Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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auch ohne den grollenden Alten im Sachsenwalde zur Schliessung der sozialdemokratischen Wahlvereine für unsere Berliner Reichstagswahlkreise gelangen wird, gelangen muss. Es besteht doch noch immer das Gesetz vom März achtzehnhundertfünfzig über den Missbrauch des Versammlungs- und Vereinsrechtes.“

      „Die Vilma von Parlaghi ist jetzt rechtskräftig geschieden, die Malerin —?“

      „... Darum handelt sich’s in der Angelegenheit von Kotze ja gar nicht, wer nun wirklich der Verfasser der anonymen Briefe war. Als Zeremonienmeister musste er Herrn von Schrader vor die Pistole fordern, nicht beim Staatsanwalt die Verfolgung wegen Verleumdung beantragen ...“

      „Es ist tatsächlich das erste Jahr, dass niemand vom Detmolder Hof hier zur Kur ist. Aber dass das irgendwie mit der Lippeschen Thronfolgefrage zu tun hätte ...“

      „Nein, das Fest beim Oberbürgermeister Zelle hat keinen offiziellen Charakter, es werden auch keine Reden gehalten. Ja, Miquel war da, der Finanzminister. Und der Polizeipräsident von Windheim. Natürlich Bürgermeister Kirschner. Auch Boetticher, Berlepsch, Thiele, Bosse und andere Minister. Köller hab’ ich nicht gesehn. Aber Professor Virchow ...“

      „Und ich habe aus Künstlerkreisen gehört, der Kaiser sei entschlossen, die Siegesallee grossartig auszuschmücken. Begas war zur Audienz befohlen. Einunddreissig bis zweiunddreissig Denkmäler sollen dort aufgestellt werden: sämtliche Herrscher aus der brandenburgischen und preussischen Geschichte in Nischen von karrarischem Marmor. Nein, nein, Begas soll sie nicht alle selber machen; das hat er ja gleich betont.“

      „Ich nehme früh vor dem Brunnen gar nichts zu mir. Aber wenn ich jetzt ins Hotel komme, dann fliegt schon der Ober mit wedelnden Frackschössen an meinen Platz, ich kriege Spiegelei mit Lachsschinken, frischen Toast ...“

      Minna erhob sich. „Wenn du jetzt noch keinen Frühstücksappetit bekommen hast, Tante Trude, dann wundere ich mich.“

      Mit einem flinken Blick stellte Minna fest, dass in ihrem Postfach nur Ansichtskarten steckten. Während Tante Trude ins Frühstückszimmer voranging, warf Minna der kleinen Sekretärin, der sie ein paar Sonderaufträge erteilt hatte, einen fragenden Blick zu.

      Die Sechzehnjährige zog mit der geheimnisvollen Umständlichkeit eines ungelernten Silberdiebes aus einem quietschenden Kasten ein Telegramm und flüsterte: „Gleich nachdem die Damen das Haus verlassen hatten —“

      „Na, Minna, wer hat denn geschrieben?“

      „Ach, paar Grüsse.“ Minna konnte das Telegramm nicht öffnen, ohne dass Tante Trude es gesehen hätte; sie verbarg es am Tisch in der Serviette. Es war doch unbedingt von Bert. Eine Geschäftsempfehlung, die alle Gäste erhalten hatten, zerriss sie mit scheinbarer Gleichgültigkeit, riss dabei aber den Umschlag der Depesche mit auf. Zum Glück war Tante Trude etwas kurzsichtig.

      „Und Martha hat noch immer nichts von sich hören lassen?“

      „Nein. Nun — sie weiss ja —“ Halb unter dem Tisch hielt Minna das eingerissene Blatt. Während sie sich bemühte, eine gleichgültige Unterhaltung in Fluss zu bringen, entzifferte sie den Inhalt. Das Telegramm lautete: ‚Hinkommen ganz unmöglich. Halbstündiger Spaziergang auf Kurpromenade gäbe neuen Krawall im Hause N. Ebenfalls sehr traurig. Gruss.‘

      „Was weiss die Martha? Du musst die Sätze doch zu Ende sprechen, Kind!“

      „Die Martha?“ Minna zwang sich jetzt zu äusserster Kühle und Beherrschtheit. „Die Martha weiss, dass meine Abreise dicht bevorsteht. Jawohl, ich will und muss nach Berlin! Pa hat gesagt: Bis Mitte Mai. Heute ist der Vierzehnte. Du sagst nun plötzlich, du bliebest bis zum ersten Juni. So lange bleibe ich nicht. Ich muss auch zum Professor. Die Zähne. Ja, da oben rechts. Nein, hier zu einem wildfremden Zahnarzt zu gehen, das fällt mir nicht ein. Übrigens hab’ ich für Montag doch schon die Hertzig bestellt, zur Anprobe.“

