kleine Wohnhaus am Feldweg sah, die schmal sich bis zum Bahngelände hinziehende Landschaftsgärtnerei mit den wenigen bescheidenen Treibhausbaulichkeiten, wollte er gar nicht erst absteigen. Nur der Vollständigkeit halber und weil ihn der Treptower Park nun doch schon irgendwie beschäftigte, machte er sich auf den Weg.

      „Julius Bottschau, Gärtnerei“, stand auf dem blechernen Firmenschild, das sich über dem Feldweg an zwei dünnen Masten erhob und im Winde knatterte. Die Haustür stand auf. Man sah in ein kleinbürgerliches Heim. Auf dem Küchenherd brutzelte irgend etwas. Blitzsauber war die Küche. In der kalten Aprilsonne sah man bis in den letzten Winkel.

      Er zog die Klingel.

      Ein rhythmisch sehr schwieriger Signalpfiff tönte darauf aus dem nächsten Treibhaus. Ein junges Mädchen mit überraschend hellen Augen trat heraus, an beiden Armen Henkelkörbe mit Topfrosen. Sie trug eine grosse Gartenschürze und ein Helgoländer Häubchen. Vom dunkelblonden Haar waren nur an der Schläfe ein paar Strähnchen zu sehen. Das Hellgrau der Augen war durch die dunklen Wimpern und die flott geschwungenen dunklen Brauen besonders wirkungsvoll betont. Der Kopf war schmal. Die Lippen, die soeben das Siegfriedmotiv gepfiffen, blieben vor Überraschung noch einen Augenblick gespitzt, dann öffneten sie sich, und unter einem kleinen Lachen wurde ein gesundes Gebiss sichtbar, das von der sonnengebräunten Haut weiss abstach.

      „Kann ich Herrn Bottschau sprechen? Nidders.“

      „Onkel ist auf der Plantage am Baumschulenweg. Aber er sagte: Wenn Sie von Nidders kommen, dann soll ich Ihnen Bescheid geben.“

      „Wie konnte denn Herr Bottschau ahnen —?“

      „Es handelt sich doch um die Zeichnungen von Heinrich Nidders?“

      „Von Heinrich Nidders komme ich jetzt allerdings.“

      „Nun also. Aber das Geschäft kann Onkel nicht abschliessen.“

      „Von welcher Zeichnung soll denn die Rede sein? Für den Garantiefonds?“

      Fränze lief in die Wohnstube und holte die zurechtgelegten Papiere.

      Fritz folgte der hübschen Gestalt. In dem schmalen Gang nahm er den Hut ab. Das muntere, natürliche Wesen, der musikalische Klang der Stimme, vor allem