      Tante Trude begann ihr Frühstück. „Weisst du, mein Kind, ein Grund kann stichhaltig sein. Zwei Gründe sind verdächtig.“

      „Was für einen Verdacht hast du denn nun schon wieder?“

      „Wir wollen doch mal ernsthaft und verständig miteinander sprechen, liebe Minna! Ich möchte endlich aufhören können, immer noch den Wauwau für dich zu spielen. Du weisst doch, oder ahnst es, was Pa von mir verlangt. Ich soll ihm Bericht erstatten, sobald ich der ehrlichen Überzeugung bin, dass Herr von Überling dich endlich in Ruhe lässt — —“

      „Tut er doch. Bitte sehr.“

      „— — und dass auch du die Aussichtslosigkeit eingesehen hast und von deiner Gereiztheit und Unzufriedenheit endlich erlöst bist.“

      „Ich bin ja so herrlicher Laune. Etwa nicht?“

      „Minna, ich schwöre dir zu: Ich habe von Pa keinen Auftrag bekommen, dir auch nur mit einem Wort zuzureden, dass du Fritz die Möglichkeit gibst — —“

      „Um mich anzuhalten!“ fiel sie zornig ein. „Du schwörst, also muss ich dir glauben. Aber seit Jahren ist es sein ausgesprochener Befehl. Fritz ist ein anständiger Kerl. Gottlob. Er hätte mir Theater vorspielen können, hätte mir den Hof machen können, weil er ein armer Teufel ist und ich die Erbin von Pa bin. Er ist mir eher ausgewichen. War immer ein guter Kamerad. Ich rechne ihm das hoch an. Aber Liebe besteht zwischen uns beiden nicht. Und zu einer Heirat wird es zwischen uns nicht kommen, weil — nun, vielleicht gerade, weil auch ich ein anständiger Kerl bin. Wir sind uns wahrscheinlich beide zu gut dafür, uns aus Geschäftsrücksichten von Pa verkuppeln zu lassen.“

      „Geschäftsrücksichten ... Mein liebes Kind: E. F. W. ist kränker, als du ahnst. Er wird all den Anstrengungen nicht mehr lange gewachsen sein. Die beiden guten Jungen, auf die er jetzt bald hätte rechnen können als seine Mitarbeiter und Nachfolger, sind ihm genommen worden. Dora hat ihm keine Stütze ins Haus gebracht. Martha bringt ihm Herrn Pinneke junior.“

      „Für Martha wird Pinneke noch eben genügen, liebe Tante Trude.“

      „Aber nicht für die Firma. Ein viel zu kleiner Kopf, Minna. Der Nachfolger von Pa muss ein Mensch von grossem Format sein. Vor allem ein Charakter. Weder ein wichtigtuender Spiessbürger, wie Pinneke, noch ein Verschwender, ein Schuldenmacher, wie — wie Herr von Überling.“

      „Es gibt also nur das eine Juwel auf der ganzen Welt, das E. F. W. retten kann: den Vetter Fritz.“

      „Bist du je gedrängt worden, Minna?“

      „Nein. Aber ich bin von Pa in Arrest gesteckt worden. Hierher. Zu dir, liebe Tante Trude. Du hast es schwer mit mir gehabt, ich weiss. Denn du hast immer gut sein wollen zu mir. Aber für mich war es oft zum Verzweifeln. Lasst mich jetzt nach Berlin zurück! Ein stiller Pakt: Es wird weder zu mir noch zu Fritz über die Sache gesprochen. Zunächst bis — sagen wir: zunächst bis Weihnachten.“

      „Dann bist du fünfundzwanzig, Kind.“

      „Vielleicht also noch vernünftiger als heute.“

      Tante Trude seufzte. „Das gebe Gott! Gut, ich schreibe an Pa.“

      Minna stand auf und küsste sie auf die Wange. „Lass mich’s dann lesen, Tante Trude, bitte!“

      ... Eine Stunde später las sie den Brief, schloss ihn rasch und klebte die Freimarke drauf.

      „Wir müssen uns doch aber erst über den Tag einigen?“

      „Morgen ist der Fünfzehnte. Ich packe hernach. Hier hab’ ich noch eine Ansichtskarte von deinem Lieblingsplatz. Für Dora und Martha. Mit der Freudenbotschaft, dass ich am Fünfzehnten abends dort bin. Ich bringe beides jetzt gleich zur Bahnhofspost. Punktum!“

      Sie schrieb die Karte im Stehen und trocknete die Schrift, indem sie beim Verlassen des Zimmers sich damit Luft zufächelte. Auf der Karte war der Sechzehnte angegeben statt des Fünfzehnten. Sie wollte Spielraum haben. Denn von der Bahn aus telegraphierte sie an Bert, dass sie morgen in Hannover einen Zug überspringen werde. Sie nannte ihm das Hotel, das sie von der städtischen Feier her kannte. War er verhindert, so durfte er ihr nicht wieder nach